Wenn der Chirurg eine Gallenblase entfernt, braucht es Zeit, bis man wieder auf den Beinen ist. Aber Patienten haben Glück im Unglück, wenn sie im Krankenhaus ein Zimmer mit Aussicht ins Grüne bekommen, statt auf eine Backsteinwand des nächsten Krankenhausflügels starren zu müssen. „Ein schöner Ausblick verkürzt die postoperative Aufenthaltszeit signifikant, senkt den Schmerzmittelverbrauch und lässt sogar die Pflegekräfte freundlicher erscheinen“, erläutern der Bamberger Philosoph Prof. Dr. Christian Illies und der Coburger Ästhetik- und Designforscher Prof. Dr. Michael Heinrich. Dies zeige unter anderem eine Auswertung von Patientenakten eines Krankenhauses in Pennsylvania schon in den 1980ern.
Das Beispiel verdeutlicht: Architektur ist in Gestalt und ästhetischer Erscheinungsweise von großer Bedeutung für die Gesundheit. Denn ästhetische Qualitäten senken messbar und langfristig Stresslevel und befördern Agilität und Resilienz. Das unterstreicht auch der Coburger Psychologe und Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Niko Kohls, der zu den Gründungsmitgliedern des Instituts zählt. Diese komplexen Zusammenhänge besser zu erfassen, das Wissen für Bauwelt und Design fruchtbar zu machen und so einen Beitrag zur Gesundheitsförderung und Prävention zu leisten, ist das Anliegen des neu gegründeten Instituts Mensch & Ästhetik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg. Am Dienstag, 18. Juli 2023, unterzeichneten die Präsidenten der beiden Einrichtungen einen entsprechenden Kooperationsvertrag.
„Forschung an der Universität Bamberg zeichnet sich durch einen starken interdisziplinären Zuschnitt aus. Die Aktivitäten des Instituts Mensch & Ästhetik im Feld der Design-, Geistes- und Humanwissenschaften veranschaulichen diese Ausrichtung in besonderer Weise und zeigen, wie vielfältig Wissenschaft zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen kann“, sagt der Präsident der Universität Bamberg Prof. Dr. Kai Fischbach.
Das neu gegründete Institut Mensch & Ästhetik stärkt den Wissenschaftsstandort Oberfranken
Die Hochschule Coburg verbindet Hintergrundwissen aus verschiedenen Disziplinen wie Psychologie, Neurobiologie und Design mit anwendungsorientierter Forschung und Lehre in Architektur und Design. Der Standort Coburg mit seiner Design-Fakultät ist in dieser Hinsicht europaweit einzigartig. Prof. Dr. Stefan Gast, Präsident der Hochschule Coburg, freut, wie sich diese Coburger mit den Bamberger Kompetenzen im Bereich Philosophie ergänzen. „Die Kooperation hat außerdem eine weitere besondere Dimension: Es ist das erste Mal, dass die Hochschule Coburg und die Universität Bamberg in einem hochschulbergreifenden Institut zusammenarbeiten.“ Die gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung verkörpere dabei den Geist der TechnologieAllianzOberfranken (TAO). In diesem Verbundprojekt haben sich die Universitäten Bamberg und Bayreuth sowie die Hochschulen Coburg und Hof zusammengeschlossen, um Oberfranken als Wissenschaftsstandort weiter auszubauen.
„Das Thema Gesundheit bestimmt die Lebensqualität der Menschen in erheblichem Ausmaß und steht schon seit einigen Jahren im Fokus von TAO. Aktuell läuft das TAO-Themenjahr „Gesundheit“, in dem die oberfränkischen Aktivitäten in diesem riesigen Themenfeld beleuchtet werden. Die Wechselwirkungen von Gesundheit und ästhetischer Gestaltung weiter zu erforschen, ist das Anliegen des neuen Instituts, das seitens TAO nach besten Möglichkeiten begleitet und unterstützt wird“, so Dr. Anja Chales de Beaulieu, Leiterin der TAO-Geschäftsstelle.
„Lebenswerte Architektur und Innenarchitektur berücksichtigen Ästhetik, Sinneswahrnehmung, Funktionalität, Ergonomie und Nachhaltigkeit. Sie schaffen eine einladende Atmosphäre, fördern persönliche Entfaltung, Gemeinschaft und Zugehörigkeit im Gebäude- und Quartierskontext“, kommentiert Annette Brunner, Vorstandsmitglied der Bayerischen Architektenkammer und Vorsitzende des Bundes Deutscher Innenarchitekten (BDIA) in Bayern. „Unser Ziel sollte immer eine Architektur sein, die Wahrnehmung mit Nutzen verknüpft und dadurch unsere Resilienz und Lebensqualität sichert. Das Institut für Mensch und Ästhetik ergänzt die Bildungslandschaft der Architektur- und Gestaltungsausbildung um einen wichtigen Baustein, den ich mir schon lange gewünscht habe.“
Buchprojekt „Shrines of Wisdom“: durch Gestaltung von Orten ganzheitliches Lernen fördern
Die feierliche Unterzeichnung des Kooperationsvertrags fand dem Inhalt der Forschungsaktivitäten des Instituts entsprechend im ästhetisch außergewöhnlichen Rokoko-Saal des Alten Rathauses in Bamberg statt. Oberbürgermeister Andreas Starke griff diesen Umstand in seiner Begrüßung auf und verwies darauf, wie wichtig die Forschungen des Instituts für die Stadt Bamberg sind: „Die Lebensqualität in einer Stadt wird auch durch die räumliche Umgebung beeinflusst, das Wohlbefinden und das soziale Verhalten der Menschen hängt davon ab. Daher ist es ein spannendes Forschungsfeld mit Relevanz für die künftige Stadtgestaltung, die Planung und das kommunale Handeln vor Ort. Als Oberbürgermeister der Stadt Bamberg ist es mir eine besondere Freude, dass die Otto-Friedrich-Universität Bamberg und die Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg interdisziplinär zusammenarbeiten. Klar, ich erhoffe mir konstruktive Impulse für unsere Welterbestadt, weil die Ästhetik hier den historischen Bezügen besonders oft begegnet.“
Bereits vor der Vertragsunterzeichnung haben Christian Illies und Michael Heinrich mit ihren jeweiligen Teams zusammen zu Ästhetik und deren Einfluss auf das menschliche Wohlbefinden und die Lebensqualität geforscht. Im neu gegründeten Institut, das die beiden gemeinsam leiten, möchten sie ihre bereits begonnenen Aktivitäten nun intensivieren und ausbauen. Eines davon ist „Shrines of Wisdom“, ein Konferenz- und Buchprojekt der Universitäten Bamberg und Cambridge sowie der Hochschule Coburg. Es beschäftigt sich mit der Zukunft von Bibliotheken in Zeiten von Digitalisierung und Wissensexplosion und erforscht unter anderem, wie durch Gestaltung von Orten ganzheitliches, gesundheitsbewusstes Lernen gefördert werden kann.
Die in diesen und anderen Projekten erworbenen Erkenntnisse sollen unmittelbar in die Lehre der am Institut beteiligten Einrichtungen einfließen, sodass Studierende in die Lage versetzt werden, eigene Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Architektur, Design, Ästhetik, philosophischer Anthropologie und Psychologie anzufertigen. In Bamberg und Coburg sind zudem gemeinsame Lehrveranstaltungen und ein Master-Kolleg an der Coburger Fakultät Design geplant. Ab 2024 begleitet das Institut erste Promotionen, die interdisziplinär zwischen Design und Geisteswissenschaften angesiedelt sind.