Die Lernbedingungen und -erfolge von Kindern unterscheiden sich bereits in den ersten Lebensjahren. Daher stellt sich die Frage, welche Potenziale frühe Bildung in Kitas für den Ausgleich sozialer Ungleichheiten hat. Studienergebnisse zeigen, dass Kinder aus besser gestellten Familien häufiger und früher eine Kita besuchen als Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Letztere profitieren allerdings besonders stark von einem Kitabesuch, insbesondere mit Blick auf ihre kognitiven Kompetenzen.
Bereits die ersten Lebensjahre eines Menschen sind entscheidend für Gesundheit, Wohlbefinden, Erfolg und Wohlstand im Erwachsenenalter (vgl. dazu auch univers Forschung 2020, Früh übt sich). Daher ist wichtig, in welchem Umfeld Kinder aufwachsen und welche Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten sie dort haben. Die häusliche Lernumgebung spielt für Kleinkinder eine zentrale Rolle bei ihrer kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklung. Wie diese Umgebung aussieht und was Kinder hier lernen, hängt stark von den Gegebenheiten in der Familie ab. Dazu gehören neben der finanziellen Ausstattung auch die Bildung, kulturelle Praktiken wie das Leseverhalten und das soziale Umfeld von Eltern. Je nachdem, wie diese Rahmenbedingungen ausfallen, können Familien die kindliche Entwicklung in unterschiedlichem Ausmaß fördern und können sie zu unterschiedlicher psychischer Belastung und Konflikten in Familien führen, die die Lernmöglichkeiten von Kindern beeinflussen.
Im Gegensatz dazu ist die Kindertagesbetreuung weitaus standardisierter. Der Besuch einer Kita kann für Kinder unabhängig von den Bedingungen im Elternhaus Vorteile bringen, weil sie dort andere Dinge lernen als zuhause, beispielsweise durch das Miteinander mit Gleichaltrigen oder durch den Kontakt mit pädagogischen Konzepten. Das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen für Kleinkinder wurde in den letzten Jahren in Deutschland massiv ausgebaut, insbesondere seit der Rechtsanspruch auf einen Halbtagsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr eingeführt wurde. Aufgrund der hohen staatlichen Subventionen für die Kindertagesbetreuung zahlen Eltern in Deutschland deutlich weniger für den Kitabesuch als in vielen anderen Ländern. Zudem sind die Beitragssätze in der Regel nach Einkommen gestaffelt. Trotz dieser Reformen und der staatlichen Ausgaben übersteigt bis heute in vielen Regionen die Nachfrage das Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob institutionalisierte frühe Bildung in Deutschland die ungleichen Lernbedingungen in den Familien ausgleichen kann. Besuchen Kinder hierzulande also unabhängig vom sozialen Hintergrund ihrer Eltern eine Kita? Wenn das nicht der Fall ist, wie lassen sich die sozialen Unterschiede im Kitabesuch erklären? Und welche Kinder profitieren von einem Kitabesuch? Die Säuglingsstudie des Nationalen Bildungspanels NEPS, die vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe in Bamberg durchgeführt wird, ermöglicht es, diesen Fragen auf der Basis reichhaltiger Daten nachzugehen: Hier wurden ca. 3.500 Kinder, die 2012 geboren wurden, und ihre Bezugspersonen ab dem Alter von 7 Monaten regelmäßig begleitet (vgl. www.neps-studie.de). Aus diesen sogenannten Längsschnittdaten lassen sich Entwicklungen im Laufe des Lebens ablesen.
Kita-Besuch hängt vom sozialen Status und von elterlichen Einstellungen ab
Die Studienergebnisse zeigen, dass tatsächlich soziale Ungleichheiten in Zusammenhang damit stehen, ob Kitabetreuung in Anspruch genommen wird: Je höher das Bildungsniveau der Mütter ist, desto früher und häufiger besuchen die Kinder eine Kita. Diese Unterschiede beginnen im Alter von 12 Monaten und sind zwischen 18 und 24 Monaten besonders ausgeprägt. Mit drei Jahren besuchen fast alle Kinder von Müttern mit akademischem Abschluss, aber nur 65 Prozent der Kinder von Müttern mit Hauptschulabschluss eine Kita.
Neben der sozialen Herkunft sind die Einstellungen der Mütter zur Kindertagesbetreuung entscheidend dafür, ob und wann ihre Kinder eine Kita besuchen: Mütter, die eine Kita als vorteilhaft für die eigene Erwerbstätigkeit und für die Entwicklung von Kindern ansehen, melden ihre Kinder früher zur Kita an als Mütter, die das nicht tun. Die Wahrnehmung der finanziellen oder sozialen Kosten eines Kitabesuchs spielt dagegen keine Rolle für die Kita-Entscheidung. Die Einstellungen von Eltern zum Nutzen der Kita unterscheiden sich zudem nicht systematisch nach ihrem sozioökonomischen Status. Das heißt auch, dass diese Einstellungen die sozialen Unterschiede im Kitabesuch nicht erklären können – Unterschiede dafür müssen also woanders gesucht werden.
Welche Kinder profitieren wie vom Kitabesuch?
Die Studienergebnisse zeigen, dass ein Kitabesuch nicht bei allen Kindern die gleiche Wirkung auf die Entwicklung kognitiver Kompetenzen hat. Bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status, also unter anderem mit niedrigerem Bildungsabschluss und Einkommen, führt der Besuch einer Kita mit zwei Jahren zu höheren Kompetenzen im Bereich Kategorisierung (im Alter von drei Jahren) und noch stärker in Mathematik (im Alter von vier) und Wortschatz (im Alter von fünf Jahren). Umgekehrt bringt der Besuch einer Kita für Kinder aus Familien mit einem sehr hohen sozioökonomischen Status, also mit höherem Bildungsabschluss und Einkommen, keine Vorteile mit Blick auf Kategorisierung und Wortschatz. Auf die mathematischen Kompetenzen von sehr statushohen Kindern kann er sich tendenziell sogar leicht nachteilig auswirken. Unabhängig von ihrer sozialen Herkunft gilt für alle Kinder, dass ein Kitabesuch die Probleme mit Gleichaltrigen leicht verringert. Das heißt also, ihre sozial-emotionalen Kompetenzen verbessern sich.
Simulationen auf der Basis dieser Ergebnisse zeigen: Würden alle Kinder eine Kita besuchen, würden die sozialen Ungleichheiten in den Kompetenzen geringer ausfallen als heute. Gäbe es umgekehrt keine Kitas, würden also alle Kinder ausschließlich durch ihre Eltern betreut, würden sich die sozialen Ungleichheiten in der Entwicklung dagegen verstärken. Dies gilt insbesondere für die mathematischen Kompetenzen. Ähnliche Muster finden sich bei den Wortschatzkenntnissen und der Kategorisierung, hier allerdings etwas weniger ausgeprägt. Im Gegensatz dazu finden sich keine Herkunftsungleichheiten bei den Verhaltensproblemen von Gleichaltrigen. Frühkindliche institutionelle Betreuung in Deutschland hat demnach tatsächlich das Potenzial, das soziale Gefälle in den kognitiven Kompetenzen von Kindern zu verringern.
Weiterer Kita-Ausbau wäre hilfreich
Trotz des Rechtsanspruchs auf institutionelle Betreuung hängt es auch heute noch immer stark vom sozialen Status von Familien ab, ob sie Kindertagesbetreuung nutzen. Das liegt weniger an unterschiedlichen Präferenzen von Eltern als daran, dass sozial benachteiligte Eltern beim Rennen um knappe Kitaplätze häufiger leer ausgehen. So zeigt eine aktuelle Studie, dass Eltern mit niedrigem sozialem Status die Suche nach einem Kitaplatz als schwieriger empfinden und häufiger wohnortnahe Betreuungsangebote vermissen. Ein weiterer Ausbau qualitativ hochwertiger öffentlicher Kinderbetreuung wäre daher langfristig eine lohnenswerte staatliche Investition, um soziale Ungleichheit abzubauen und Kompetenzen von Kindern früh zu fördern. Da Kinder aus statushohen Familien ohnehin stärker an früher Bildung teilhaben, hat eine Ausweitung des Zugangs insbesondere für benachteiligte Kinder das Potenzial, Nachteile in ihrer Entwicklung zu verringern.