Zugewanderte Arbeitskräfte in Europa

Studienergebnisse: EU-Großprojekt GLOMO hat erforscht, wie Karriere und Auslandstätigkeit zusammenhängen.

  • Forschung
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  • 08.12.2022
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  • Patricia Achter
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  • Lesedauer: 6 Minuten

Das Projekt GLOMO hat erforscht, wie Karriere und Auslandstätigkeit zusammenhängen, um langfristig gegen den zunehmenden Arbeitskräftemangel in der EU vorzugehen. Koordiniert wurde es von der Universität Bamberg. Nun liegen Forschungsergebnisse vor.

Acht Partnereinrichtungen aus Europa haben ein einzigartiges Netzwerk von Expert*innen aufgebaut, das sich auf die globale Arbeitskräftemobilität spezialisiert hat. Durch eigene Forschungen und einen intensiven Austausch mit der Praxis wollen sie zur Entwicklung von Strategien zur Überwindung von Mobilitätsbarrieren und letztlich auch zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels in der Europäischen Union beitragen. Forschende dieser Partnereinrichtungen untersuchten im Großprojekt „GLOMO – Global mobility of employees“, wie berufliche Karrieren und Auslandstätigkeit zusammenhängen. Im Oktober 2022 haben 15 internationale Doktorandinnen und Doktoranden aus unterschiedlichen Fächern einige ihrer Ergebnisse in einem Sammelband veröffentlicht.

Audit für sehr gute internationale Organisationen

Welche Auswirkungen hat die Arbeitskräftemobilität auf Einzelpersonen, Organisationen, europäische Gesellschaften und Volkswirtschaften? Das erforschten die Wissenschaftler*innen von 2018 bis 2022 aus betriebs- und volkswirtschaftlicher, psychologischer, soziologischer und politikwissenschaftlicher Perspektive. „Neben der umfangreichen Grundlagenforschung war eines der praktischen Ziele von GLOMO, ein Audit beziehungsweise Siegel zu entwickeln, das Organisationen honoriert, die sehr gute Arbeitsbedingungen für internationale Mitarbeitende bieten“, erklärt Prof. Dr. Maike Andresen von der Universität Bamberg, die GLOMO initiierte und von 2017 bis 2021 koordinierte. Das Gesamtprojekt kann dem Bamberger Forschungsschwerpunkt „Empirische Sozialforschung zu Bildung und Arbeit“ zugerechnet werden.

Für das Audit „International Employer“ erstellte das Forschungsteam einen Kriterienkatalog. Dieser wird auch nach dem Auslaufen der Projektförderung weiterentwickelt und soll Organisationen helfen, ihre Stärken und Schwächen bei der Rekrutierung und Förderung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland zu ermitteln und mit Durchschnittswerten anderer Unternehmen zu vergleichen.

Integration ins Herkunfts- und Aufnahmeland ist wichtig

Vier Nachwuchswissenschaftler*innen der Universität Bamberg arbeiteten an dem Großprojekt mit – unter ihnen die Nordmazedonierin Monika Bozhinoska Lazarova und die Vietnamesin Anh Nguyen. Die Sozial- und Organisationspsychologin Anh Nguyen erforschte, was eingewanderte Beschäftigte dazu bewegt, langfristig bei einer Organisation im Ausland zu bleiben. Ein Ergebnis lautet, dass Arbeitgeber diese dabei unterstützen sollten, die Verbindung mit ihrem Heimatland aufrecht zu erhalten. Warum? „Internationale Mitarbeitende, die gleichzeitig im Herkunfts- und im Aufnahmeland integriert sind, fühlen sich wohler, zeigen bessere Arbeitsergebnisse und haben größeres Interesse, im Aufnahmeland und bei dem Arbeitgeber zu bleiben als Expatriates, die nur im Gastland eingebunden sind“, sagt Anh Nguyen. Die Ressourcen dieser Mitarbeitenden sind oft größer, beispielsweise trösten ihre Familien in der Heimat sie bei Stress. Und sie verfügen über weitreichende berufliche Netzwerke, auf die sie sich in ihrer Karriere stützen können.

Anh Nguyens und Maike Andresens Umfrage unter 707 zugewanderten Arbeitnehmer*innen in Europa zeigt: Die meisten Befragten waren nur in ihr Heimatland, nicht in ihr Aufenthaltsland integriert (51 Prozent). 43 Prozent integrierten sich im Gastland vor allem in das private und soziale Leben, 2 Prozent vornehmlich in das Arbeitsleben. Die Zugewanderten, die sich sowohl in ihrem Heimat- als auch in ihrem Aufenthaltsland erfolgreich integriert haben, machen nur 4 Prozent der Befragten aus.

Darüber hinaus zeigt eine Längsschnittstudie der beiden Forscherinnen von 107 Expatriate-Doppelverdienerpaaren, dass Expatriates immer dann eine besonders hohe Karrierezufriedenheit empfinden, wenn sie auch in das soziale Leben im Ausland integriert sind. Die Paare stellen zudem gegenseitig wesentliche Ressourcen bereit, indem sie die Einbettung in das soziale Leben im Ausland und die Karrierezufriedenheit der Partnerin oder des Partners fördern.

Deshalb empfehlen die beiden Forscherinnen, dass „politische Entscheidungsträger*innen und Arbeitgeber die Vorteile dieser Zugehörigkeit erkennen und geeignete Förderungsmaßnahmen für Zugewanderte einführen.“ Zum Beispiel müssten öfter Arbeitserlaubnisse für die Partner*innen von Zugewanderten erteilt und Unterstützungssysteme für Migrantenfamilien bereitgestellt werden. Weitere Umfrageergebnisse stellt Anh Nguyen in einem Artikel im kürzlich veröffentlichten Sammelband „Wanderlust to wonderland? Exploring key issues in expatriate careers: Individual, organizational, and societal insights“ vor. Maike Andresen, die ihre Doktorarbeit betreut, ist Mitherausgeberin der Publikation.

Wenige Zugewanderte engagieren sich in Parteien

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene untersuchte die Politikwissenschaftlerin Monika Bozhinoska Lazarova, wie sich die Integrations- und Einwanderungspolitiken europäischer Staaten auf die Bereitschaft von Zugewanderten auswirken, sich in politischen Parteien zu engagieren. Denn: „Die Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Leben in den neuen Heimatländern ist ein wichtiger Bestandteil der Integration und Voraussetzung für ein demokratisches Europa“, erläutert die Doktorandin.

Ihre Auswertung der Befragung von über 43.000 Personen in 25 europäischen Demokratien ergab, dass Zugewanderte der ersten Generation in deutlich geringerem Maße am gesellschaftlichen und politischen Leben ihrer neuen Heimatländer teilhaben. Dadurch haben sie auch weniger Gestaltungsmöglichkeiten als Bürger*innen ohne Migrationshintergrund oder Zugewanderte der zweiten Generation. Ihre wichtigsten Befunde sind, dass Eigenschaften der Herkunftsländer sowie Bildung und beruflicher Status die Integration in hohem Maß beeinflussen können. Wichtige Erkenntnisse für das GLOMO-Gesamtprojekt sind vor allem: Integrative gesetzliche Rahmenbedingungen in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, die Möglichkeiten zum Erwerb der Staatsbürgerschaft und wirksame Maßnahmen zur Verhinderung von Diskriminierung können die Barrieren zur Beteiligung Zugewanderter deutlich reduzieren.

 „Zugewanderte treten in Parteien ihres neuen Heimatlandes dann ein, wenn sie dessen Staatsbürgerschaft besitzen, großes Selbstvertrauen haben und daran glauben, dass sie mit ihrem Engagement auf offene Ohren stoßen“, fasst Monika Bozhinoska Lazarova ihre Studienergebnisse zusammen. Eine weitere Erkenntnis: Personen aus undemokratischen Staaten haben oft weniger Vertrauen in demokratische Politik. Sie treten auch in ihrer neuen Heimat seltener politischen Parteien bei. „Interessanterweise überwinden Zugewanderte ihre Vorbehalte eher, wenn sie in der neuen Heimat eine gute Integrationspolitik erleben“, ergänzt die Doktorandin, die von den Bamberger Politikwissenschaftlern Olaf Seifert und Prof. Dr. Thomas Saalfeld unterstützt wurde.

Sowohl Anh Nguyen als auch Monika Bozhinoska Lazarova bleiben nach dem GLOMO-Projekt an der Universität Bamberg tätig. Sie schließen ihre Doktorarbeiten an der Bamberg Graduate School of Social Sciences (BAGSS) ab. Die BAGSS bietet neben der Unterstützung Promovierender durch Stipendien ein förderndes Arbeits- und Bildungsumfeld für hochgradig qualifizierte Doktorandinnen und Doktoranden. Beide Doktorandinnen wollen danach am liebsten weiterforschen: Anh Nguyen möchte sich damit beschäftigen, wie sich zugewanderte Arbeitskräfte emotional an eine andere Kultur anpassen. Und Monika Bozhinoska Lazarova möchte vielfältige Fragestellungen der Migrationsforschung bearbeiten.

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Seite 155304, aktualisiert 08.12.2022