Bestimmte Themen, Personen und Positionen nehmen in unterschiedlichen Medienkanälen prominente Plätze ein, während andere in den Hintergrund rücken. Wie es dazu kommt, untersuchen Forschende schon lange. Jetzt kommen neue Technologien wie soziale Medien und maschinelles Lernen hinzu. Die Digitalisierung verändert nicht nur das Mediensystem, sondern auch die Forschung darüber.
Das uns täglich mit Information versorgende Mediensystem birgt ein interessantes Problem: Zum einen öffnet es sich zunehmend einem breiteren Kreis von Institutionen und Personen, die Inhalte produzieren, konsumieren und verbreiten, und wirkt damit transparenter als zuvor. Die partizipative Natur sozialer Medien und ein Strukturwandel im Zuge der digitalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft vereinfachen den Zugang zu Nachrichten und Information aus unterschiedlichsten Medienkanälen. Das Informationsangebot bezüglich relevanter gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, kultureller und politischer Themen war nie umfänglicher, transparenter und einfacher zu erschließen als es heutzutage der Fall ist. Zum anderen sehen wir uns zunehmend mit Phänomenen konfrontiert, welche auf eine erhöhte Intransparenz und sehr eingeschränkte Berechenbarkeit schließen lassen. Ob im Zuge des US-Wahlkampfs, der andauernden Pandemie, des Klimawandels oder der öffentlichen Diskussion um Künstliche Intelligenz – häufig verlieren wir uns auf der Suche nach Information in den Untiefen des Mediensystems. Es konfrontiert uns mit einer Flut an Information, der wir zuweilen orientierungslos gegenüberstehen und die wir schlimmstenfalls mit einem Vertrauensverlust beantworten.
Prominenz, Macht und Einfluss
Oft stellt sich dabei eine einfache Frage: Warum werden bestimmte Themen, Personen und Positionen prominent dargestellt, während andere in den Hintergrund rücken? Im Schatten dieser Frage finden zahlreiche Diskussionen um die negativen Seiten der Veränderung des Mediensystems statt, zum Beispiel im Kontext von Filterblasen, Polarisierung oder gezielten Manipulationsversuchen. Diese sind regelmäßig mit vermeintlich fundamentalen Bedrohungen, etwa in Form von Fake News und Social-Bots, assoziiert. Während die Frage nach derartigen Phänomenen relevant ist, findet der akademische und öffentliche Diskurs aus dieser Perspektive zuweilen jedoch auf einer zweifelhaften empirischen und konzeptionellen Basis statt; nachhaltige Antworten bleiben häufig aus. Dabei ist die Frage an sich nicht neu – bereits seit dem letzten Jahrhundert, dem Zeitalter traditioneller Massenmedien, gibt es substanzielle, langfristig angelegte und ergebnisreiche Untersuchungen dazu. Fragen nach Macht und Einfluss sind ein fundamentaler Bestandteil angrenzender Forschungsbereiche. Um der Frage im Zeitalter der digitalen Transformation gerecht zu werden, bedarf es jedoch zunächst eines tiefergreifenden Verständnisses des heutigen Mediensystems.
Veränderungen im Mediensystem: Rollen und Technologien
Betrachtet man unsere heutige Medienlandschaft, so kann man, neben zahlreichen Änderungen, vor allem Neuerungen hinsichtlich der Rolle von beteiligten Akteuren sowie eingesetzten Technologien feststellen. Bezüglich der Rollenverteilung beobach-ten wir heute neu- und andersartige Aufgaben und Verhaltensweisen. Während es in der Vergangenheit eine klare Trennung zwischen produzierenden und konsumierenden Akteuren gab, sind Produktion und Konsum von Information heutzutage nur schwer traditionellen Rollen zuzuschreiben. Wer beispielsweise auf Twitter eine Nachricht verfasst oder weiterleitet, wird selbst ein produzierender Teil des Systems. Institutionen, welche auf diese Inhalte reagieren, etwa durch das Aufgreifen in der redaktionellen Berichterstattung oder die Auswertung zur Identifikation relevanter Themen oder Stimmungen in der Bevölkerung, nehmen eine konsumierende Position ein. Daraus resultieren komplexe Wechselwirkungen, die bislang nur zum Teil verstanden und grundsätzlich schwer zu untersuchen sind. Der zweite entscheidende Faktor ist der Wandel der Technologie, welche dem System zugrunde liegt. Während Printmedien, Radio und Fernsehen auch heute noch von Bedeutung sind, spielt sich ein nicht unerheblicher Teil der Produktion, des Konsums und der Verbreitung von Information und Nachrichten im Internet, insbesondere in sozialen Medien ab. Zum einen sind die Möglichkeiten dieser Technologien Grundlage für die zuvor beschriebene Transformation klassischer Rollen und Aufgaben; sie erlauben vielfältigere Medienformate, eine schnellere, weitreichendere Verbreitung von Information, einen demokratischen und zeitlich nahezu unbeschränkten Zugang. Zum anderen treten sie zunehmend als Mediator auf. Während früher Institutionen und Personen, zum Beispiel Redaktionen sowie Journalistinnen und Journalisten, als Filter für den Zugang zu Informationen fungierten, übernehmen diese Funktion heute häufig Algorithmen. Diese greifen auf Verfahren aus dem Bereich des maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz zurück. Trainiert werden diese Verfahren auf Basis digitaler Spurendaten; nutzerbezogene Daten, die kontinuierlich erzeugt werden, wann immer mit der Technologie interagiert wird. Welche Zielfunktion den Verfahren dabei zugrundegelegt wird, wonach sie also die Darstellung von Inhalten an die Nutzerinnen und Nutzer optimieren sollen, obliegt dabei den Plattformbetreibern. Häufig ist deren Ziel nicht nur, qualitativ hochwertige oder besonders vertrauenswürdige Inhalte, Personen und Themen in das Newsfeed der Zielgruppen einzuspielen, sondern Klickzahlen und Verweildauern auf den jeweiligen Plattformen zu optimieren. Gewöhnlich passiert dies unsichtbar für die Konsumierenden; die Technologie optimiert im Hintergrund, still und intransparent für die Empfängerinnen und Empfänger. Neben den vielen anderen Neuerungen unseres heutigen Mediensystems lassen sich anhand dieser Eigenschaften bereits zentrale Fragen ableiten, wenn es um die Frage nach Prominenz und Macht im System geht:
- Welcher Logik folgen traditionelle und neuartige Akteure in der Produktion und Selektion von Inhalten sowie in der Darstellung der in diesen behandelten Themen und Personen?
- Wie sehen die Wechselwirkungen zwischen redaktioneller Berichterstattung und nutzergene-rierten Inhalten aus und wie beeinfl ussen diese die Prominenz von Themen und Akteuren im öffentlichen Diskurs?
- Welche Rolle spielt dabei Technologie als vermit-telnder Faktor, insbesondere in Form von Ver-fahren und Technologien aus den Bereichen des maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz?
Ein interdisziplinäres Problem
Einer der Gründe, warum wir auf diese Fragen bislang bestenfalls partielle Antworten haben, ist offensichtlich: Sie sind weitreichend und schwer zu untersuchen. Neben der Notwendigkeit des Zugangs zu häufig herstellergebundenen und nutzerbezogenen Daten bedarf es zu ihrer Beantwortung insbesondere eines interdisziplinären Zugangs und neuartiger Untersuchungsmethoden. In dem oben skizzierten Themenkomplex verschmelzen Gegenstände unterschiedlicher Forschungsbereiche aus den Sozialwissenschaften und der Informatik, insbesondere der Computational Social Science sowie der Forschung zu Informationssystemen und Künstlicher Intelligenz. Um die genannten Fragen beantworten zu können, sind Perspektiven, Theorien, Methoden und Erkenntnisse aus allen beteiligten Bereichen notwendig. Dabei werden unter anderem Methoden benötigt, mittels derer Muster in multimedialen und längsschnittlichen Datensätzen erheblicher Größe identifiziert werden können. Diese kommen – etwa für die Analyse von Text-, Bild-, Video- und Netzwerkdaten – oft selbst aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz beziehungsweise des maschinellen Lernens. Antworten auf die genannten Fragen versprechen bessere Einblicke in das Mediensystem. Sie vermitteln ein besseres Verständnis von relevanten und kontrovers diskutierten Phänomenen, wie etwa der Verbreitung von Miss- und Desinformation oder der Existenz von Filterblasen und Echokammern.