ChatGPT an Universitäten: Chance oder Bedrohung?

Wie ein Sprachmodell Lehre und Prüfungen an der Universität Bamberg verändert

  • Campus
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  • 27.11.2023
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  • Hannah Fischer
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  • Lesedauer: 10 Minuten

Der Chatbot ChatGPT ist derzeit in aller Munde. Es wird diskutiert über Chancen und Risiken. Die Debatten sind längst in den Hochschulen und damit auch an der Universität Bamberg angekommen. Inwiefern verändert ChatGPT die Lehre und Prüfungen? Eine Studentin sowie Dozierende aus verschiedenen Fachbereichen geben Einblicke und Ausblicke.

Was haben Studentin Sophia Müller und Prof. Dr. Dominik Herrmann, Inhaber des Lehrstuhls für Privatsphäre und Sicherheit in Informationssystemen, gemeinsam? Genau, sie haben beide ChatGPT für eine Prüfungsleistung an der Universität Bamberg eingesetzt – wenn auch auf unterschiedliche Weise. Sophia Müller, die im echten Leben anders heißt und sich anonym bei der Redaktion gemeldet hat, hat mit Hilfe von ChatGPT Teile eines Portfolios erstellt, das sie im Wintersemester 2022/23 als Prüfungsleistung einreichen musste. Die Aufgabe bestand darin, einen Text zu interpretieren, der ziemlich lang und kompliziert war. „Ehrlich gesagt hatte ich wenig Lust auf das Thema und dann habe ich eben ChatGPT gefragt“, sagt Sophia Müller. „Ich war erstaunt, dass die Künstliche Intelligenz so gut über den Text Bescheid wusste.“ Eins zu eins übernommen hat sie die Erläuterungen von ChatGPT nicht. Sie hat sich daran orientiert, hier und da eigene Gedanken eingebracht und andere Worte verwendet. Als Hilfsmittel hat sie ChatGPT im Portfolio nicht angegeben. „Alles in allem hat es die Arbeit unglaublich erleichtert. Ich habe mir wohl mindestens zwei Stunden Zeit gespart.“

Zeit- und Arbeitsersparnis war für Dominik Herrmann nicht der ausschlaggebende Punkt, ChatGPT zu nutzen. „Ich habe Teile einer Klausur mit ChatGPT gebaut – kurioserweise im Fach Ethik in der digitalen Gesellschaft. Das hat hervorragend funktioniert“, erzählt der Professor. „Ich gehe aber davon aus, dass ich für die Erstellung mit ChatGPT länger gebraucht habe, als wenn ich die Klausur einfach schnell selbst gebaut hätte“, schränkt er ein.

Diskussionen um Chancen und Risiken von KI

Das große Sprachmodell hinter ChatGPT ist darauf trainiert, natürliche menschliche Sprache zu verstehen und zu produzieren. Es ist in der Lage, Fragen zu beantworten und Gespräche zu führen. ChatGPT nutzt maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz (KI), um seine Fähigkeiten im Umgang mit Sprache zu verbessern und zu erweitern, indem es große Textmengen analysiert und daraus Muster und Zusammenhänge lernt. Das Sprachmodell ist derzeit in aller Munde. Diskutiert wird über Chancen und Risiken, die die künstliche Intelligenz mit sich bringt. Dass ChatGPT und damit die Diskussionen um seinen Einsatz längst an den Universitäten angekommen sind, zeigen die Beispiele von Sophia Müller und Dominik Herrmann.

„Der erste problemorientierte Hinweis auf ChatGPT an die Universitätsleitung kam aus der Politikwissenschaft“, erzählt Prof. Dr. Stefan Hörmann, Vizepräsident für Lehre und Studierende. Ausschlaggebend sei vor allem die Sorge im Hinblick auf Prüfungsleistungen gewesen. Generell stelle sich die Frage, welche Arten von Prüfungen in Zukunft möglich seien: „Inwieweit kann es künftig noch Prüfungen geben, die man mithilfe von ChatGPT auch oder vielleicht sogar besser lösen kann?“, fragt der Vizepräsident. „Wir müssen uns überlegen, wie die Studierenden individuell zeigen können, dass sie verstanden haben, was sie schreiben.“ Das mache mündliche Prüfungssituationen und die klassische Klausur ohne Einsatz von Hilfsmitteln wieder attraktiver. Nicht zuletzt Formate, die während der Corona-Pandemie einen Schub erfahren haben, seien durch die aktuellen Entwicklungen gefährdet. „Dies kann insbesondere Open-Book-Klausuren betreffen“, stellt Hörmann in den Raum. Ein generelles Verbot von ChatGPT hält der Vizepräsident nicht für zielführend.

Prüfungsleistungen müssen sich verändern

Ähnlich sieht es Prof. Dr. Johannes Marx, der einer der Politikwissenschaftler ist, die sich an die Universitätsleitung gewandt haben: „Die Prüfungsleistungen müssen sich verändern. Reine Reproduktionsteile werden hinfällig sein und damit müssen wir lernen umzugehen.“ Die Politikwissenschaft als Fach brauche ein gutes Verständnis der Technologie und eine Strategie für den Umgang damit. Mittel- und langfristig sieht Marx die Notwendigkeit, gezielt Übungen in die Lehre einzubauen, die die Studierenden auffordern, ChatGPT zu nutzen, die Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und etwaige Probleme zu erkennen. Vorstellen kann er sich das im Rahmen von Einführungsveranstaltungen zum wissenschaftlichen Arbeiten. Dennoch sieht Johannes Marx die Entwicklung auch positiv: „Ich finde den technischen Fortschritt grandios und bin fasziniert davon. Solche Programme können – richtig eingesetzt – das wissenschaftliche Arbeiten erleichtern und uns helfen, Aufgaben effizienter und effektiver zu lösen.“

Hochschuldidaktische Seminare zu ChatGPT

Mit ChatGPT und ähnlichen technologischen Innovationen beschäftigt sich nicht nur das Fach Politikwissenschaft und auch nicht nur die Universität Bamberg: „Bei den regelmäßigen Treffen der bayerischen Vizepräsident*innen für Lehre ist ChatGPT und der Umgang damit ebenfalls ein Thema – wir stehen alle vor den gleichen Herausforderungen“, erläutert Stefan Hörmann. In der Runde sei man sich einig: Es muss Informationsveranstaltungen geben, auch in einem zentralen Format, sodass sich nicht jede Hochschule als Einzelkämpferin damit auseinandersetzen muss. So werden seit dem Wintersemester 2022/23 über das hochschuldidaktische Netzwerk der bayerischen Universitäten ProfiLehrePlus, Weiterbildungsangebote rund um das Thema KI und auch speziell zu ChatGPT angeboten. Ergänzend stellt das Zentrum für Hochschuldidaktik der Universität Bamberg eine eigene 
Informationsseite für Lehrkontexte bereit und bietet im Sommersemester zusammen mit den KI-Expert*innen aus der Fakultät für Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik eine Themenreihe mit Vorträgen und Workshops an. „Wir wollen die Diskussion bei uns in Bamberg gesamtuniversitär führen“, erklärt der Vizepräsident.

Verständnis von Sprachmodellen als Teil der Medienkompetenz

Einige Wissenschaftler*innen setzen ChatGPT bereits gezielt in der Lehre ein. So etwa Prof. Dr. Patrizia Noel, Inhaberin der Professur für Germanistische Sprachwissenschaft mit dem Schwerpunkt Grammatik. Sie hat das Sprachmodell in einem Seminar zu empirischer Linguistik gemeinsam mit den Studierenden angewandt. „Wir brauchen in der Sprachwissenschaft relativ viel Input aus anderen Disziplinen, die wir nicht alle umfänglich beherrschen können“, erläutert Noel. „ChatGPT kann uns in den sogenannten Hilfsdisziplinen unterstützen.“ So haben sich die Studierenden beispielsweise statistische Modelle von ChatGPT erklären lassen und waren überrascht, wie oberflächlich auf der einen Seite und gut auf der anderen die Antworten waren.

„Für mich gehört ab sofort zur Medienkompetenz dazu, dass man halbwegs versteht, wie solche Sprachmodelle funktionieren. Wir müssen unseren Studierenden diese Art von Kompetenz vermitteln – egal in welchem Fach“, meint Noel. Sie sieht in ChatGPT nämlich auch ein Risiko: „Unser Job an der Universität ist unter anderem, kritisches und reflektiertes Denken zu befördern.“ Wenn Studierende ihre Hausarbeiten von ChatGPT oder anderen textbasierten Dialogsystemen erstellen lassen, sei für die Nutzer*innen beispielsweise nicht einmal nachvollziehbar, welche Quellen das Sprachmodell für eine spezifische Antwort verwendet. „Das Problem ist in meinem Fach ziemlich groß, weil wir vor allen Dingen Lehramtsstudierende ausbilden, die das kritisch-reflektierte Denken auch an ihre Schüler*innen weitergeben. Das ist wichtig für unsere Gesellschaft“, erläutert Noel.

Sprachmodelle als Teil der Lehre

Für manche Fächer kommt hinzu, dass ChatGPT und ähnliche Sprachmodelle später in der beruflichen Praxis eine Rolle spielen werden, wie Dr. Kristina Wied aus der Kommunikationswissenschaft weiß: „Bots können Journalist*innen und Menschen, die im Public Relations-Bereich tätig sind, Arbeit abnehmen. Es entstehen auch neue Berufsperspektiven.“ Dazu zählt etwa das sogenannte Prompt Engineering. Der englische Begriff Prompt bezeichnet die Befehlszeile, über die Nutzer*innen mit der jeweiligen Software kommunizieren – ähnlich wie das Eingabefeld einer Suchmaschine. Ein Prompt Engineer ist demnach darauf spezialisiert, möglichst gute Befehle zu geben. Je ausgeklügelter diese sind, desto besser ist auch das Ergebnis, das die KI ausgibt. „Durch die neuen Tätigkeitsfelder, die sich ergeben, ist es gerade in der Kommunikationswissenschaft wichtig, dass wir uns in der Lehre damit beschäftigen“, meint Wied. Sie baut ChatGPT im Sommersemester 2023 in eine Übung ein, in der Studierende neben weiteren Aufgaben ein Social Media-Konzept entwickeln und einen Beitrag für einen Weblog schreiben. Die Studierenden sollen unter anderem ihre eigenen Ideen mit denen vergleichen, die ChatGPT ihnen vorschlägt.

ChatGPT ist nicht das erste KI-basierte System, das Studierende nutzen. Ein Stichwort ist hier zum Beispiel der Online-Übersetzungsdienst DeepL. „Für mich stellt sich nicht die Frage, ob solche Systeme Chance oder Risiko sind“, meint Prof. Dr. Sandra Birzer, Inhaberin des Lehrstuhls für Slavi
sche Sprachwissenschaft. „Wir müssen einen sinnvollen Umgang finden, denn die Tools sind da und die Studierenden nutzen sie.“ Wichtig ist ihr vor allem, dass die Studierenden den KI-basierten Anwendungen nicht blind vertrauen, sondern die Ergebnisse kritisch reflektieren. Sie möchte auch Fachkolleg*innen sensibilisieren. Im Mai erschien die erste Ausgabe der fachdidaktischen Zeitschrift Slavische Sprachen unterrichten bei der Bamberg University Press. Als zweite Ausgabe plant Birzer mit ihren Kolleg*innen ein Themenheft zu KI-basierten Anwendungen im Sprachunterricht. Unter anderem soll es dort auch um ChatGPT in der Unterrichtspraxis gehen.

Gemischte Stimmung – zwischen Sorge und Enthusiasmus

Die Einblicke zeigen: Die Stimmung der Dozierenden an der Universität Bamberg scheint gemischt zu sein. Einerseits gibt es Sorgen hinsichtlich des Einsatzes von ChatGPT bei Prüfungsaufgaben und der Zukunft von bestimmten Prüfungsformaten. Andererseits zeigt sich ein gewisser Enthusiasmus für den technologischen Fortschritt und das Potenzial von ChatGPT, um wissenschaftliches Arbeiten zu erleichtern. Die interviewten Dozierenden sind offen für den Einsatz von ChatGPT, aber auch vorsichtig und bestrebt, eine angemessene und sinnvolle Verwendung sicherzustellen.

Wie ging nun der Einsatz von ChatGPT für Dominik Herrmann und Sophia Müller aus? Inzwischen hat Dominik Herrmann die Klausur korrigiert. Die Notenverteilung ist ähnlich wie jene aus den vorherigen Klausuren, bei denen er keine Hilfe von ChatGPT hatte, berichtet Herrmann. Im Nachhinein hat er die Studierenden darüber aufgeklärt, dass Teile der Klausur aus der Feder von ChatGPT stammen. Aufgefallen ist das den Prüfungsteilnehmer*innen während der Klausur nicht. Für Herrmann fällt das Urteil durchweg positiv aus: „Mit Hilfe von ChatGPT habe ich an einem Nachmittag Klausuraufgaben für die nächsten fünf Jahre generiert. Ziemlich wahrscheinlich werde ich mir in Zukunft immer einen externen Rat von ChatGPT holen, weil die Interaktion zum einen mehr Spaß macht als die Klausur alleine zu erstellen und weil zum anderen die Qualität der Aufgaben meiner Meinung nach viel besser ist.“ Und die Studentin Sophia Müller? Bis zum Redaktionsschluss hat sie noch keine Rückmeldung zu ihrem Portfolio erhalten. Sie hat schon etwas Bedenken, dass sie auffliegen könnte. Falls das nicht passiert, kann sie sich vorstellen, ChatGPT auch zukünftig für ähnliche Aufgaben zu nutzen.

Tipp:

Das Zentrum für Hochschuldidaktik (ZHD) stellt für Lehrende eine zusammenfassende Informationsseite bereit und bietet in Kooperation mit den KI-Expert*innen aus der Fakultät für Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik (WIAI) Vorträge und Workshops zum Thema „KI in der Lehre“ an: www.uni-bamberg.de/zhd/weitere-unterstuetzungsangebote/ki-in-der-lehre

Weitere hochschuldidaktische Seminare des Verbundes ProfiLehrePlus setzen sich mit ChatGPT auseinander. Mehr Informationen unter: https://profilehreplus.de/seminare

In der Veranstaltungsreihe „Bib um 12“ bietet die Universitätsbibliothek im Wintersemester 2023/24 mittwochs um 12 Uhr Kurzinformationen zu KI-Schreibtools an: www.uni-bamberg.de/ub/einfuehrungen-kurse/bib-um-12

 

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Seite 158676, aktualisiert 27.11.2023