„GENIAL forschen“ – so lautet die Abkürzung für ein neues, durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Projekt. „GENIAL“ steht dabei für „GEschlechterpoteNzIALe nutzen – Gesellschaft verändern“. Ziel ist es, geschlechtersensible, bedarfsorientierte Forschung zu stärken und an der Universität Bamberg zu etablieren. Prof. Dr. Astrid Schütz, Inhaberin des Lehrstuhls für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik sowie Frauenbeauftragte der Universität, verrät im Interview mehr zum Projekt, wie sich alle Forschenden der Universität einbringen können und warum Forschung die Variable Geschlecht überhaupt berücksichtigen sollte.
Liebe Frau Schütz, wieso ist geschlechtersensible Forschung überhaupt wichtig?
Astrid Schütz: Ein Ziel von Wissenschaft ist es, die Lebensqualität von Menschen zu verbessern. Exzellente und innovative Forschung sollte sich daher am Nutzen für alle Menschen orientieren. Es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen, was geschlechtersensible Forschung bewirken kann: In der Medizin führte sie etwa zu neuen Erkenntnissen bezüglich der Diagnose und Therapie von Herzinfarkten. In der Mobilitätsforschung zeigt sich, dass Städte und Infrastrukturen für alle sicherer werden, wenn die Planung geschlechtersensibel erfolgt. In der Klimaforschung ist eine differenzierte Analyse notwendig, um Anpassungsstrategien zu entwickeln, weil Menschen auch geschlechterabhängig unterschiedlich vom Klimawandel betroffen sind.
Was bedeutet Geschlechtersensibilität eigentlich?
Geschlechtersensibilität allgemein bedeutet, dass das Verständnis für und die Berücksichtigung von Faktoren vorliegen, die zu einer geschlechtstypischen Ausgrenzung und Diskriminierung in unterschiedlichsten Bereichen des Lebens führen können. Die Diskriminierung muss nicht bewusst erfolgen, sondern kann, beispielsweise im Fall der Forschung, auch aus der Nicht-Berücksichtigung der Geschlechterkategorie resultieren. Die Folge sind Datenlücken, auch bezeichnet als „Gender Data Gap“. Geschlechtersensibles Forschen hilft, den bereits bestehenden Gender Data Gap zu schließen.
Momentan scheint das Thema präsenter denn je. Warum ist das so?
Bereits seit einiger Zeit betonen Expert*innen den Bedarf an geschlechtersensibler Forschung. Bisherige Forschungsarbeiten berücksichtigen die Geschlechterdimension aber oft nicht ausreichend. Einige Forschungsarbeiten zeigen, dass wichtige Aspekte übersehen werden, wenn man nur ein Geschlecht berücksichtigt – etwa, wenn Medikamente vor allem an Männern getestet werden. Selbst an unserer Universität ist bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung Geschlecht keine Variable, was für differenzierte Beachtung aber wichtig wäre. Aber wir sind auf einem guten Weg. Auch außerhalb der Wissenschaft wird das Thema jetzt zunehmend aufgegriffen. Ein Augenöffner für viele war zum Beispiel das Buch „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez, welches sich mit genau der Thematik der Daten- und Wissenslücke beschäftigt.
Welchen Beitrag kann die Universität Bamberg leisten und wie ist sie bisher aufgestellt?
Die Universität Bamberg bekennt sich klar zu Diversität und tritt für Chancengerechtigkeit ein. Gleichstellung ist dabei eine Querschnittsaufgabe, die durch die Vizepräsidentin für Diversität und Internationales koordiniert und von der gesamten Universitätsleitung unterstützt wird. So ist der Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs stark engagiert, die Bamberger Forschung diverser und geschlechtersensibel aufzustellen. Die ausgeprägte Interdisziplinarität der Universität ist dabei eine Stärke. Im 2019 verabschiedeten Gleichstellungskonzept wurde auch die Förderung geschlechterrelevanter Inhalte in der Forschung betont. Etliche Forschende an der Universität Bamberg sind außerdem bereits Expert*innen für geschlechtersensible Forschung und können ihr Wissen und ihre Erfahrungen zukünftig im Netzwerk „Geschlechtersensible Forschung“ weitergeben, welches sich gerade im Aufbau befindet.
Wie fügt sich das Projekt GENIAL ein?
Das Projekt wurde gemeinsam mit dem Frauenbüro eingeworben und wird vom BMBF mit 50.000 Euro bis Februar 2023 gefördert. Ziel ist es, geschlechtersensible und bedarfsorientierte Forschung zu stärken und an der Universität zu etablieren. Künftige Forschung soll insofern in größtmöglichem Umfang geschlechtersensibel sein. Nur Forschung, die entsprechend aufgestellt ist und Diversitätsmerkmale berücksichtigt, kann auch international wettbewerbsfähig bleiben.
Können Sie noch genauer werden?
Zur strukturellen Verankerung gehört etwa die nachhaltige Sensibilisierung der Forschenden für die Relevanz der Geschlechterdimension, aber auch die Bündelung der Genderexpertise. Darüber hinaus soll die Geschlechterdimension im Beratungsprozess bei der Drittmittelakquise verankert werden. Bei der Einwerbung kompetitiver Drittmittel von EU und Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) sind Diversität und Geschlechtersensibilität inzwischen wichtige Beurteilungskriterien. Außerdem ist der Transfer von Forschungserkenntnissen, die allen Menschen nützen, ein wichtiger Eckpfeiler. Aktuell liegt der Fokus auf Männern und Frauen. Perspektivisch wollen wir aber weitere Vielfaltsmerkmale und deren Zusammenspiel ansehen. Dazu zählen zum Beispiel Migration oder Menschen aus Familien mit und ohne akademischen Hintergrund.
Wie ist das Projekt angelaufen und welche konkreten Maßnahmen werden umgesetzt?
Die bisherige Resonanz ist sehr positiv. An einem Workshop zur Bestandsaufnahme herrschte sogar in den Schulferien im August reges Interesse. Er widmete sich der Frage, wie geschlechtersensible Forschung an der Universität Bamberg sichtbarer gemacht, gebündelt und nachhaltig verankert werden kann. In Diskussionsrunden wurden erste Ideen für gemeinsame Forschung unter Berücksichtigung der Kategorien Geschlecht und Gender entwickelt. Einen weiteren Workshop hatten wir bereits im Rahmen des Diversity-Tags im Mai durchgeführt, bei dem Wissenschaftler*innen Informationen zur Geschlechtersensibilität und deren Bedeutung für die Drittmitteleinwerbung erhielten. Darüber hinaus wurden Empfehlungen zur Präsentation der Forschung bezüglich der Variablen Geschlecht und Gender im eigenen Forschungsprofil ausgegeben. Auch für das geplante Netzwerk zu geschlechtersensibler Forschung und dem damit verbundenen Kurs im Virtuellen Campus interessieren sich sehr viele Kolleg*innen. Es zeichnet sich eine hohe Bereitschaft ab, anstehende Veränderungsprozesse mitzugestalten.
Wie geht es weiter?
Aktuell entsteht ein am Fächerspektrum der Universität ausgerichteter Fragenkatalog, der hilft, Forschungsfragen auf Potentiale für die Integration von Gender und Geschlecht als Variablen hin abzuklopfen und neue Perspektiven und Fragen anzuregen. Aus dem bereits angesprochenen im Aufbau befindlichen Netzwerk können in Zukunft eine Profilinitiative und ein Zentrum für geschlechtersensible Forschung hervorgehen. Ziel ist es, interessierte Forschende über Fächer und Fakultätsgrenzen hinweg in Kontakt zu bringen, Expertise auszutauschen und durch interdisziplinäre Zusammenarbeit neue Erkenntnisse zu generieren. Wissenschaftler*innen, die am Leitfaden mitarbeiten oder sich im Netzwerk einbringen möchten, können sich unter genial(at)uni-bamberg.de melden. Beim Festakt der Frauenbeauftragten im Dezember 2022 ist die offizielle Netzwerkgründung vorgesehen.
Was bringt es der Universität, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Es bietet die Chance für exzellente und innovative Forschung, die blinde Flecken auflöst und neue Erkenntnisse gewinnt. Daneben ergeben sich Möglichkeiten zu neuen Kooperationen und interdisziplinärer Vernetzung. Die Berücksichtigung der Geschlechterdimension ist heute unerlässlich, um mit anderen Universitäten erfolgreich in den Wettbewerb treten zu können – nicht nur in Sachen Drittmitteleinwerbung, sondern auch, um etwa junge Menschen für ein Studium in Bamberg zu gewinnen.
Vielen Dank für das Interview!
Weitere Informationen zu GENIAL unter: www.uni-bamberg.de/frauenbeauftragte/gender-diversity/genial