Giuseppe Verdis Requiem aus der Zeit um 1870 steht neben den anderen großformatigen spätromantischen Vertonungen der Totenmesse durch Johannes Brahms und Antonin Dvorák, aber sie besitzt ohne Zweifel den größten Überwältigungscharakter. Das liegt zum einen an der sich wie ein Roter Faden durch das Werk ziehenden Vertonung der „Dies irae“-Sequenz, zum anderen an seiner opernhaften Dramatik. Das allein schon deutet auf einen hohen Herausforderungsgrad hin, vor dem ein nur teils aus semiprofessionellen – oder gar professionellen – Musikerinnen und Musikern bestehendes Ensemble steht.

Aber da gibt es ja Wilhelm Schmidts, den Bamberger Universitätsmusikdirektor (UMD), der nun schon seit Jahren kapitale Werke aus dem symphonischen oder oratorischen Bereich auf die Bühne des Joseph-Keilberth-Saals oder in die AULA der Universität bringt. Und dieser UMD hat längst bewiesen, dass er nicht nur die Ortskräfte zu motivieren versteht, sondern auch seine guten Verbindungen in der Musikwelt, zumal zur Würzburger Musikhochschule, für Bamberg zu nutzen weiß. Denn eines ist klar: spätestens bei der Besetzung von anspruchsvollen Gesangspartien ist Schluss mit dem Amateurstatus, da müssen die Profis ran.
Gleich eingangs zeigte der in großer Besetzung aufgetretene Chor seine Qualitäten, und sei es zu Beginn auch nur durch seinen breiten und warmen Pianoklang. Doch das „Te decet hymnus“ unterbricht vehement das fast hingehauchte „Requiem aeternam“ und führt über das „et lux perpetua luceat eis“ zu den ersten opernhaften Ausbrüchen im „Et tibi reddetur“. Bald zeigte sich, dass die Auswahl der Vokalsolisten und -solistinnen ganz in diesem Sinne waren, denn mit Anna Nesyba (Sopran), Nora Steuerwald (Mezzosopran), Matthias Koziorowski (Tenor) und Magnus Piontek (Bass) waren Stimmen aufgeboten, die sich im Joseph-Keilberth-Saal auch gegen ein groß besetztes Symphonieorchester durchsetzen konnten, oder besser: mit ihm klanglich gestalten konnten.

Es folgt das Paradestück des ganzen Requiems, das berühmte „Dies irae“ mit seiner umwerfenden Klanggewalt. Mit sicheren Einsätzen gelingen die „Dies irae“-Einwürfe der einzelnen Chorstimmen, und wenn dann die Trompeten den vor dem Herrn fälligen "Rechenschaftsbericht" anstimmen, wird's quadrophon, denn die vier Bläser sind auf den seitlichen Emporen aufgestellt – Verdi wollte es eigentlich „in lontananza ed invisibili“. Das mündet in den gewaltigen Sekundakkord, der im Tutti hinabsteigt und sich erst in der „Tronca“ vor dem nächsten Textabschnitt – „Mors stupebit“, das von Magnus Piontek bedrohlich eingeworfen wird, – auflöst.
Das „Liber scriptus“ wird eindringlich gestaltet von Nora Steuerwald, kein Wunder, es ist ja auch das Buch der Sünden, das da aufgeschlagen wird. Und immer wieder erinnert uns der Chor ans „Dies irae“. Wunderbar gelingt das „Quid sum miser“-Terzett im Pianissimo, begleitet von einem trefflichen Fagott. Der Sopran Anna Nesybas besticht mit leichten Höhen und edlem Timbre. Im „Rex tremendae“ wird's dramatisch, und die folgende Bitte um Gnade muss Verdi besonders viel bedeutet haben, denn sie endet in einer klanglichen Apotheose sondersgleichen.

Im „Recordare“ wird's klanglich sanfter, oder besser: milder, denn das will schon der Text so. Die Duettpartien darin von Sopran und Mezzo sind ideal aufeinander abgestimmt, da will keine die andere übertrumpfen. Im „Ingemisco tanquam reus“ zeigt sich mit Matthais Koziorowski ein durchschlagender Tenor, absolut opernhaft, doch ab den Worten „et ab hoedis“ präsentiert er auch ein elegantes Piano. Doch nun wird's ernst, denn der Bass ruft zu den Verdammten mit „Confutatis maledictis“. Das Latein des Messtextes wurde richtigerweise italienisch ausgesprochen, übrigens durchgehend von allen Solisten und Choristen sehr textverständlich.
Vor dem trostreichen „Lacrimosa“ erklingt abermals das kraftraubende „Dies irae“, das auch dem Orchester Extremes abverlangt. Im „Dona eis requiem“ wendet sich alles ins Dur, was natürlich die lichte Stimmung des Offertoriums vorwegnimmt. Das „Hostias et preces“, von den Tenören oft genug ins Heldenhafte gewendet, wird von Matthias Korziorowski mit dem von Verdi verlangten dolcissimo gesungen. Dann stimmt der Bass das „Quam olim Abrahae“ energisch an, und im „de morte transire“ lässt sich hören, welch famose Holzbläser sich im Orchester eingenistet haben. An das letzte Aufbäumen des „Quam olim“ schließt sich hymnisch das Sanctus an – welch prägnantes Osanna!

Großer Stimmungswechsel ist im „Agnus Die“ angesagt, das die beiden Frauenstimmen in bewusster Simplizität einleiten, nämlich im perfektem Unisono des alten Litaneien-Tons. Dass die beiden Solistinnen auch Andeutungen von Seufzern einbauten, war durchaus passend, denn der Text sehnt sich fast danach, das bereits erwähnte Opernhafte sowieso. Das „Lux aeterna“ greift auf den Anfang und den Wunsch, ewiges Licht möge ihnen leuchten („...luceat eis“) zurück, doch bald mahnt der Bass wieder und geht mit seinem düsteren „Requiem aeternam“ dazwischen. Freilich lichtet sich, von Flötenklängen unterstützt, das Klangbild wieder.
Der Sopran kündigt das „Libera me“ an und entwickelt hier ein sehr eindrucksvolles Drama. Das erstaunt umso mehr, als Anna Nesyba eigentlich von der Alten Musik herkommt. Ihre letzten Töne auf das „Luceat eis“ sind schlichtweg bezaubernd. Hier tacet das Orchester, und es ist bewundernswert, dass Chor und Solo intonatorisch so sauber über diese A-capella-Stelle hinweg aufeinander abgestimmt bleiben. Wer weiß, wie leicht die Vokalistinnen und Vokalisten intonatorisch absinken können, wenn sie vom Orchester im Stich gelassen werden, kann hierüber nur staunen.
Die Schlussfuge auf das „Libera me“ wird vom Chor fast als Kabinettstück dargeboten und kulminiert in den grandiosesten zwölf Takten des ganzen Requiems, wo die Sopranistin sich die Todesbefreiung vom Leibe singt, indem sie bis zum hohen C emporklettert, um anschließend in drei hinabsteigenden Terzschritten das Pianissimo-Finale einzuleiten. Der Chor schafft sogar noch die dynamische Abschwächung ins fast flüsternde Piupianissimo, bravo!

Ein summarisches Fazit dieser beeindruckenden Darbietung von Bambergs Universitätsmusik lässt sich schwerlich ziehen, denn in einem Klangkörper, dessen Bandbreite von der Musikliebhaberei bis zum Profitum reicht, kann nicht alles homogen sein. Da darf auch mal eine leicht verwischte Cello-Intonation vorkommen, und ein Kiekser im Blech lässt sich sowieso verschmerzen. Alles in allem hat Wilhelm Schmidts aber einmal mehr bewiesen, dass er die universitäre Musikausübung auf einem exzellenten Niveau hält. Und dass er als Dirigent sicher und inspirierend durch ein solch anspruchsvolles Meisterwerk zu lenken versteht.
