Diversität als Chance

Ein Blick über den Tellerrand hinaus | aus uni.vers Forschung 2024

Gesicht
  • Forschung
  •  
  • 27.08.2024
  •  
  • Claus-Christian Carbon
  •  
  • Lesedauer: 6 Minuten

Diversität ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber bis heute tun sich viele Menschen, Unternehmen und Gesellschaften schwer mit diesem wichtigen, reichen und zielführenden Konzept. Während oft die Herausforderungen und Konflikte, die mit Vielfalt einhergehen, in den Vordergrund gerückt werden, zeigt eine wachsende Zahl von Studien und Erfahrungsberichten, dass Diversität enorme Chancen und Potentiale birgt. Dieser Artikel will schlaglichtartig beleuchten, warum es an der Zeit ist, Diversitätsüberlegungen nicht als Bürde, Gängelung oder Einschränkung zu sehen, sondern als klare Bereicherung, als Hoffnung und als Lösung für viele relevante Probleme und Herausforderungen. Durch einen positiven Umgang mit Diversität werden Innovationen, kreative und angepasste Lösungen und der gesellschaftliche Zusammenhalt gefördert.

 

Haben Sie die neueste Richtlinie zur Diversitätsstrategie der Universität gelesen? Dürfen wir ein Diskussionspanel nur mit Männern besetzen? Fehlt auf diesem Bild nicht ein asiatisch wirkender Mensch? Bin ich nicht viel zu sehr von meinem Wesen ein alter weißer Mann und in meinem Denken vollkommen verblendet?

Viele Gedanken zu Diversität sind derzeit von Unsicherheit und Sorge vor Fehlverhalten geprägt – Diversität ist oft in den Köpfen mit Gängelung gleichgesetzt, viele erleben es als Sprachpolizei, wenn man auf politisch nicht korrekte Worte aufmerksam gemacht wird oder um inklusive Begrifflichkeiten gebeten wird. Einige stellen sich sogar bewusst gegen alle Diversitätsbestrebungen, einfach um einen klaren Kontrapunkt zu setzen zu einer Bewegung, die sie als frustrierend und nicht konstruktiv erleben. Diese Sorgen sind äußerst ernst zu nehmen, denn letztendlich können sie zu gefährlichen, antipluralistischen Gegenbewegungen à la Trump, Orbán oder Kaczyński kommen, die ganz bewusst Diversitätsbestrebungen bekämpfen, weil sie dahinter sittenzersetzende oder das Establishment (zer)störende Entwicklungen sehen und dies dann so propagieren. Es ist zudem wichtig, die Sorgen zu verstehen, um sie geeignet aufzufangen und konstruktiv Diversitätsmaßnahmen mit entsprechenden Kommunikationsstrategien zu entwickeln, um möglichst viele Menschen für Diversitätsüberlegungen zu gewinnen und zu begeistern.

Typische Sorgen

Es existieren vielfältige Sorgen und Ängste, aber auch schlichtweg fundamentale Bedenken beim Etablieren und Durchführen von Diversitätsstrategien. Wie das Thema selbst sind diese divers und bedienen ganz unterschiedliche Argumentationsstränge. Viele werfen entsprechenden Bewegungen hin zu mehr Diversität schlichtweg vor, reinen „Tokenismus“ zu betreiben, also solche Bestrebungen lediglich aus Gründen der persönlichen Profilierung zu nutzen, um besser oder moralisch überlegen dazustehen. Dies schürt auch die Angst, von Anderen übervorteilt zu werden trotz geringerer Fähigkeiten und Leistungen, nur weil sie stärker konform mit etablierten Diversitätsüberlegungen oder -forderungen sind. Daraus erwächst die Sorge, dass reine Quotenpolitik zu einer Verzerrung von Arbeitsmöglichkeiten führt und dass zu etablierende Maßnahmen dringend wichtige andere Investitionen aushebeln. Einige äußern zudem die Bedenken, dass durch die Fokussierung auf Diversitätsmerkmale wie ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung oder Neurodiversität diese zu einem nicht lösbaren Datenschutzproblem werden, da diese Merkmale einerseits erfasst werden müssen, um Quoten, Ausgleiche oder gezielte Förderung ermöglichen zu können, das Erfassen aber gleichzeitig gegen fundamentale Datensammel- und -speicherverbote verstößt. Speziell in Universitäten und anderen basisdemokratischen Organisationen existiert zudem die Grundsorge mangelnder Meinungs- und Ausdrucksbildung – es werden Sanktionierungen gegen jedes Denken und Handeln gefürchtet, das Diversitätsbestrebungen negiert, kritisiert oder bereits kommentiert. All diese Sorgen können auch in einem Klima positiver Konnotation von Diversität entstehen, vor allem gedeihen sie aber, wenn sie bewusst geschürt und instrumentalisiert werden.

Freilich gibt es gegen diese Sorgen, Ängste und Bedenken kein universelles Gegenmittel. Aber selbst wenn dieses existieren sollte, wäre es nicht ratsam, solche Konflikte nicht diskursiv anzugehen und eventuell auch, wenigstens in Teilen, konstruktiv zu lösen – möglich ist das, ganz klar, es gibt viele positive Beispiele.

Herausforderungen, aber vor allem Chancen

Es ist bestimmt richtig, dass Diversitätsüberlegungen oft große Herausforderungen darstellen und oftmals in komplexen Strategien münden, es ist dabei herauszustellen, dass gelebte Diversität vor allem spannende Chancen bereitzustellen vermag – und diese Chancen sollten offen und ehrlich diskutiert und auch expliziert werden.

Die Chancen werden schnell offenkundig, wenn man einmal die Zusammenarbeit und die Produktivität von Gruppen mit hoher Diversität mit homogen zusammengestellten Gruppen vergleicht.

Bezogen auf das Individuum in einer solchen Gruppe ergeben sich deutlich mehr Freiheiten, Entfaltungsmöglichkeiten und kreative Räume, die vor allem auf die eigenen Fähigkeiten spezifischer abgestimmt sind. Eigene Erfahrungshintergründe können genutzt werden, um neue Perspektiven und Lösungsansätze einzubringen. So nimmt es nicht wunder, dass divers zusammengestellte Teams ein deutlich breiteres Spektrum an Erfahrungen, Perspektiven und Problemlösungsansätzen ermöglichen können. Dies fördert kreatives Denken und führt häufig zu innovativeren Lösungen, als wenn homogene Gruppen an denselben Herausforderungen arbeiten. Dies führt im Schnitt zu besseren Entscheidungsfindungen, vor allem, weil mehr Facetten, Perspektiven und Erfahrungen mit in die Entscheidung einbezogen werden. Wenn eine divers aufgestellte Gruppe zudem eine gut funktionierende Kommunikations- und Moderationskultur besitzt, können schwerwiegende Fehlentscheidungen und langfristig schädliche Wirkungen von Entscheidungen besser abgeschätzt und vermieden werden – zudem werden von diversen Gruppen weitere diversitätssteigernde Maßnahmen und Gruppen geschaffen, was zu einer nachhaltigen Stabilisierung von solchen Diversitätsstrukturen führt. Dies alles zusammengenommen kann sich ganz real in unternehmerischen Kennzahlen ausdrücken: Unternehmen mit einem hohen Grad an Diversität in ihren Führungsteams erzielen durchschnittlich höhere Wirtschaftlichkeit. Gesellschaftlich gesehen führen diverse Strukturen zu mehr Zusammenhalt, Gemeinschaftsdenken und gemeinschaftlichem Handeln. Diverse Gemeinschaften und Gesellschaften sind offener für Innovationen, adaptiver in Bezug auf neue Herausforderungen und langfristig resilienter gegenüber Bedrohungen. Diversität bereichert zudem das Leben einzelner und den Reichtum einer gesamten Gesellschaft.

Vision von Vielfalt

Die Vision von Diversität umfasst ein tiefes, aber vor allem reichhaltiges Verständnis von Vielfalt. Es sollte deutlich über konventionelle Diversitätsüberlegungen, die sehr holzschnittartigen Kategorien von morphologischen Gruppen, Geschlecht und Geschlechtsorientierung und ethnischer Zugehörigkeit hinausgehen. Vielmehr sollte die Gesellschaft die vielfältigen Erfahrungen, Perspektiven, Fähigkeiten und Identitäten anerkennen, wertschätzen und diese in gesellschaftliche Entwicklungsprozesse einbeziehen, um Menschen in Gemeinschaften besser zu inkludieren und davon zu profitieren. So gelingt es, unterschiedliche Menschen kennenzulernen, von ihnen zu lernen und sich selbst einzubringen, ohne Angst vor der Marginalisierung eigener Individualität und Eigenart. In solch einem sicheren, inklusiven und unbedingt wertschätzenden Umfeld wird erlebbar, dass enorme individuelle Potenziale entfaltet werden, die zu einer starken Entwicklung der Gemeinschaft führen und ein resilienteres, adaptiveres und menschlicheres System von Zusammenleben schaffen. Zukunftsprobleme und Zukunftsängste werden dadurch zu Zukunftsherausforderungen transformiert, die gemeinschaftlich angenommen, bearbeitet und gelöst werden. Übrigens: Die Natur macht dies seit hunderten von Millionen Jahren, sonst gäbe es weder heutzutage uns noch ein biologisches Leben an sich – und: es gäbe vermutlich weder Naturschönheit noch wäre dieser Planet Erde ein spannendes Pflaster für kulturellen, sozialen und menschlichen Austausch!

nach oben
Seite 166783, aktualisiert 27.08.2024