Kaum sind die letzten Töne der fulminanten Aufführung von Claudio Monteverdis „Marienvesper“ im Dominikanerbau verklungen, wagt sich die Bamberger Universitätsmusik schon an das nächste Großprojekt. Man fragt sich allmählich, wo für Universitätsmusikdirektor Wilhelm Schmidts rein quantitativ die Grenzen liegen bezüglich des Aufwands und der jeweiligen Projektgröße. Am zurückliegenden Sonntag stand die 2. Symphonie Gustav Mahlers, die so genannte „Auferstehungssymphonie“, zur Aufführung im Keilbertsaal der Bamberger Konzerthalle an. Wird es dann irgendwann auch zu Mahlers Achter kommen, der „Symphonie der Tausend“, oder gar zu den noch monumentaleren „Gurre-Liedern“? Nichts scheint mehr ausgeschlossen angesichts des Höhenflugs der hiesigen Universitätsmusik, die seit einigen Jahren natürlich auch qualitativ mit dem Namen Schmidts verbunden ist.
Gegenüber Mahlers zweiter Symphonie darf man durchaus Vorbehalte haben, ohne gleich Theodor W. Adorno oder Hans von Bülow zitieren zu sollen. Muss man schon so früh über die „letzten Dinge“ verhandeln und gleich in der zweiten von neuneinhalb Symphonien die Auferstehung beschwören? Muss man als Komponist schon nach zwei Symphonien „den Inhalt meines ganzen Lebens“ erschöpfen, also mit gerade Ende zwanzig solch letztgültige autobiographische Zeugnisse ablegen? Das wie stets ausgezeichnet aufgemachte Programmheft schneidet manche dieser Themen an und informiert abundant, hütet sich aber vor zu viel Weihrauch.
Der Auftritt des riesigen Ensembles wird von einem sichtlich und hörbar geneigten Publikum im ausverkauften Saal mit erwartungsvoller Begeisterung begleitet. Schon nach den ersten Tönen, jenem geradezu ruppigen Einsatz der Streicher inklusive eines Gongschlages, öffnet sich ein weites symphonisches Klangfeld. Und es bestätigt sich bald die Gewissheit, die sich anlässlich der letzten groß besetzten Werke schon verfestigt hatte: Bambergs universitäre Musik vermag auch solch ein Riesenwerk adäquat zu besetzen, ja in manchen Instrumentengruppen sogar vorzüglich.
Die herbe „Todtenfeier“ taucht nach der Wiederholung des Auftaktes inklusive des fanalartigen Quartmotivs in Pianosphären ein, die tückisch sind, weil in ihrer Transparenz jegliche Schwächen bloßliegen würden. Fehlanzeige ist schon hier weitestgehend zu vermelden, und das sollte auch 90 Minuten so bleiben. Die unerträgliche Dissonanzballung kurz vor der Reprise – wohl einer der Gründe dafür, warum seinerzeit die Rede davon war, dass dies „keine Musik mehr“ sei – schärfte Schmidts auf das Äußerste. Da sehnt man sich zwangsläufig nach einem Intermezzo jener Art, wie es dann in Gestalt des gemächlichen, aber durchaus nicht harmlosen Andantes aufgeboten wird.
Auch hier kann man nichts verstecken, sich selbst sowieso nicht, denn man sitzt quasi auf dem Präsentierteller. Das betrifft vor allem die zahlreichen Solostellen in dieser Symphonie, die natürlich bestens besetzt sein müssen. Wie und woher der Universitätsmusikdirektor so viel instrumentale Qualität in Bamberg und Umgebung auftreibt, bleibt rätselhaft. Allein zehn Hörner müssen beigeschafft werden… Die haben dann auch gut zu tun im dritten Satz, der das panta rhei ebenso beschwört wie die ewige Getriebenheit. Hier braucht man treffliche Holzbläser, zumal keck auftretende Klarinetten, und ein blitzsauberes Blech. Es folgt das „Urlicht“, wo gerade in den genannten Gruppen anfangs besondere Pianoqualitäten verlangt werden.
Die Altistin Marion Eckstein erwies sich in ihrer Partie als beglückende stimmliche Überraschung mit ihrem angenehmen Timbre und einem geradezu idealen Vibrato. Überraschend war allerdings auch ihr stark rollendes "r", das früher zur gesanglichen Grundausstattung gehörte, heute aber im Verschwinden begriffen ist. Später, im „O Glaube“ des Finalsatzes, entpuppte sie sich als profunder Alt mit großer Stimmkraft. Ausgezeichnet besetzt war auch die Sopranpartie mit der ausgesprochen schönen Stimme Anna Nesybas (Titelfoto). Ihr Vibrato ist keine Dauerapplikation, sondern eine wirkliche Verzierung auf exponierten Tönen.
Ein abermaliger Gongschlag ruft zwar noch nicht zur Auferstehung, wohl aber den Chor zum Aufstehen, denn nun kündigt sich zum Finale das Jüngste Gericht an. Knapp 100 Sängerinnen und Sänger wurden aufgeboten, wie immer vorzüglich präpariert und von den Bässen imposant grundiert. Der erste Einsatz kommt a capella aus dem Nichts, da wollen die Töne getroffen sein. Dass die instrumentale Besetzungsqualität auch bis hinein ins Fernorchester gut war, ließ sich aus den halb geöffneten Türen des Vestibüls bestens vernehmen.
Wilhelm Schmidts nahm in diesem „Nachhall des Erdenlebens“ manche Fortissimostellen allzu explosiv, ja brachial, doch das passiert im Keilberthsaal oft auch anderen Dirigenten. Der Raum mit seiner „weißen Akustik“ verträgt in dieser Hinsicht kein Übermaß, schon gar nicht im Bereich von Schlagzeug und hohem Blech. Das ist aber nur ein kleiner Einwand angesichts einer denkwürdigen Aufführung, deren Bedeutung nicht zuletzt an dem Umstand gemessen werden muss, dass in Bamberg ein Orchester von Weltruf zu Hause ist. Die Werbung der Universitätsmusik für Klassik im Allgemeinen und großformatige Symphonik im Besonderen kommt jedenfalls auch den Bamberger Symphonikern zugute. Fazit: ein tief beeindruckendes Erlebnis!