Rund 130 Publikationen, mehr als 100 Lehrkräftefortbildungen, knapp 30 Workshops und Vernetzungsveranstaltungen, 31 neue Veranstaltungskonzepte für das Lehramt: das ist lediglich eine kleine Bilanz in Zahlen des Projektes Wegweisende Lehrerbildung (WegE), das im Dezember 2023 seinen Abschluss findet. Seit 2016 beschäftigten sich in diesem Strukturprojekt zahlreiche Forschende der Universität Bamberg mit der Lehrkräftebildung. Das Projekt wurde mit insgesamt 6,8 Millionen Euro in zwei Projektphasen durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Über Errungenschaften, Herausforderungen und darüber, wie es jetzt weitergeht unterhalten sich Prof. Dr. Barbara Drechsel, Inhaberin der Professur für Psychologie in Schule und Unterricht, Prof. Dr. Annette Scheunpflug, Inhaberin des Lehrstuhls für Allgemeine Pädagogik, sowie Dr. Johannes Weber, geschäftsführender wissenschaftlicher Koordinator des Zentrums für Lehrerinnen- und Lehrerbildung Bamberg (ZLB) sowie Koordinator des Projekts WegE.
WegE ist jetzt abgeschlossen. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Errungenschaften des Projekts?
Drechsel: Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung, deren Stellenwert an der Universität immer hoch war, ist durch WegE profilschärfend ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.
Weber: Durch die starke Interdisziplinarität, die bereits in der Ausschreibung angelegt, im Antrag umgesetzt und durch die Projektarbeit mit Leben gefüllt wurde, ist die Vernetzung in der Bamberger Lehrkräftebildung enorm gestiegen.
Woran machen Sie die Vernetzung fest?
Scheunpflug: Neben empirischen Indikatoren aus der Evaluation des Projekts können wir das vor allem an den zahlreichen Folgeprojekten festmachen. Wir haben beispielsweise im Rahmen des Kompetenzverbunds lernen:digital über vier Millionen Euro für fünf Vorhaben eingeworben. Diese sind im Laufe des Sommers alle gestartet und widmen sich vor allem der Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften in Bezug auf die digitale Transformation an Schulen. Wenn man sich kennt, ist es viel einfacher solche Anträge zu schreiben.
Weber: Das ZLB ist jetzt bei solchen Anträgen ganz selbstverständlicher Partner und auch Initiator. So hochgradig interdisziplinäre Projektanträge könnten an einer einzelnen Lehreinheit gar nicht realisiert werden.
Drechsel: Zudem können wir jetzt im Lehramt eine Reihe vernetzter Lehrveranstaltungen anbieten, in denen Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken zusammenarbeiten.
Wie hat sich WegE in das eingefügt, was vorher schon da war?
Scheunpflug: Wir haben 2016 mit WegE ein radikales Reformprojekt vorgeschlagen. Natürlich haben wir daran angeknüpft, dass es bereits eine vielfältige Lehrerinnen- und Lehrerbildung gab. Aber wir haben vor allem an unsere Stärken-Schwächen-Analyse angeknüpft – und die war schonungslos, was an manchen Stellen durchaus kontrovers diskutiert wurde. Zu den Stärken, an die wir anknüpfen konnten, zählten etwa das starke geisteswissenschaftliche Profil, dass wir einen Beratungsschwerpunkt im Lehramt haben und alle Schularten abdecken.
Welche Herausforderungen galt es zu meistern?
Drechsel: Die Struktur der Universität stellte die größte Herausforderung dar. Das Lehramt liegt quer zur sonstigen Struktur der Universität, die stark nach den vier Fakultäten aufgegliedert ist. Es gibt ansonsten keinen Studiengang, bei dem man – drastisch formuliert – an zwölf Lehrstühlen an vier Fakultäten studiert. Das zeigt sich schon bei Einrichtungen wie FlexNow oder UnivIS, die ebenfalls nach den Fakultätssäulen aufgebaut sind.
Wie sind Sie mit dieser Herausforderung umgegangen?
Scheunpflug: Uns war besonders wichtig, das ZLB als robuste Struktur für das Lehramt aufzustellen. Dabei wurden wir von der Universitätsleitung stark unterstützt.
Weber: Der Vorgänger des ZLB, das Bamberger Zentrum für Lehrerbildung (BAZL), war mit 2,25 Stellen ausgestattet. Jetzt haben wir fast 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, viele davon aus Drittmitteln. Somit haben wir die personellen Möglichkeiten, um zahlreiche Themen für das Lehramt abzudecken. Genannt seien etwa aktuelle Brennpunktthemen wie Diversität und Inklusion, Digitalisierung und Internationalisierung. Dazu kommt ein formaler Aspekt: Die beiden Sprecher des ZLB haben jetzt – wie die Dekane der Fakultäten – einen festen Sitz in der erweiterten Universitätsleitung. Außerdem konnten wir die Mitgliederstruktur reformieren. Alle Personen, die sich in Forschung oder Lehre mit Lehrkräftebildung beschäftigen, sind automatisch Mitglieder des ZLB. Vorher mussten sich die Personen aktiv anmelden. Dadurch sind viele, die eigentliche Lehrkräftebildung im Portfolio hatten, durch das Raster gefallen.
Scheunpflug: Das stellt einen Paradigmenwechsel dar. Denn die formale Neuerung zeigt, dass Lehrerinnen- und Lehrerbildung kein Additum, sondern eine selbstverständliche Aufgabe ist.
Das ZLB ist wohl eine der großen Errungenschaften von WegE. Die Projektbeteiligten arbeiteten darüber hinaus in zahlreichen Teilprojekten von WegE zusammen. Dazu zählen etwa KulturPLUS, Bildungswissenschaft im Verbund (BilVer), Beratung im schulischen Kontext (BERA) und Berufliche Bildung (BeBi). Welche sichtbaren Angebote und Verbesserungen sind daraus entstanden – insbesondere für Studierende?
Scheunpflug: Mit dem Referat für Lehrer:innenbildung (LeB) hat die Lehramtsgruppe erstmals eine Studierendenvertretung. Wir können jetzt interdisziplinäre Module anbieten, die in der Studienordnung langfristig verankert sind. Es gibt neue Vertiefungsmöglichkeiten im Lehramt wie etwa Kulturelle Bildung, welche im Rahmen des KulturPLUS-Projekts entstanden sind, oder Beratung im schulischen Kontext, die im Rahmen eines gleichnamigen Teilprojekts in WegE weiterentwickelt wurde. Es wurde das Lehramt berufliche Bildung/Sozialpädagogik in Hinblick auf eine bessere Studierbarkeit reformiert.
Drechsel: Wir haben ein Info-Portal Lehrerbildung entwickelt, das auch nach WegE weiter gepflegt werden kann und alle wichtigen Informationen und Neuigkeiten rund um die Lehrkräftebildung an der Universität Bamberg enthält. Wir haben Möglichkeiten geschaffen, dass Lehramtsstudierende einen Teil ihres Studiums oder ein schulbezogenes Praktikum im Ausland absolvieren können. Die Praxisphasen sind jetzt besser verknüpft. Und wir konnten eine Graduiertenschule einrichten. Inzwischen sind an der Bamberg Graduate School of Teacher Education über 20 Graduierte tätig. Das unterstreicht den Forschungsaspekt in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung noch stärker.
Was bleibt von WegE – insbesondere für die Gesellschaft?
Scheunpflug: Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung, zu der auch WegE zählt, hat dazu geführt, dass die Lehrkräftebildung an den Universitäten in ganz Deutschland stärker wahrgenommen wird. Unser Anspruch war es, die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Bamberg zu stärken. Das trägt natürlich auch zur Verbesserung des Unterrichts an Schulen bei, wenn Lehrkräfte von einer verbesserten Ausbildung profitieren. Wir haben zudem im Rahmen des Projekts Beispiele geschaffen und diese publiziert. Ich denke, wir sind bundesweit in der Hinsicht zu einer Referenz geworden, denn andere Standorte, die jetzt in Lehrkräftebildung investieren wollen, können von unseren Erfahrungen profitieren.
Was sind zukünftig weitere Baustellen in der Lehrkräftebildung?
Drechsel: Aus meiner Sicht ist eine der zukünftigen Fragen, wie wir in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung einen schnelleren Zugang finden zu brennenden Themen. Ein gutes Beispiel ist dafür die Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die gibt es zwar, aber sie fließt nur nach und nach in den tatsächlichen Unterricht ein. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind keine Aktionisten, aber mir persönlich geht es manchmal zu langsam. Ich habe die Hoffnung, dass wir mit dem entstehenden Kompetenzverbund lernen:digital in Sachen Digitalität einen Weg finden, das Thema schnell in die Schulen zu bringen.
Scheunpflug: Wir hatten 2016 zum Start von WegE einen Überschuss an Lehrkräften. Inzwischen stehen wir vor einem immer gravierender werdenden Mangel. Das wirft neue Fragen auf zu Rekrutierung – auch von Quereinsteigerinnen und -einsteigern. Zudem wird die Frage, wie Unterrichtsfächer den Spagat hinbekommen zwischen einer wissenschaftsimmanenten Zweckfreiheit und gleichzeitig der Vorbereitung auf eine professionelle Tätigkeit weiterhin eine Herausforderung bleiben. Die Fragen werden also nicht weniger. Und gerade deshalb ist es wichtig, dass wir mit WegE die Chance genutzt haben, uns strukturell besser aufzustellen. Denn nur so können wir auf diese Fragen angemessen reagieren.
Wie geht es jetzt weiter?
Scheunpflug:WegE als Projekt ist jetzt beendet, die angestoßenen Entwicklungen innerhalb der und quer durch die Universität wirken aber weiter. Darauf aufbauend konnten zahlreiche weitere Projekte im Bereich der Lehrerinnen- und Lehrerbildung eingeworben werden. Zudem hat sich der Pool der für die Lehrerbildung engagierten Personen erweitert.
Drechsel: Wir haben aktuell viele Anfragen, dass wir die Dinge, die wir im Rahmen von WegE für und mit unseren Studierenden gemacht haben, auch für fertig ausgebildete Lehrkräfte anbieten sollen. Einiges davon geht jetzt in die Projekte im Rahmen des Kompetenzverbundes lernen:digital über.
Weber: Bei diesen fünf Projekten sind weit über 50 Personen von der Universität Bamberg beteiligt. Hier zeigt sich auch wieder die enorme Vernetzungspower, die wir mit WegE aufgebaut haben.
Vielen Dank für das Gespräch!