„... und bleib gesund!“ wurde wohl eine der häufigsten Abschiedsformeln in der Covid-19-Pandemie – ob in Mails, am Telefon oder persönlich. Wo es früher „Mit freundlichen Grüßen“ oder „Bis bald!“ hieß, wünschte man anderen, und insgeheim sich selbst, vor allem Gesundheit. Man fokussierte in dieser schwierigen Zeit in allen möglichen Handlungsfeldern verstärkt auf Gesundheitsaspekte – gesund zu bleiben, schien der größte Wunsch. Aber was machen wir aktiv für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden?
Tatsächlich zeigt sich schnell: Wir gehen das Thema Gesundheit erst dann wirklich an, wenn wir von außen darauf gestoßen werden, wenn uns plötzlich Wehwehchen plagen, wir von einem chronischen Leiden oder einer schlimmen Krankheit heimgesucht werden. Dann starten wir schnell eine Art Gesundheitsoffensive, versuchen alles neu zudenken, ... und lassen nach kurzer Zeit wieder alles schleifen und können uns bald nicht mehr so recht daran erinnern, dass wir doch eigentlich alles umkrempeln wollten. Beim Thema Wohlbefinden im Allgemeinen geht es also stark um Gewohnheiten. Diese Gewohnheiten sollten einerseits gesundheitlich nicht bedenklich sein und andererseits das positive Lebensgefühl und die Freude am Leben nicht vernachlässigen. Nur wenn der zweite Punkt Berücksichtigung findet, besteht Aussicht auf eineEtablierung. Kurz gesagt: Das Thema Wohlbefinden ist ein hoch-psychologisches Thema!
Holistischer Blick auf Wohlbefinden
Der Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Bamberg hat sich Abbildung 1: Holistic Wellbeing Model (HWM). Quelle: Carbon, 2022 in vielfältigen Projekten mit Teilaspekten des Themas Wohlbefinden (Wellbeing) beschäftigt. Die gesammelten praktischen Erfahrungen und Erkenntnisse fließen ein in die Erstellung eines theoretisch fundierten holistischen Modells, das als essentielle Basis einer zufriedenen Lebensführung dienen kann. Wie in Abbildung 1 visualisiert, umfasst Wohlbefinden vielfältige Facetten. Nur wer die einzelnen Teile und ihre Wirkzusammenhänge versteht, kann zu ganzheitlichem und nachhaltigem Wohlbefinden kommen.
Wesentlich ist, dass Wohlbefinden eine somatische und eine psychologische Komponente besitzt. Die somatische Komponente ist maßgeblich durch die körperliche Gesundheit und die Umwelt, in der ein Mensch lebt, bestimmt. Wichtig hierbei ist, dass der Begriff der Umwelt die persönlich erfahrene Umgebung darstellt. Der Mensch lebt also nicht nur in einer physischen Umgebung, sondern wird maßgeblich durch die individuelle Erfahrung der Umgebung und die dort angetroffenen und interpretierten Anforderungen physisch beeinflusst. Das heißt, die somatische Komponente ist immer auch psychisch bedingt, sei es direkt im Sinne psycho-somatischer Wirkzusammenhänge oder indirekt durch die Interpretation und das psychische Umgehen mit dem somatischen Zustand.
Die psychologische Komponente spaltet sich auf in emotionale und kognitive Teilkomponenten, die jedoch nicht voneinander zu trennen sind. Diese wichtige Erkenntnis der prinzipiellen Untrennbarkeit beider Teilkomponenten wird auch in der Ausrichtung der an der Universität Bamberg angesiedelten Bamberger Graduiertenschule für Affektive und Kognitive Wissenschaften (BaGrACS) als Grundparadigma gelebt – bereits das Logo der BaGrACS symbolisiert dies plakativ, indem die zwei Puzzlesteine „affektiv“ (rot) und „kognitiv“ (blau) ineinander verzahnt dargestellt werden (siehe Abbildung 2). Die psychologische Komponente erzeugt eine Realitätskonstruktion, welche maßgeblich beeinflusst, wie soziale und gesellschaftliche Qualitäten – von Anforderungen bis hin zu Unterstützungsmöglichkeiten – im Hinblick auf das persönliche Wohlbefinden interpretiert und erlebt werden.
Um dem Ideal eines holistischen Wohlbefindens nahezukommen, sind demnach alle Teilkomponenten, auch in ihrem Wechselspiel, zu beachten. Ein einseitiger Fokus auf die eigenen emotionalen Bedürfnisse kann beispielsweise eine Vulnerabilität im Bereich des sozialen Gefüges bewirken, gleichzeitig kann das starke Bedürfnis nach sozialer Einbettung und Teilhabe dem natürlichen Bedürfnis nach kognitivem Wachstum im Sinne einer Vervollkommnung durch das Erlernen neuer Kompetenzen und Fähigkeiten entgegenwirken. Eine zu starke Betonung der physischen Unversehrtheit führt schnell zu einer Beeinträchtigung sozialer oder gesellschaftlicher Anforderungen, genauso wie das zu große Engagement im gesellschaftlichen Bereich oft zu einer Vernachlässigung persönlicher Bedürfnisse führt.
Covid-19 und Wohlbefinden
Zur Illustration des vorgestellten Modells soll ein Blick auf das Wohlbefinden während der Covid-19-Pandemie geworfen werden. Die Pandemie und unsere Reaktionen, gesetzte Prioritäten, Aktivitäten und ergriffene Gegenmaßnahmen müssen unbedingt auf einen Prüfstand, um in künftigen epidemischen Krisen optimiert handeln zu können. Tatsächlich fällt zuallererst auf, dass zu Beginn der Pandemie fast in allen Regionen der Welt als Primat gesetzt wurde, dass möglichst wenige Menschen infiziert werden, dass die Erkrankungsrate niedrig gehalten wird und möglichst viele Intensivbetten für Schwererkrankte reserviert werden. Dies vor allem auch, weil oft schlichtweg die Erfahrung fehlte, wie sich hohe Fallzahlen auf das Gesundheitswesen auswirken würden.
Wesentliche Maßnahmen waren zuerst der Einsatz von Gesichtsmasken und das Abstandhalten, welches als Social-Distancing bezeichnet wird. Diese epidemiologisch unzweifelhaft wichtigen Standardmaßnahmen werden generell bei Epidemien ergriffen, deren Übertragung über die Atemwege erfolgt. In psychologischer Hinsicht hatten die Maßnahmen jedoch durchaus negative Folgen für das Wohlbefinden. Das Maskentragen traf in der frühen Phase der Pandemie nicht auf große Akzeptanz. Es führte teilweise zu Unzufriedenheit und zu einer Verunsicherung in der sozialen Interaktion, welche auf die reduzierte Erkennbarkeit emotionaler Ausdrücke infolge der Verdeckung eines großen Teils des Gesichtes zurückzuführen ist. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass dieser Effekt selbst bei Kindern deutlich geringer ausfiel, als oft von besorgten Personen geäußert. Nichtsdestotrotz tragen gerade solche subjektiven Einschätzungen wesentlich zu einem Absinken des Wohlbefindens bei, weshalb ihnen mit klaren Fakten begegnet werden muss. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass das elterliche Framing der Maskennutzung einen deutlichen Einfluss darauf hatte, ob Masken und andere Pandemie-Maßnahmen von Kindern als belastend wahrgenommen wurden oder nicht.
Psychologische Konsequenzen hatte auch das soziale Distanzieren. Es kam zu Erfahrungen von Vereinsamung und Ausgrenzung. Die Möglichkeiten körperlicher Aktivität waren eingeschränkt, worunter insbesondere Menschen mit großem Bewegungsdrang und Gemeinschaftssinn litten. Maßnahmen wie Homeschooling erschwerten zahlreichen Kindern und Jugendlichen das Lernen und brachten eine Überlastung von Erziehungsberechtigten mit sich. Eine Trennung von Arbeit, Lernen, Spiel und Freizeit war häufig nicht mehr gegeben. Dies führte zu erhöhten psychischen Belastungen von Familien, zu signifikanten Lern- und Kompetenzrückständen der Kinder und Jugendlichen und zu einer potentiellen Verschlechterung der Situation bereits zuvor bildungsbenachteiligter Gruppen.
Die frühzeitige Installation von virenreduzierenden Luftreinigungssystemen und ein effektiveres Nachverfolgen (Tracing) von Erkrankungsfällen nebst einer konsequenten Digitalisierungsstrategie wären Alternativen gewesen, die ein stärkeres Gewicht auch auf psycho-soziale Aspekte des Wohlbefindens gelegt und somit viele längerfristige Probleme reduziert hätten. Besuchsverbote in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen hatten neben ausgeprägten Vereinsamungstendenzen auch weitergehende Einschränkungen im kognitiven und emotionalen Bereich zur Folge. Aufgrund mangelnder Infrastruktur im Bereich einfach zu bedienender Kommunikationsmöglichkeiten konnte dieses Defizit auch nicht generell durch virtualisierte Treffen aufgefangen werden. Besonders beanspruchend waren Phasen mit generellem Lock-Down: Arbeitende klagten über Strukturlosigkeit im täglichen Arbeiten und Handeln, Freunde und Verwandte wurden schmerzlich vermisst, die soziale Einbettung in Vereine war nicht mehr gegeben und positive soziale Kontrolle unterblieb. Es stellte sich ein Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber der Pandemie ein.
Gamifizierung der Pandemie
Negative Folgen für das Wohlbefinden zeigten sich in einer erhöhten psychischen Belastung, Gewichtszunahme, unregelmäßigem Schlaf, Antriebslosigkeit und Alkoholmissbrauch. Häusliche Gewalt, Aggressionen und Perspektivlosigkeit kamen nach und nach hinzu. Gleichzeitig entwickelten sich durch die schwer auf Dauer einzuhaltenden strikten Regeln entsprechende Gegenströmungen, um sich öffentliches Gehör zu verschaffen – oft in Form von Demonstrationen und Protestaufrufen gegen Maskennutzung und Impfungen.
Schon früh in der Pandemie haben Bamberger Psychologen daher in einer Veröffentlichung eine aktivierende und gemeinschaftsstiftende Gamifizierung (Gamification) der Pandemie vorgeschlagen, um die erlebte Ohnmacht gezielt aufzugreifen und
ihr wirkungsvoll zu begegnen. Innerhalb dieser Gamifizierungsidee werden alle Maßnahmen, bei denen man persönlich zur Eindämmung der Pandemie beitragen kann, spielerisch belohnt beziehungsweise inzentiviert, so zum Beispiel das Organisieren oder eigene Herstellen von Masken, das Bereitstellen von Desinfektionsmittel, aber auchwichtige sozial verbindende Aktionen wie das Unterstützen von Nachbarn, Verteilen von Hilfsgütern oder Initiieren kontaktloser sozialer Interaktionen.
Dies befördert eigenes aktives und selbstbestimmtes Handeln – man erlebt Selbstwirksamkeit – und trägt so zu einer besseren Bewältigung der Krisensituation bei. Positive affektive Zustände werden gefördert, Kreativität und Lösungsorientierung angeregt, was eine Stabilisierung und Verbesserung der psychischen Situation ermöglicht. Sozialen und gesellschaftlichen Anforderungen kann dadurch besser entsprochen werden und es kommt zu deutlich intensiverer, konstruktiver und identitätsstiftender Kommunikation im Privaten wie auch Öffentlichen. Der Blick auf die Covid-19-Pandemie verdeutlicht, wie wichtig eine Berücksichtigung psychologischer Komponenten und damit eine holistische Auffassung individuellen Wohlbefindens ist, auch und gerade in Kontexten, in welchen der Fokus zunächst gezwungenermaßen stark auf physischen Aspekten liegt.
Literaturempfehlung:
- Claus-Christian Carbon (2022): The Holistic Wellbeing Model. Wellbeing as a function of holistic experience.
- Claus-Christian Carbon (2021): About the acceptance of wearing face masks in times of a pandemic. i-Perception, 12(3), S. 1–14.
- Claus-Christian Carbon, Martin Serrano (2021): The impact of face masks on the emotional reading abilities of children – A lesson from a joint school-university project. i-Perception, 12(4), S. 1–17.
- Niklas Döbler, Claus-Christian Carbon (2021): Vaccination against SARS-CoV-2: a human enhancement story. Translational Medicine Communications, 6(1), 27.
- Udo Meissner, Claus-Christian Carbon (2021): Commentary on: Martin, David "Sinn des Co-Ki-Registers: Beschwerden von Eltern, Ärzt:innen und Lehrer:innen Gehör verschaffen". Monatsschrift Kinderheilkunde.
- Marius Raab, Niklas Döbler, Claus-Christian Carbon (2021): A Game of Covid: Strategic thoughts about a ludified pandemic. Frontiers in Psychology, 12(2392), S. 1–9.
- Claus-Christian Carbon (2020): Wearing face masks strongly confuses counterparts in reading emotions. Frontiers in Psychology, 11(2526), S. 1–9.