Blick hinter die Biergartenidylle

Kulturgeographische Studien erforschen das Brauereiwesen im Landkreis Bamberg | aus uni.kat 02/2023

Studierende sehen sich eine Abfüllanlage an.
  • Forschung
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  • 14.08.2024
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  • Tanja Eisenach
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  • Lesedauer: 6 Minuten

In Sachen Genuss hält Oberfranken gleich mehrere Weltrekorde. Gemessen an der Einwohnerzahl gibt es hier zum Beispiel die meisten Brauereien der Welt. Über 80 von ihnen finden sich in unmittelbarer Nähe zur Domstadt und prägen viele Ortschaften. Forschungsarbeiten am Lehrstuhl für Kulturgeographie möchten diesen Beitrag zur Regionalentwicklung sichtbar machen. Dieser Artikel ist in der Ausgabe 02/2023 des Campus-Magazins uni.kat erschienen.

Bier ist mehr als ein Getränk – zumindest im Bamberger Land. Touristinnen und Touristen wie Einheimische verbinden den Gerstensaft mit Naherholung auf einem idyllisch gelegenen Bierkeller oder in einer der zahlreichen Brauereigaststuben, mit Geselligkeit und sozialem Austausch, mit einem Platz, an dem man so sein darf, wie man ist, kurzum: mit Heimat und Wohlbefinden. Bier steht somit für eine Lebensphilosophie, die untrennbar mit dem Ort verbunden ist, an dem es produziert und ausgeschenkt wird – und stellt damit eine regionale Besonderheit dar.

Diese identitätsstiftende Funktion hat das Interesse zweier Bamberger Wissenschaftler geweckt. In zwei Studien von 2015/2016 und 2020/2021 untersuchten Prof. Dr. Marc Redepenning und Dr. Sebastian Scholl vom Lehrstuhl für Kulturgeographie zusammen mit einem Team von Studierenden die sozio-kulturelle Dimension des Brauereiwesens und des Bieres in Stadt und Landkreis Bamberg. Besonderes Augenmerk lag dabei auf Ursache und Wirkung: Was charakterisiert die Brauereien, welche Bedeutung haben sie für die Entwicklung von Ortschaften und Region und wie kann man ihre Arbeit positiv unterstützen?

Forschungen zu Erhalt und Entwicklung des Kulturguts Bier

Ziel der Studien ist es nicht nur, bislang fehlende Daten zur gesellschaftlichen Bewertung, Anerkennung und Ökonomie regionaler Bierprodukte zu erheben. „Wir möchten auch Bewusstsein schaffen für das Kulturgut Bier, das ganz selbstverständlich zum regionalen Alltag dazugehört, aber kaum hinterfragt wird“, sagt Marc Redepenning. „Dazu zählt für uns auch, die handwerkliche und oft auch kreative Arbeit der Brauerinnen und Brauer sichtbar zu machen und dadurch einen Beitrag zu deren gesellschaftlicher Anerkennung zu leisten“, ergänzt Sebastian Scholl. Die Ergebnisse ihrer beiden Studien werden deshalb als kompakte Broschüren zum Auslegen und Mitnehmen gestaltet. Darin enthalten sind unter anderem Zahlen und Fakten zu Betriebsstruktur, Unternehmensphilosophie oder Produktion und Vertrieb von über 60 Brauereien aus dem Landkreis.

„Die Brauereien im Landkreis sind von kleinbetrieblichen Strukturen geprägt, handwerklich orientiert und in der Regel fest in Familienhand“, bringt Marc Redepenning die charakteristischen Merkmale auf den Punkt. Über 60 Prozent der befragten Brauereien produzieren weniger als 3000 Hektoliter Bier im Jahr. Fast die Hälfte hat weniger als zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wird von einer Inhaberfamilie geführt. Fällt da mal ein Betrieb weg, weil er aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen schließen muss, macht sich das nicht bemerkbar – sollte man meinen. Doch das Gegenteil trifft zu. Denn viele Unternehmen existieren seit mehreren Generationen und sind in dieser Zeit zum sozial-integrativen Mittelpunkt ihrer Umgebung geworden. Die Anwesen stehen zum Teil unter Denkmalschutz und prägen den Ortskern auch baulich.

Brauereien als identitätsstiftende Objekte

Kein Wunder also, dass sich unter anderem Gemeindeverantwortliche bei Geschäftsaufgaben teils jahrelang den Kopf über Nachnutzungsmöglichkeiten zerbrechen. So bleiben auch Manfred Deinlein, erster Bürgermeister von Reckendorf, und seinem Gemeinderat diese Gedanken nicht erspart. Bereits in den 1960er Jahren wurde in der ortsansässigen Brauerei Stolbinger das letzte Bier ausgeschenkt. Einen Nachfolger, der den Betrieb hätte übernehmen wollen, gab es nicht. Ein Grundstück mit weit über 1.500 Quadratmetern Fläche, zahlreichen Gebäuden und hohem Denkmalwert steht seitdem leer, mitten im Ort.

Es aufgeben oder verkaufen kommt für Manfred Deinlein nicht in Frage: „Das Anwesen gehört zu uns, es ist Teil unserer Geschichte.“ Pläne für eine Wiederbelebung des Areals gibt es bereits. So sollen dort ein Seniorenzentrum, Café und Veranstaltungsräume entstehen, also ein Treffpunkt für Jung und Alt, ganz so, wie es die Brauerei mit ihrer Gastwirtschaft vor vielen Jahren einmal gewesen ist. „Die Lage ist einfach ideal. Kirche, Nahversorgung, alles fußläufig erreichbar.“ Knackpunkt ist wie so oft die Finanzierung. Auf circa 15 Millionen Euro werden Umbau und Sanierung geschätzt. „Das entspricht unserem gesamten kommunalen Haushalt von zwei Jahren“, sagt Manfred Deinlein. Erste Bewerbungen um Fördermittel laufen deshalb bereits.

Alltag eines Brauers: Probleme und Herausforderungen

Einen Nachfolger zu finden, ist bis heute eine der größten Herausforderungen für Brauereien. Die beiden Forscher wundert das nicht, denn der Alltag eines Braumeisters oder einer Gastwirtin hat mit romantischer Biergartenidylle wenig zu tun. „Hinter diesen Berufen stecken 60-80 Stunden Arbeit in der Woche, auch bedingt durch den mittlerweile schon chronischen Personalmangel und den hohen Verwaltungsaufwand“, sagt Marc Redepenning. Viele Anwesen leiden zudem unter Investitionsstau und müssen dringend modernisiert werden. Corona- und Energiekrise haben die Situation noch verschärft.

Die Zukunft des Brauereiwesens im Landkreis

Was also tun, um den eigenen Betrieb krisensicherer zu machen? Ein Lösungsweg scheint Vielfalt und Diversifizierung zu sein, zum Beispiel bei Produktion und Vertrieb, um auf die wachsende Diversität von Konsummustern und Lebensstilen zu reagieren. „Der Anteil der Brauereien, die mehr als zehn Biersorten anbieten, hat sich im Vergleich zur letzten Studie 2015 nahezu verdoppelt“, sagt Marc Redepenning. Getränke- und Supermärkte gewinnen als Absatzmöglichkeiten an Bedeutung. Das steigert nicht unbedingt den Umsatz, sorgt aber für größere Bekanntheit und Verfügbarkeit. In der reflektierten Vermarktung und Erschließung neuer Zielgruppen liegt für die beiden Wissenschaftler ein weiterer Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit der Brauereien. Durch Kontext-Angebote wie Bierproben, Brauseminare, Hausführungen oder unterstützende Maßnahmen von Städten und Landkreisen wie zum Beispiel Bierwanderwege können neue Geschäftsfelder erschlossen und zusätzliche Einnahmenquellen generiert werden.

Diese Ansätze werden die beiden Kulturgeographen genau verfolgen, 
um die weitere Entwicklung der regionalen Brauereilandschaft analysieren zu können. Zugleich haben sie mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University of Gloucestershire erste vergleichende Forschungen zur Brauereilandschaft in Großbritannien durchgeführt. Die Erkenntnisse daraus, insbesondere zum Verhältnis von traditionellen und innovativen Brauverfahren, sollen auch den hiesigen Betrieben zur Verfügung gestellt werden.

Weitere Informationen:

Redepenning, Marc und Scholl, Sebastian: Bierkeller und Brauereien im Bamberger Land. Eine sozial- und kulturgeographische Untersuchung zur kulturellen Bedeutsamkeit, zu Regionalität und Netzwerken. Bamberg, 2016.

Die Broschüre ist erhältlich im Landratsamt Bamberg, im Internet unter www.uni-bamberg.de/geo1/projekte-und-transfer/projekte/bierkeller-und-brauereien-im-bamberger-land

oder direkt beim Lehrstuhl für Kulturgeographie: sekretariat.geo1(at)uni-bamberg.de 

Die Ergebnisse der zweiten Studie von 2020/2021 sind in Kürze unter www.uni-bamberg.de/geo1 abrufbar.

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Seite 164133, aktualisiert 14.08.2024