Brücken bauen zwischen Stadt und Land

Neue Wege zu einer ortssensiblen Nachhaltigkeit | aus uni.vers Forschung 2025

Bamberg von oben mit Natur
  • Forschung
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  • 24.07.2025
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  • Marc Redepenning, Sebastian Scholl, Christian Fritsch, Daniel Keech
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  • Lesedauer: 7 Minuten

Vom Nebeneinander oder sogar Gegeneinander zum Miteinander: Neue Forschungsergebnisse zeigen, wie lokale Allianzen regionale Herausforderungen meistern, Ressourcen intelligent teilen und Kooperationen entwickeln. Funktionale Verflechtungen zwischen Stadt und Land schaffen einen Mehrwehrt für Klimaschutz, regionale Ernährungssicherheit und nachhaltige Regionalentwicklung.

Stadt und Land sind zwei Formen gesellschaftlicher Räumlichkeit, die vor allem über ihre unterschiedliche Flächennutzung zentrale Beiträge für den gesellschaftlichen Wohlstand leisten. Zugleich sind ihre Herausforderungen in der Transformation zu einer nachhaltigeren Entwicklung jeweils anders.

In Städten wird die Bedeutung naturbasierter Lösungen immer deutlicher: Grünflächen, kleine Wasserläufe und Fassadenbegrünung wirken nicht nur gegen überhitzte Stadtbereiche (sogenannte Hitzeinseln), sondern schaffen auch wertvolle Begegnungsorte. Solche Maßnahmen konkurrieren oft mit etablierten Verständnissen der Nutzung des Verkehrsraums – wobei die Belastung durch Individualverkehr mit seinen Feinstaub- und Lärmemissionen ohnehin eine große Herausforderung darstellt.

In ländlichen Regionen hingegen gibt es häufig keine praktikable Alternative zum motorisierten Individualverkehr, was zu intensiver Nutzung des Autos führt und der Überzeugung, dass es unverzichtbar sei. Gleichzeitig bietet der ländliche Raum durch seine Flächen großes Potenzial: Er kann ökologische Ausgleichsfunktionen übernehmen und durch die Erzeugung von Nahrungsmitteln und Energie regionale Wertschöpfungsketten und lokale Unternehmen stärken.

Perspektivenwechsel als Schlüssel zur Kooperation

In vielen Diskussionen werden Stadt und Land noch immer als getrennte Welten betrachtet, was alte Denkmuster fortsetzt. Diese Perspektive verschiebt sich jedoch. Die Erkenntnis wächst, dass Stadt und Land eng miteinander verzahnt und aufeinander angewiesen sind. 

Der Mehrwert dieser Perspektivverschiebung zeigt sich an neuen Dynamiken und Innovationen, die sich aus der Kooperation zwischen Stadt und Land ergeben können. Gegenseitigkeit statt Isolation lautet die Formel, um die raumbezogenen Herausforderungen der Nachhaltigkeitstransformation integriert zu lösen. Stadt und Land sollten als Verflechtungsräume verstanden werden, denn ökologische, soziale und ökonomische Herausforderungen machen nicht an räumlichen Grenzen Halt. Es gilt, die jeweiligen Stärken der Räume zu nutzen, um neue Lösungen für klimaneutrale Mobilität, besseren Klimaschutz oder sozialen Zusammenhalt zu finden.

Dieser Gedanke steht im Mittelpunkt von Konzepten, die mehr Ortssensibilität in der Nachhaltigkeitstransformation einfordern. Es geht darum, wissenschaftliche Empfehlungen und politische Fördermaßnahmen an die ortsspezifische Situation anzupassen, sei es an die natürliche Umwelt, die vorhandenen Infrastrukturen sowie eine diversifizierende Bevölkerung. Zugleich verweist das Konzept einer ortssensiblen Nachhaltigkeit auf eine aktive Rolle, wenn es die Möglichkeiten von Menschen zur Gestaltung ihres Ortes, ihrer Region und ihrer Heimat hervorhebt. 

Jenseits administrativer Grenzen: Das Potenzial hybrider Allianzen

Damit werden gesellschaftliche Aushandlungsprozesse betont, die in differenzierten und sich weiter diversifizierenden Gesellschaften nicht reibungslos ablaufen. Mehr und mehr zeigt sich, dass gelungene Aushandlungen, gerade auch jene zwischen Stadt und Land, Vermittler brauchen zwischen den unterschiedlichen Realitäten der Gesellschaft.

In dieser Hinsicht wird seit einigen Jahren über die Potenziale sogenannter hybrider Allianzen nachgedacht. Sie sind, vereinfacht formuliert, Akteurskollektive, die im Bereich der Nachhaltigkeitstransformation mit hoher Gemeinwohlorientierung arbeiten. Ein Kennzeichen ist ihre sektorenübergreifende Zusammensetzung mit Akteuren aus Politik/Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Sie besitzen in ihren jeweiligen Handlungssektoren Expertise und sind offen für Vernetzungen mit Handelnden aus anderen Sektoren und Räumen, um neue Perspektiven zu erlernen und zu realisieren.

Welche Leistungen, aber auch Probleme hybride Allianzen im Kontext einer ortssensiblen Nachhaltigkeitstransformation zwischen Stadt und Land aufweisen, soll abschließend an zwei empirischen Beispielen erörtert werden.

Die Flut gemeinsam bewältigen: Nachhaltige Konzepte für Stadt und Land

Ein Beispiel für die Gestaltung nachhaltiger Beziehungen zwischen Stadt und Land wurde im EU-Horizon-Projekt ROBUST erarbeitet. Hier haben Reallabore die Bildung von hybriden Allianzen angestoßen, bei denen den Stimmen von Praktikerinnen und Praktikern besonderes Gewicht gegeben wurde. 

In Gloucestershire (England) wurden die Bemühungen um ein naturnahes Hochwassermanagement (NFM) dadurch beeinträchtigt, dass Mittel überwiegend für technische Hochwasserschutzmaßnahmen in den Städten eingesetzt wurden, um Menschenleben, Eigentum und weitere Güter zu schützen. Umweltmaßnahmen in den stärker ländlich geprägten oberen Flusseinzugsgebieten wurden vernachlässigt: Die Maßnahmen des NFM waren dort räumlich verstreuter und damit weniger prägnant sichtbar. Überdies trafen die Maßnahmen nicht selten auf Widerstand in den lokalen Gemeinschaften, weil sie Eingriffe in etablierte Flächennutzungen bedeuteten.

Die Durchsetzung der Maßnahmen musste daher intensiv ausgehandelt werden. Dabei erwiesen sich hybride Allianzen als sinnvoll. Dieses Beispiel verdeutlicht die Notwendigkeit eines (neuen) regionalen Bewusstseins: NFM in den oberen Einzugsgebieten sind oft umweltverträglicher und kostengünstiger, um saisonale Hochwasser zurückzuhalten und auch die flussabwärts gelegenen Städte zu schützen. Die Kooperation zwischen Stadt und Land muss als Prozess des gegenseitigen Gebens und Nehmens verstanden werden.

Vom Feld auf den Teller: Wie Stadt-Land-Kooperationen regionale Produkte fördern

Solche hybriden Allianzen in der Region Bamberg werden aktuell auch in einem weiteren Forschungsprojekt zur Steigerung von bürgergetriebenen Innovationen untersucht. In Stadt und Landkreis Bamberg deutet sich an, dass hybride Allianzen im Sinne einer ortssensiblen Nachhaltigkeit ein Treiber für Transformationsprozesse im Bereich der regionalen Lebensmittelproduktion sein können. 

In Bamberg wurden Projekte wie die Essbare Stadt oder sogenannte Selbsterntegärten initiiert, die die Einbindung der Bamberger Bevölkerung in die Nahrungsmittelproduktion förderten, wenngleich auf kleinem Niveau. Dabei wurde recht früh auf das Zusammenspiel und die Kooperationen zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen, Ämtern, Unternehmen und Universität gesetzt. Neben dieser lokalen Allianz, die auch die lokale Wertschöpfung stärkte, wurden Orte der Begegnung geschaffen. Erkennbar ist, dass diese Aktivitäten selbst noch stark lokal orientiert sind. Eine zentrale Aufgabe wird es daher sein, mit Hilfe digitaler Plattformen die Vernetzung zwischen Stadt und Land auszubauen, um Produzierende zu unterstützen und mehr Nahrungsmittellieferungen im regionalen Umfeld abdecken zu können. Dafür allerdings ist zunächst ein entsprechendes Bewusstsein für den Wert regionaler Produkte und die Bedeutung der Stadt-Land-Beziehung bei der Bevölkerung zu schaffen.

Die beiden Beispiele zeigen exemplarisch, wie hybride Allianzen Stadt und Land intensiver vernetzen können. Sie ermöglichen eine ortssensible, lebendige Nachhaltigkeit, die die besonderen Stärken beider Räume mitdenkt und in praktische Lösungen integriert.

 

 

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Seite 171711, aktualisiert 24.07.2025