Lebenskraft & Arbeitsfreude erhalten

Arbeitsbelastung: Ursache, Wirkung, Maßnahmen

Frau, die mit Leichtigkeit Papier um sich wirft
  • Forschung
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  • 30.09.2022
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  • Olaf Struck
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  • Lesedauer: 6 Minuten

Menschen, die zum Lebenserhalt arbeiten müssen, sind auf ihre Gesundheit angewiesen. Gesundheitsschutz gehört zu den Konfliktthemen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten und ist abhängig von der Marktstellung der Beschäftigten. Ist diese prekär, sind präzise Regeln der Gesundheitsvorsorge besonders notwendig. Der Arbeitsschutz bei körperlichen Belastungen ist auf Basis klarer Regeln gut gelungen – muss bei zunehmenden psychischen Belastungen aber deutlich verbessert werden.

Lange Zeit war Industrialisierung durch standardisierte Massenproduktion gekennzeichnet. Gesundheitliche Beanspruchungen wurden einfach und kausal auf Belastungen durch Lärm, Unfälle oder Körperhaltungen am Arbeitsplatz zurückgeführt. Mit einfachen Zuordnungsmöglichkeiten gingen Erfolge von gesetzlichen Vorgaben und Initiativen zur Humanisierung der Arbeit einher.

Heute erhöhen flexiblere Fertigungssysteme und eine darauf angepasste flexiblere Arbeitsorganisation die zeitlichen und psychischen Anforderungen an Beschäftigte. Zu den vorrangigen Zielen von Wirtschaftsunternehmen gehört es, die Effizienz zu steigern und Gewinne unter Wettbewerbsbedingungen zu maximieren. Zudem sind sie zeitlich eng an Kundenbedürfnisse gebunden. Dies gibt Beschäftigten, die sich zunehmend selbst organisieren, eine rigorose Zielrichtung vor. Termindruck wird zum Stressor und Eingriffe von Arbeit in Freizeit und vom Arbeitsort in den Wohnort nehmen zu. Solche Grenzübertritte sind durch Digitalisierung und die damit verbundene Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Daten und Menschen noch intensiviert worden. Der Forschungsstand verdeutlicht: Menschen mit dauerhaft geringem Handlungsspielraum und Termin- und Zeitdruck haben ein mehr als dreifach höheres Depressionsrisiko. Kommt ein fortgesetzter Mangel an sozialer Unterstützung hinzu, dann erhöht sich das Risiko auf beinahe das Sechsfache. Zudem führen solche Konstellationen von Dauerstress neben Erschöpfung zu Bluthochdruck, koronarer Herzkrankheit. Dies nicht zuletzt auch aufgrund vielförmiger Nebenbedingungen wie Schlafstörungen, damit verbundener Immunschwächen oder ungesunder Ernährung. Ein Ungleichgewicht zwischen Verausgabung und Anerkennung erhöht das Risiko von Depressionen ebenfalls um beinahe das Dreifache, und auch Konflikte durch Eingriffe von Arbeit in Familie wirken sich krankheitsverstärkend aus. Nur wenige mit ihren Qualifikationen unersetzbare Beschäftigtengruppen haben eine Chance, sich dem zumindest teilweise zu entziehen.

Was tun gegen psychische Belastungen?

In der Forschung herrscht große Einigkeit darüber, dass individuelle und betriebliche Maßnahmen nur gemeinsam gesundheitsförderlich wirken. Die in der Praxis – nicht zuletzt aus Kostengründen – anzutreffenden Interventionen, die sich auf einzelne Personen richten, sind geeignet, Symptome zu mindern. Allerdings sind die Wirkungen zumeist von begrenzter Dauer. Die verursachenden belastenden Quellen werden vernachlässigt. Sinnvoll ist eine vorausschauende und langfristig wirkende Gestaltung des Arbeitsumfeldes.

Was gesundheits- und lernfördernde Arbeitsumgebungen erzeugt, ist in Theorie und Forschung der Arbeitswissenschaft bekannt: Zentral sind vollständige und beeinflussbare Tätigkeiten, die Menschen weder unter- noch zu sehr überfordern. Wichtig sind aber auch aktive Mitwirkungs- und Widerspruchsmöglichkeiten im Arbeitsumfeld sowie vollständige Informationen. Und sehr bedeutsam ist die Unterstützung durch Kolleg*innen oder Vorgesetzte, die nicht zuletzt auch inhaltlich passgenaues Lernen ermöglicht. Dies zeigen auch eigene Betriebsstudien zur Einführung neuer digitaler Kommunikationssysteme, wie etwa MS-Teams oder Jira.

Um zugleich Zeit für die eigene Regeneration, aber auch Zeit für Familie, eigenes Lernen oder soziales Engagement investieren zu können, sind zeitliche Strukturen wichtig. Diese stellen eine konsequente Trennung von Erwerbsarbeit und Freizeit, eine Organisation von zeitlichen Puffern von mindestens elf Stunden ohne arbeitsbezogene Mails sowie eine Verhinderung regelmäßiger Überstunden sicher.

Bedeutsam für die Durchsetzung weniger belastender Arbeitsbedingungen ist die Marktmacht von Beschäftigten. Mehr Macht hängt im Wesentlichen von spezifischen, knappen, am Markt benötigten und technisch-digital nicht zu kompensierenden Qualifikationen ab. Viele Beschäftigte haben diese Machtbasis nicht. In einer Studie hat ein Team der Arbeitswissenschaft die Arbeitsbedingungen von sogenannter Einfacharbeit in der Logistik-Branche untersucht. Hier werden bei etwa 800.000 Berufskraftfahrer*innen technisch-digitale Vereinfachungen und Arbeitsumwelten geschaffen, die nur noch geringste Qualifikationen erfordern. Auf diese Weise wird es möglich, beinahe jede Erwerbsperson, egal aus welchem Weltteil, unmittelbar einzusetzen und zugleich Löhne und Gesundheitsstandards zu verringern.

Rechtliche Normen sind bedeutsam

Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) bietet Möglichkeiten, Arbeitgeber zu verpflichten, Verbesserungen auch des psychischen Gesundheitsschutzes durch erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes, einschließlich Gefährdungsbeurteilung und Wirksamkeitsprüfung, anzustreben. Die Maßnahmen haben dabei unter anderem den Stand der Arbeitsmedizin und der Arbeitswissenschaften zu berücksichtigen. Allerdings sind Gesetze und Verordnungen hinsichtlich psychischer Belastungen deutlich unpräziser als etwa im Falle von Arbeitsstoffen und Maschinen. So werden in der Praxis psychische Arbeitsbelastungen deutlich seltener erfasst. Arbeitgeber, aber auch andere Akteure, die über den Arbeitsschutz wachen, sehen sich vielfach nicht in der Lage oder auch nicht in der Pflicht, psychosozialen Risiken vorzubeugen.

Die knapp formulierten Gesetzesnormen des ArbSchG zu psychischen und sozialen Belastungen sind wichtig. Sie bedürfen aber der weiteren Konkretisierung etwa durch Verordnungen und technische Regeln, wie sie auch schon für physische Belastungen vorliegen. Der Vorteil ist, dass sich die Rechte und Pflichten der Akteure konkreter, ausführlicher und entsprechend verständlicher festlegen lassen. Dazu gehören etwa die Kriterien und Maßnahmen der Gefährdungsbeurteilung, der entsprechenden gesundheitsförderlichen, organisatorischen Gestaltung der Arbeitsaufgabe und der Arbeitszeit sowie der sozialen Umgebungsbedingungen. Indem gesundheits- ebenso wie lernfördernde Handlungen technische und insbesondere organisatorische Voraussetzungen haben, ist deren Gestaltung frühzeitig – und gegebenenfalls unter Einbezug von Experten – bei der Planung zu berücksichtigen.

Dort, wo Fachkräftemangel herrscht, geschieht dies vielfach allein aus Eigeninteresse der Arbeitgeber und der vergleichsweise marktmächtigen Beschäftigten. Es gibt aber andere Bereiche, in denen mittels digitaler Techniken Tätigkeiten standardisiert und stark vereinfacht werden, so dass geringes oder einfaches Lehrbuchwissen ausreichen, um den Anweisungen von Algorithmen oder Vorgesetzten zu folgen. Dort werden rechtlich gesicherte Verfahren und Normen notwendig sein, um psychische und soziale Belastungen zu mindern.

Zusatzinformationen zur aktuellen Forschung der Professur für Arbeitswissenschaft zu Gesundheit und Arbeit:

Im Projekt Digitale Kooperationssysteme im Mittelstand: Innovative Kommunikations- und Kooperationsprozesse in der digitalen Arbeitswelt (KoMiK), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, werden die ökonomischen sowie die kommunikativen, qualifikatorischen und gesundheitlichen Folgen der Einführung IT-gestützter Kollaborationssysteme erforscht.

Die Studie Digitale Logistik, Arbeitsstrukturen und Mitbestimmung (DiLAMi), gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, untersucht qualifikatorische und gesundheitliche Arbeitsbedingungen in der Transportlogistik.

Im Projekt Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungenim Gesundheitssektor – eine multimethodische Studie erforscht die Professur für Arbeitswissenschaft gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Arbeitsbedingungen im Pflege- und Gesundheitssektor. Das Ziel: effektiv Anreize für mehr Beschäftigte in diesem Wirtschaftszweig zu setzen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördert das Projekt im Rahmen der Förderinitiative Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung.

Literaturempfehlungen:

Andreas Stöckl, Olaf Struck (2022): Digitale Technik einfach gemacht. Der Einfluss betrieblicher Lerngelegenheiten auf die Nutzung digitaler Datenbanken. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 76(1), S. 10–23.

Pauline Schneider, Franziska Ganesch, Klaus Schmierl, Olaf Struck (2021): Digitalisierung und Arbeitsqualität in der Transportlogistik. Qualitative und quantitative Befunde aus Deutschland. Soziale Welt 72 (4), S. 487–517.

Susanne Sczogiel, Stephanie Schmitt-Rüth, Andreas Stöckl, Olaf Struck (2021): Erfolgreiche Einführung von Enterprise Collaboration Systems: Work Design und Mitarbeiterpartizipation als Voraussetzung für Nutzungsakzeptanz? Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 75 (4), S. 491–504.

Olaf Struck (2021): Erwerbsarbeit und Familie vereinbaren. Das Problem mit der Flexibilität. Stimme der Familie 68 (2), S. 17–19.

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Seite 154358, aktualisiert 06.10.2022