Soziale und räumliche Ungleichheiten haben sich in den Ländern der Europäischen Union zu einem dringenden gesellschaftlichen Problem mit sichtbaren politischen Auswirkungen entwickelt. Oftmals ist die Rede von „abgehängten“ Regionen. Das internationale Forschungsprojekt „Re-Place – Reframing non-metropolitan left behind places through mobility and alternative development“ will die komplexen Probleme untersuchen, mit denen diese peripheren nicht-städtischen Gebiete konfrontiert sind. Durch partizipative Forschung wird Re-Place beleuchten, welche Rolle die räumliche Mobilität insbesondere im Sinne von Zu- und Abwanderung von Menschen, aber auch durch Pendeln für die Zukunft dieser Orte spielt, und wie sie genutzt werden kann, um die Lebensqualität dieser Gemeinden zu verbessern. Im Rahmen von Horizon Europe, dem wichtigsten Finanzierungsprogramm der Europäischen Union für Forschung, wird Re-Place in den kommenden vier Jahren mit insgesamt 2,9 Millionen Euro gefördert. Das Projekt ist im März 2023 angelaufen und wird vom IGOT - Instituto de Geografia e Ordenamento do Territorio da Universidade de Lisboa, Portugal, koordiniert. Die Universität Bamberg ist mit der Professur für Geographische Migrations- und Transformationsforschung an allen Teilschritten des Projektes beteiligt und erhält einen finanziellen Anteil von mehr als 760.000 Euro.
Im Fokus: Periphere Gebiete in sechs europäischen Ländern
Das Projekt konzentriert sich auf zwölf sogenannte Left Behind Areas (LBA) – also abgehängte Regionen – in den sechs europäischen Ländern Deutschland, Italien, Lettland, Portugal, Rumänien und Spanien. Die Untersuchung geht der Frage nach, wie unterschiedliche Mobilitätsprozesse zu wachsenden Ungleichheiten auf nationaler Ebene geführt haben. Auf lokaler Ebene wollen die Wissenschaftler*innen ein detailliertes Verständnis der Mobilitäts- und Immobilitätsfaktoren erlangen, die zu ihrem „Left Behind“-Status beitragen. So soll auch untersucht werden, warum Menschen trotz schwieriger Bedingungen nicht abwandern. Die Bamberger Wissenschaftler sind insbesondere bei folgenden Schritten involviert: Sie erstellen auf Basis statistischer Daten historische (Im-)Mobilitätsprofile für die zwölf Fallstudiengebiete. Diese Profile enthalten etwa Informationen nicht nur zu Ab-, Zu- und Rückwanderung, sondern z.B. auch zur Nutzung digitaler Mobilität. „Wir wollen auch die Neuausrichtung des (Im-)Mobilitätgeschehens während und nach der Covid19-Pandemie untersuchen, um einen Ausblick auf mögliche zukünftige Krisen und deren Auswirkungen auf LBAs zu geben“, erläutert Daniel Göler, Inhaber der Professur für Geographische Migrations- und Transformationsforschung an der Universität Bamberg. Ebenfalls stark involviert sind die Bamberger Forscher bei der darauf aufbauenden Untersuchung von (Im-)Mobilitätsstrategien der Privathaushalte in den LBAs. Sie wollen unter anderem die Prozesse und Umstände verstehen, die einerseits zur Abwanderung von Einwohner*innen und andererseits zur Zuwanderung von Migrant*innen in die Fallstudiengebiete führen.
Neuartige Forschungsmethoden
Insbesondere im qualitativen Teil setzen die Forscher*innen auf neuartige Methoden, um Strategien zu entwickeln, die die Vorteile der Mobilität stärken und das Wohlbefinden von Einwohner*innen und Neuankömmlingen gleichermaßen fördern. Zu diesen Methoden zählen etwa sogenannte Village Labs, die den partizipativen Forschungsansatz von Re-Place verdeutlichen: Im Rahmen der Village Labs werden die Forschungsergebnisse den lokalen Expert*innen, Interessengruppen und Einwohner*innen vorgestellt und mit diesen diskutiert. „Die Village Labs dienen dazu, mit den lokalen Akteur*innen gemeinsam Herausforderungen und Bereiche mit Handlungsbedarf zu identifizieren, sowie ortsbezogene innovative Entwicklungsstrategien zu entwickeln“, erklärt Daniel Göler.
Zudem erarbeiten die Forscher*innen eine neuartige Typologie der Left Behind Areas. „In allen sechs Projektländern finden wir periphere Gebiete, die von wirtschaftlichen Problemen und langjähriger Abwanderung geprägt sind“, erläutert Göler. „Die entwickelte Typologie ermöglicht es uns, die LBAs in den breiteren Entwicklungskontext einzuordnen.“ Die qualitative Forschung in Form von Experten- oder Haushaltsinterviews erfolge in den Fallstudiengebieten jeweils durch die nationalen Teams. Ein gemeinsames Erarbeiten etwa von Interviewleitfäden oder Auswertungen gewährleiste hingegen die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. „Durch dieses Vorgehen erhoffen wir uns Gemeinsamkeiten auf europäischer Ebene, aber auch die nationalen Besonderheiten und Unterschiede identifizieren zu können“, sagt Daniel Göler.
Weitere Informationen unter: https://replace-horizon.eu/