Abnehmen beginnt im Kopf

Dafür gibt es jetzt die App I-GENDO

Dicker Mann läuft auf dem Laufband.
  • Forschung
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  • 14.06.2021
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  • Tanja Färber, Caroline van der Velde, Jörg Wolstein, Sabine Steins-Löber
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  • Lesedauer: 14 Minuten

Immer mehr Menschen nutzen Smartphone-Apps als Unterstützung zur Gewichtsabnahme. Es existieren zahlreiche Apps, die helfen sollen, sportliche Aktivitäten oder Kalorienverbrauch zu tracken, um kurzfristige Diäterfolge zu erzielen. Doch für eine langfristige Gewichtsabnahme sollte die Rolle psychologischer Aspekte nicht unterschätzt werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bamberg haben deshalb eine App entwickelt, die auch Psychologie im Gepäck hat: die I-GENDO-App.

Wir sitzen zu viel, wir bewegen uns zu wenig, wir ernähren uns zu unausgewogen. Eine Änderung von Ernährung und Bewegung stellen die Grundpfeiler einer Gewichtsabnahme dar. Doch warum fällt es uns so schwer, damit anzufangen und eine Gewichtsabnahme langfristig aufrechtzuerhalten? Faktisch nehmen wir zwar Körpergewicht ab, wenn mehr Energie verbraucht als aufgenommen wird. Doch um langfristig das Ernährungs- und Bewegungsverhalten ändern zu können, bedarf es einer Änderung verschiedener, damit zusammenhängender psychologischer Faktoren. Genau daran wollen psychologische Behandlungen ansetzen.

Psychologische Maßnahmen bei der Gewichtsreduktion

Zu Beginn einer psychologischen Behandlung stehen zunächst der Motivationsaufbau und das Setzen realistischer Ziele im Vordergrund, bevor anschließend der individuelle Behandlungsplan entwickelt wird. Im Zusammenhang mit Essverhalten und Übergewicht findet in psychologischen Behandlungen besonders die Rolle der Gefühle und Gedanken Beachtung. So weiß man, dass unangenehme Gefühle häufig mit zwar kurzfristig wirksamen, aber langfristig ungünstigen Verhaltensweisen wie zum Beispiel Frustessen reguliert werden. Neben vielen Übungen innerhalb der Behandlungsstunden haben auch Hausaufgaben und Selbstbeobachtungen einen wichtigen Stellenwert. Beispielsweise wird daran gearbeitet, auch im Alltag Hunger und Sättigung zu erkennen oder grundlegende Fertigkeiten wie Strategien zur Emotionsregulation und Stressbewältigung einzuüben. Die Abschlussphase einer psychologischen Behandlung verfolgt das Ziel, das Gelernte zu festigen und Strategien zur Vermeidung von Rückfällen in alte Verhaltensmuster zu entwickeln, um langfristig Gewicht abzunehmen oder zu halten. Die I-GENDO-App unterstützt Menschen bei der Veränderung individueller psychologischer Mechanismen, die die Gewichtsabnahme beeinfl us-sen. Von der Universität Bamberg haben der Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie unter Leitung von Sabine Steins-Löber sowie die Professur für Pathopsychologie, die Jörg Wolstein innehat, die App mitentwickelt. Sie kooperierten dafür mit dem Chefarzt Stephan Herpertz und seiner Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum der Ruhr-Universität Bochum sowie der Bayreuther IT-Firma groupXS.

Kernmerkmale von I-GENDO

In einem zwölfwöchigen Trainingsprogramm absolvieren I-GENDO-Nutzerinnen und -Nutzer verschiedene Trainingsinhalte, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Die Inhalte der App werden, basierend auf verschiedenen Anga-ben und Einstellungen rund um das persönliche Übergewicht, zusammengestellt. Das bedeutet zum Beispiel, dass eine Person, die eine geringe Selbstkontrolle aufweist, verstärkt Inhalte bekommt, die das Kontrollerleben im Zusammenhang mit Essen und Bewegung stärken. Das Training umfasst Wissensvermittlung und verschiedene Übungen, die in der App oder auch direkt im Alltag ausprobiert werden können. Zusätzliche hilfreiche psychologische Tipps und Tricks werden durch Text, Audio- und Videodateien vermittelt und Push-Benachrichtigungen sollen die Teilnehmenden daran erinnern, die Inhalte auch regelmäßig zu bearbeiten. Das zwölfwöchige Training kann von den Userinnen und Usern selbstständig an mehreren Stellen an die eigenen Vorlieben angepasst werden. So können sie zu Beginn des Trainings ihren eigenen Coach wählen, der sie durch die App führt, und je nach Coach-Persönlichkeit auf verschiedene Arten und Weisen Tipps gibt und motiviert. Sie können darüber hinaus auch wählen, auf welche Art und Weise die Inhalte vermittelt werden sollen, zum Beispiel mögen manche Personen Erklärungen lieber anhand von Fallbeispielen, wohingegen andere diese lieber anhand von abstrakten Fakten und Zahlen dargestellt bekommen möchten. Die Aufbereitung der Inhalte in den jeweiligen Varianten basiert dabei durchweg auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über geschlechtsspezifi sche Aspekte in der Behandlung von Übergewicht.In der I-GENDO-App werden viele verschiedene Informationen und Übungen präsentiert. Die Nutzerinnen und Nutzer sollen für sich herausfinden, was ihnen besonders hilft, und können für sie besonders hilfreiche Übungen auf einem in der App schnell zugreifbaren Platz ablegen, dem sogenannten Favoritenspeicher. Die I-GENDO-App bietet auch die Möglichkeit zur Selbstbeobachtung von Hunger- und Sättigungsgefühl. Dazu können zusätzlich verschiedene psychologische Faktoren eingetragen werden, auf Basis derer die App dann eine individuelle Rückmeldung darüber gibt, was das Hungergefühl beeinflusst.

Evaluation von I-GENDO

Während eine Vielzahl von Apps zur Verfügung stehen, die den Anspruch haben, Menschen bei der Reduktion ihres Gewichts effektiv zu unterstützen, wurden die wenigsten dieser Anwendungen im Hinblick auf ihre Wirksamkeit überprüft. Im Gegensatz hierzu ist die Überprüfung der Akzeptanz, Nutzung und insbesondere Wirksamkeit von I-GENDO ein zentraler Bestandteil des Projekts. Im Frühling 2021 erfolgt zum einen eine systematische Erfassung der Akzeptanz und Nutzung der verschiedenen Module von I-GENDO sowie die Überprüfung, welche Auswirkungen die Nutzung von I-GENDO auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten von Männern und Frauen mit Übergewicht und Adipositas hat und ob es letztlich zu einer Gewichtsabnahme kommt. Hierzu wird eine Studie durchgeführt, bei der sich Betroffene bereit erklären, die App zu nutzen und vor sowie direkt nach Abschluss des zwölfwöchigen Trainings Fragen zu ihrer Befindlichkeit, Ernährung und Gewicht zu beantworten. Diese Daten dienen dazu, im Vorher-Nachher-Vergleich Veränderungen des Verhaltens der Studienteilnehmenden zu ermitteln und geschlechtsspezifische Unterschiede zu analysieren. Um auch die langfristige Stabilität eventueller Veränderungen zu überprüfen, werden die Teilnehmenden auch ein halbes Jahr sowie ein ganzes Jahr nach Beendigung der zwölfwöchigen Trainingsphase gebeten, erneut Fragen zu beantworten. Damit sichergestellt werden kann, dass Veränderungen auch tatsächlich auf die Nutzung der App zurückzuführen sind, werden diese Daten mit den Daten einer Vergleichsstichprobe verglichen, die die App während des Studienzeitraums noch nicht nutzte.Während es zwar aufgrund der im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erlassenen Kontaktbeschränkungen zu Verzögerungen bei der Studiendurchführung kam, konnte zwischenzeitlich nun die Phase der Vorher-Nachher-Erhebungen erfolgreich abgeschlossen werden. Die Phase der Nachbefragungen wird im Laufe des Jahres abgeschlossen sein. Sollten die Ergebnisse der Studie darauf hinweisen, dass die I-GENDO-App eine wirksame Ergänzung zur bisherigen psycholo-gischen Therapie von Übergewicht darstellt, soll die App in verschiedenen weiteren Kontexten verbreitet werden.

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Seite 147775, aktualisiert 26.10.2021