Am Dienstagvormittag, 5. Dezember 2023, blickten viele erschrocken auf die jüngsten Ergebnisse der PISA-Studie. Medien titelten, dass deutsche Schülerinnen und Schüler so schlecht abschnitten wie nie. Und am Abend: Da widmete sich just eine Podiumsdiskussion an der Universität Bamberg, veranstaltet von Universitätspräsident Prof. Dr. Kai Fischbach, dem Thema digitale Bildung. Bereits zum zweiten Mal bot der Präsident damit ein Forum, um sich über ein aktuelles Thema auszutauschen, das die Universität bewegt.
Es diskutierten unter Moderation des Präsidenten Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz, Professor für Wirtschaftspädagogik und Sprecher des Leitungsgremiums des Zentrums für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Prof. Dr. Jörn Brüggemann, Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, Prof. Dr. Stefanie Stricker vom Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft sowie Prof. Dr. Tim Weitzel vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Informationssysteme in Dienstleistungsbereichen.
Wie kann digitale Bildung gelingen?
Doch wie kann digitale Bildung gelingen? Für den Wirtschaftspädagogen Karl-Heinz Gerholz hat diese vor allem zwei Dimensionen: Selbstwirksamkeit bei der Nutzung neuer Technologien und Technologieaffinität. Beide gilt es aus seiner Sicht zu fördern, damit Lehrende, aber auch Schülerinnen und Schüler sowie Studierende Lust auf die Zukunft haben, die immer mehr von Technologie geprägt sein wird. Gleichzeitig ist ihm wichtig, einen kritisch-reflexiven Umgang mit neuen Technologien zu fördern. Jörn Brüggemann schlägt vor, die digitale Souveränität der Lehrkräfte zu erweitern. Darunter versteht er, Lehrkräfte besser als bislang dazu zu befähigen, – erstens – allgemeine digitale Kompetenzen wie zum Beispiel digitales Recherchieren, Kommunizieren und Kooperieren in ihrem Fachunterricht zu vermitteln, – zweitens – die fachspezifischen Kompetenzen, die sie sowieso laut Bildungsstandards und Lehrplänen vermitteln müssen, mit Hilfe digitaler Tools – vielleicht sogar besser – zu vermitteln und – drittens – die digitale Transformation ihrer fachlichen Gegenstände selbst zum Thema zu machen. Komplementär zu diesen funktionalen, auf die Anwendung digitaler Techniken bezogenen fachlichen Fähigkeiten zählt aber auch die Entwicklung selbst-reflexiver Grundhaltungen zur digitalen Souveränität von Lehrkräften und Schüler*innen durch Lehr-Lernangebote, die die Gelegenheit eröffnen, die persönlichen und ethischen Implikationen digitaler Entwicklungen zum Thema im Fachunterricht zu machen.
Digitale Bildung spielt an deutschen Schulen eine geringe Rolle
Trotz wiederkehrender Schocks, wenn regelmäßig die neuen Ergebnisse aus Studien wie PISA oder IGLU vorliegen, scheint das deutsche Schulsystem reformunfähig, stellte Kai Fischbach bei der Podiumsdiskussion fest und fragte: „Bietet uns digitale Bildung die Chance, Dinge zu ändern, die wir seit Jahren nicht geändert bekommen?“ Noch immer spiele digitale Bildung an deutschen Schulen keine wesentliche Rolle, konstatierte Jörn Brüggemann. Das zeigten auch verschiedene Studien: „Im internationalen Vergleich ist die Bereitschaft deutscher Lehrkräfte ausgesprochen gering ausgeprägt, digitale Tools im Fachunterricht einzusetzen. Nach meinem Eindruck hat auch Corona nicht viel daran geändert“, sagte Brüggemann mit Blick auf eine Studie, an der er selbst beteiligt war und bei der rund 1.800 Lehrkräfte aus unterschiedlichen Bundesländern zum fachdidaktischen Potenzial digitaler Tools und prototypischer digitaler Lernumgebungen für den Deutschunterricht befragt wurden. Ob das in der Studie ebenfalls berichtete Interesse an Fortbildungen zu den prototypischen Lehr-Lernarrangements tatsächlich nachhaltig ist, werde sich bald zeigen. Entsprechende Fortbildungen dazu werden derzeit in einem BMBF-Verbundprojekt für ein Kompetenzzentrum des Bundes entwickelt, das die Aufgabe hat, Lehrkräfte im digitalen und digital-gestützten Unterrichten fortzubilden.
Lehrkräfte machen sich durch Nutzung digitaler Tools nicht überflüssig
Die Podiumsgäste waren sich einig darüber, dass bei der abwehrenden Haltung gegenüber digitaler Technologien auch Angst, selbst überflüssig zu werden, eine Rolle spielt. Besonders an Schulen gehört zu digitaler Bildung für Tim Weitzel auch dazu, Lehrpersonen die Angst zu nehmen, selbst irrelevant zu werden. Der Wirtschaftsinformatiker bietet selbst bereits seit 2001 mit dem Virtuellen Weiterbildungsstudiengang Wirtschaftsinformatik (VAWi) einen zu 100 Prozent remote abgehaltenen Studiengang an. „Wenn wir die Situation in den Schulen verbessern wollen, dann ist es elementar, dass wir unsere Lehrkräfteausbildung ändern und die angehenden Lehrerinnen und Lehrer darauf vorbereiten, digitale Medien in den Schulen einzusetzen“, meinte Stefanie Stricker. An der Universität Bamberg geschieht das bereits – etwa in den Digitalen Lehr-Lern-Laboren (DigiLLabs), in denen angehende Lehrkräfte moderne Lerntechnologien und neue Lernumgebungen für ihren Unterricht testen können.
Digitalisierungsschub an Universitäten durch die Pandemie
Digitale Bildung beschäftigt die Universität Bamberg aber nicht nur hinsichtlich der Lehrerinnen- und Lehrerbildung: „Die Thematik digitale Bildung ist brisant – gerade auch für den Hochschulbereich“, stellte Prof. Dr. Stefan Hörmann, Vizepräsident für Lehre und Studierende fest, der in die Podiumsdiskussion einführte. „Klar ist, Anforderungen an Hochschulen und Lehrende, aber auch an Studierende verändern sich vor diesem Hintergrund – und sie müssen sich auch verändern.“ Einen Digitalisierungsschub hätten die Universitäten durch die Corona-Pandemie erfahren. Dadurch sei nachhaltig ein Transformationsprozess eingeleitet worden, der weiter fortschreite und nun durch die leichte Verfügbarkeit von KI-Tools erneut befördert werde. Aktuell wichtige Aspekte seien im Kontext digitaler Bildung auf hochschulischer Ebene – und nicht nur dort – insbesondere die Konzeption und der Einsatz digitaler Werkzeuge und Inhalte, Blended Learning-Settings, die Entwicklung digitaler Prüfungsverfahren sowie die Gestaltung neuer Lehr- und Lernräume hinsichtlich räumlicher Gegebenheiten wie auch veränderter didaktischer Ansätze. „Gerade in Bezug auf KI wie ChatGPT müssen wir lernen, vernünftig damit umzugehen“, meinte Stefanie Stricker. Auch hier sei es – wie im schulischen Kontext – wichtig, etwaige Abwehrhaltungen abzulegen, waren sich die Podiumsgäste einig. „Immer, wenn in der Geschichte neue Technologien aufgekommen sind, gab es ähnliche Diskussionen“, sagte Karl-Heinz Gerholz. Er erinnerte an die Abschaffung der Schiefertafeln zu Gunsten von Stift und Papier. Weitere Beispiele wären die Einführung von Google oder Wikipedia. „Im Endeffekt sind digitale Technologien ein zeitgemäßes Medium.“
Herausforderungen im internationalen Vergleich
Zum Abschluss der Diskussion fragte Kai Fischbach danach, wie Deutschland und Bayern im internationalen Vergleich dastünden in Sachen digitale Bildung. Die Podiumsgäste sehen einige Herausforderungen – unabhängig von der Bereitschaft digitale Tools zu nutzen: Karl-Heinz Gerholz nannte etwa das Problem, dass es an manchen Schulen, die er im Rahmen von Studien begleitet, bereits an der Infrastruktur wie mangelndes WLAN scheitert. Zudem sieht er in den stark reglementierenden Datenschutzbestimmungen eine Hürde, die so in anderen Ländern nicht existierten. Bei zahlreichen Schulbesuchen in Südostasien konnte er sich einen Eindruck der Digitalisierung vor Ort machen. Er stellt fest: „Es gibt eine viel höhere Offenheit den Technologien gegenüber – vor allem auch, was personalisiertes Lernen angeht.“ Zudem sehe er an diesen Schulen viel mehr Kreativität im Umgang mit digitalen Tools. Aus dem Publikum der Podiumsdiskussion kam vor allem auch die Rückmeldung, dass die Strukturen an Schulen in Deutschland so starr vorgegeben seien, dass es kaum möglich sei, beispielsweise Präsenzstunden digital zu ersetzen. Die nächsten Jahre werden zeigen, was eine gute Balance ist zwischen digital gestütztem und konventionellem Unterricht. Dazu beitragen können auch die Erkenntnisse aus Bamberger Forschung.
Im Rahmen einiger millionenschwerer Lehr- und Forschungsprojekte beschäftigt sich die Universität Bamberg derzeit intensiv mit Fragen der digitalen Bildung. Exemplarisch können folgende Projekte genannt werden:
- Digitale Kulturen der Lehre entwickeln (DiKuLe): Das Forschungsprojekt zielt auf eine koordinierte, reflektierte Entwicklung neuer Lösungen und Formate für die digitale Lehre an der Universität Bamberg.
- Qualität digital gestützter Lehre an bayerischen Hochschulen steigern (QUADIS): Das Projekt zielt darauf ab, Blended-Learning-Seminare für die hochschuldidaktische Weiterbildung zu entwickeln, den Diskurs durch Symposien und Arbeitsgruppen sowie den Transfer durch Lehrwerkstätten zu fördern.
- Digitale Souveränität als Ziel wegweisender Lehrer:innenbildung für Sprachen, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften in der digitalen Welt (DiSo-SGW): Im BMBF-Projekt werden Fort- und Weiterbildungsangebote für die Gestaltung digitalen und digital gestützten sprachlichen Unterrichts sowie für Unterricht in den Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften forschungsbasiert entwickelt, erprobt und implementiert. Es ist eines von insgesamt fünf Bamberger Vorhaben im Kompetenzverbund lernen:digital.
Weitere Informationen zu den Projekten im Verbund lernen:digital gibt es in Kürze in einem weiteren Artikel im uni.blog.
Im Dezember 2023 endet das Projekt WegE: Wegweisende Lehrerbildung, dessen Ziel es war, die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Bamberg zu profilieren. Die Sprecherinnen und der Koordinator des Projekts sprechen in einem Interview über Errungenschaften, Herausforderungen und darüber, wie es jetzt in der Lehrkräftebildung weitergeht: blog.uni-bamberg.de/campus/2023/wegweisende-lehrerbildung