Geschlechtersensibilität stärken

Die Rolle von Geschlecht in der Forschung | aus uni.vers Forschung 2024

  • Forschung
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  • 05.07.2024
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  • Johanna Bamberg-Reinwand
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  • Lesedauer: 6 Minuten

Forschung hat den Anspruch, möglichst objektiv zu sein. Forschungsergebnisse sollen uns als Gesellschaft voranbringen und werden deshalb als Ausgangspunkt für gesellschaftlichen Wandel und Motor für Innovation gesehen. Doch was ist, wenn Forschungsergebnisse verzerrt sind? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will durch die Förderung von Strukturprojekten an Universitäten Geschlechtersensibilität in Forschungsvorhaben deutschlandweit stärken. Bamberg ist mit dem Projekt GENIAL-forschen+ dabei.

Die konsequente Berücksichtigung der Dimension Geschlecht ist tief in unserem Alltag verwurzelt. Wir unterscheiden Damen- und Herrenkleidung, definieren Farben als Mädchen- oder Jungenfarben, trennen Frauen und Männer bei Sportwettbewerben. Bei Forschungsdesigns wird das Geschlecht hingegen nicht immer einbezogen. Dabei kann das in einigen Fächern unmittelbaren Einfluss auf unseren Alltag haben, manchmal sogar über Leben und Tod entscheiden. Die Erkenntnis, dass sich Herzinfarkte bei Menschen verschiedener Geschlechter in unterschiedlichen Symptomen äußern, ist mittlerweile bekannt. Aber auch in anderen Bereichen kann der geschärfte Blick zu weitreichenden Erkenntnissen führen. Innovative Forschung kommt heute über die Disziplinen hinweg selten ohne die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive aus. Geschlechtersensibel zu forschen bedeutet, mögliche geschlechtertypische Aspekte in allen Phasen des Forschungsprozesses von Konzeption über Methode und Auswertung bis zur Anwendung sowie bei der Theoriebildung zu berücksichtigen.

Gesellschaftsverändernde Erkenntnisse auf den zweiten Blick

Auch Forschungsergebnisse, die seit Jahrzehnten als gesichert gelten, können durch das geschlechtersensible Untersuchen von Befunden zu neuen Ergebnissen kommen. In einem Wikingergrab wurde beispielsweise einst eine Kriegerin bestattet und nicht, wie irrtümlicherweise zunächst festgehalten, ein Krieger. Auch neue Untersuchungen zu Funden aus der Steinzeit legen nahe, dass es die steinzeitliche Familie mit der heute als geschlechtstypisch festgehaltenen Arbeitsteilung vom jagenden Mann und der sammelnden Frau nicht gab. Wie sähe unsere Rollenverteilung wohl heute aus, wenn wir über dieses Wissen eher verfügt hätten? Das gesellschaftsverändernde Potential geschlechtersensibler Forschung ist also groß, ebenso groß sind aber auch die Daten- und Wissenslücken.

Diese Lücken sollen schrittweise geschlossen werden. Mit dem Projekt GEschlechterpoteNzIALe nutzen – Gesellschaft verändern (kurz: GENIAL forschen+) wird die Universität Bamberg dazu einen Beitrag leisten, indem bestehende geschlechtersensible Forschung ausgebaut und gleichzeitig die Sensibilität der Forschenden für diese Notwendigkeit gestärkt wird. In der bereits abgeschlossenen Konzeptphase des Projektes mit dem Titel GENIAL-forschen erfolgte eine Bestandsaufnahme. Für die im Juli 2024 beginnende fünfjährige Projektphase ist unter anderem die Gründung eines Zentrums für geschlechtersensible Forschung geplant.

Wo in Bamberg bereits geschlechtersensibel geforscht wird

Ein Blick ins Forschungsinformationssystem (FIS) der Universität Bamberg verrät, dass man auf einer soliden Basis von Forschung und Projekten in der im Lauf der Konzepthase eingerichteten Querschnittskategorie Geschlechtersensible Forschung aufbauen kann.

Die Spannweite der Forschung reicht vom großen Bereich der Künstlichen Intelligenz über ein vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales
gefördertes Projekt zu Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor bis hin zur gendersensiblen Erweiterung herkömmlicher Gewichtsreduktionsprogramme.

 Einige dieser bereits realisierten Projekte wurden im Rahmen einer Poster-Ausstellung während der Konzeptphase von GENIAL-forschen präsentiert und in einem Wettbewerb prämiert. Gewonnen hat das Poster von Dr. Daniel Mayerhoffer und Dr. Jan Schulz-Gebhard zur Einschätzung des sogenannten Gender Wage Gaps. FINTA* – also female, inter, trans und asexuelle Menschen – haben den Unterschied im Gehalt von Frauen und Männern realistischer eingeschätzt als Männer. Dieses Wissen hilft dabei zu verstehen, warum Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern immer noch bestehen. Denn wenn männliche Vorgesetzte nicht den Eindruck haben, Frauen bei Gehaltserhöhungen zu benachteiligen, dann werden sie ihr Verhalten weder überdenken noch ändern. Die Forschungsergebnisse können insofern zur Bewusstseinsschärfung und im Idealfall zur Verringerung von geschlechterbedingten Gehaltsunterschieden beitragen.

Das ebenfalls prämierte Poster von Magdalena Eriksroed-Burger setzt sich mit der Frage nach Akteurinnen im künstlerischen Feld Prags in der Zeit zwischen 1918 und 1938 auseinander. Sie zeichnet ein neues Bild des Kunstbetriebs zu jener Zeit, in dem Frauen, entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten. Männer und Frauen als Vorbilder in unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen sehen zu können, ist für die Berufswahl von jungen Menschen von großer Bedeutung. Zu wissen, dass es neben berühmten Künstlern auch berühmte Künstlerinnen gab, schließt also gewissermaßen eine Vorbild-Lücke.

Was erreicht werden soll

Die Universität Bamberg hat geschlechtersensible Forschung in ihre aktuelle Forschungsstrategie integriert. Das Projekt GENIAL-forschen+ wird universitäre Strukturen aufbauen, die der Umsetzung dieser Strategie dienen sowie gleichzeitig geschlechtersensible Forschung stärken.

Beispielsweise werden zielgruppenspezifische Vernetzungs- und Fortbildungsangebote weiterentwickelt, die bereits wie die Nacht der Geschlechtersensiblen Forschung das Bewusstsein Studierender schärfen oder das nötige Knowhow für die Beantragung von großen Verbundprojekten vermitteln. Geschlechtersensibilität wird aufgrund der größeren Aussagekraft von Forschungsergebnissen mittlerweile von drittmittelgebenden Institutionen weltweit erwartet. Daher ist ein weiterer Schwerpunkt der Projektphase die Etablierung von Beratungsprozessen für Forschende im universitären Dezernat für Forschungsförderung und Transfer (Z/FFT). Dazu wird ein Beratungskonzept erstellt, das einen Werkzeugkasten sowie einen Leitfaden für diese Beratungssituationen entwickelt. Ziel ist es, Geschlechtersensibilität nicht als Ausnahme, sondern als festen Bestandteil in alle Phasen des Forschungsprozesses zu integrieren. Die erarbeiteten Leitfäden und Werkzeuge werden im Anschluss anderen Universitäten zur Verfügung gestellt. Weitergegeben werden also nicht ausschließlich Forschungsergebnisse und Methoden, sondern in diesem besonderen Fall auch Strukturaufbau- und -umbaumaßnahmen. Im Ergebnis soll sich die Universitätslandschaft nachhaltig wandeln und zu geschlechtersensibler Forschung bekennen. „Exzellente Forschung sollte sich am Nutzen für alle Menschen orientieren“, sagt Prof. Dr. Astrid Schütz, Leiterin des Projekts GENIAL-forschen+ und Inhaberin des Lehrstuhls für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik.

Das Zentrum für geschlechtersensible Forschung, das im Rahmen des Projekts eingerichtet wird, wird das über die Projektlaufzeit hinaus sichtbare Ergebnis für die institutionelle Verankerung der Thematik in der Universität sein. Es dient dem Austausch zwischen den beteiligten universitären Abteilungen und Einrichtungen, der Koordination der Forschenden sowie der Qualitätssicherung. Hier werden alle Aktivitäten des Projektes organisiert, Forschende vernetzt und der Transfer zu anderen Hochschulen sowie in die Gesellschaft und zu weiteren Transferpartnern initiiert. 29 regionale und überregionale Unternehmen, Verbände und Hochschulen zeigen bereits im Vorfeld des Projektes großes Interesse am Transfer der Erkenntnisse. Dieses Projekt der Universität Bamberg möchte damit nachhaltig zu einer gleichberechtigten Gesellschaft beitragen.

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Seite 165824, aktualisiert 05.07.2024