Wer bei dem Begriff „Digitaler Zwilling“ lediglich an ein statisches digitales Bild eines realen Objekts denkt, der denkt zu kurz. Beim Digitalen Zwilling handelt es sich vielmehr um eine digitale Darstellung eines physischen Objekts, Prozesses oder Systems, das in Echtzeit mit dem realen Objekt interagiert. Ein digitaler Zwilling ist also dynamisch, erweckt Daten virtuell zum Leben und macht sie nutzbar. Die Idee des Digitalen Zwillings eroberte bereits die Automobilindustrie, die Luft- und Raumfahrt, Landwirtschaft und Fertigung, aber nun auch das Gesundheitswesen und die Stadtplanung. Doch welche bisher ungenutzten Potentiale bietet die Technologie für die Denkmalpflege und Architektur? Mit dieser Frage beschäftigt sich Rana Tootoonchi (im Titelbild). Sie promoviert zu diesem Thema an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, gefördert durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Ihre Forschung führt sie an der Bamberger Graduiertenschule für Smart City Science (BaGSCiS) durch, die 2024 gegründet wurde.

Kulturelles Erbe bewahren
„Der Schutz und die Pflege unseres architektonischen Kulturerbes ist eine große Herausforderung“, erläutert Prof. Dr. Mona Hess, Erstbetreuerin des Promotionsprojekts von Rana Tootoonchi und Inhaberin des Lehrstuhls für Digitale Denkmaltechnologien. „Und zukünftig wird diese Aufgabe weiter erschwert werden etwa durch den Klimawandel oder Massentourismus. Projekte wie Rana Tootoonchis sind deshalb sehr wichtig, um uns für die Zukunft zu wappnen.“ Bewusstsein dafür, dass sich vor allem präventiv und nicht nur kurativ um Kulturgüter gekümmert werden muss, um sie zu erhalten, ist in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen, wie Tootoonchi weiß. Für einen präventiven Ansatz müssen die Objekte aber regelmäßig überwacht werden, um rechtzeitig Maßnahmen zur Instandhaltung ergreifen zu können. In ihrem Projekt beschäftigt sich die Doktorandin intensiv mit diesem Thema. „Ich bringe Technologie und Denkmalschutz zusammen. Indem ich neue und kreative Verwendungsmöglichkeiten des Digitalen Zwillings im Kontext historischer Gebäude anwende, möchte ich neue Perspektiven für den Schutz und die Bewahrung des Erbes unserer gemeinsamen Geschichte bieten“, erläutert Rana Tootoonchi.
Exemplarisch testet die Doktorandin ihre Ideen und die Technologien in der ehemaligen Dominikanerkirche in Bamberg, die nach umfangreichen Sanierungen in den 2010er Jahren heute der Universität Bamberg als Aula dient. Sie erstellt ein 3D-Modell des Gebäudes und verbindet dies mit neu konzeptionierten Echtzeit-Messungen im Vergleich mit Sensoren, die teilweise bereits dort angebracht sind. Die Daten der Sensoren sollen in Echtzeit an den Digitalen Zwilling übertragen werden. Langfristiges Ziel ist es, auf Basis der Daten wiederum automatisiert auf Veränderungen reagieren zu können, etwa wenn es um die Regulierung von Luftfeuchtigkeit, Temperatur oder Besucherströmen geht. „Läuft dieser bidirektionale Datenfluss ideal, kann mit Hilfe des Digitalen Zwillings das Management denkmalgeschützter Gebäude verbessert werden“, sagt Tootoonchi.


Graduiertenschule begleitet Stadt Bamberg auf dem Weg zur Smart City
Rana Tootoonchi ist mit ihrem Forschungsvorhaben an die Bamberg Graduate School of Smart City Sciences (BaGSCiS) angegliedert. BaGSCiS bringt aktuell fünf Promovierende und sieben Professorinnen und Professoren zusammen. Eingebettet ist die Graduiertenschule wiederum in das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk Smart City Research Lab (SCRL), das bereits seit 2021 besteht und die Begleitforschung für Smart City-Vorhaben unter anderem in Bamberg durchführt – sei es in Form von Machbarkeitsstudien, wissenschaftlich basierten Empfehlungen oder der Umsetzung und Implementierung einzelner Teilprojekte, Messungen und Befragungen. Die Stadt Bamberg wurde im Jahr 2020 vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) als Modellkommune Smart City ausgewählt. In dieser Funktion entwickelt Bamberg von 2020 bis 2027 mit einem Gesamtbudget von 17,5 Millionen Euro modellhafte, übertragbare und skalierbare Lösungen für die gemeinsamen Herausforderungen der über 10.000 deutschen Städte und Gemeinden. Die Graduiertenschule ist dabei ein weiterer Baustein.
Nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen anstoßen
Die Mitglieder der Bamberg Graduate School of Smart City Sciences erforschen und entwickeln innovative Anwendungen digitaler Technologien in lokalen und regionalen Kontexten. Sie arbeiten dabei fächerübergreifend zusammen. Ziel ist es, Beiträge zur Stadt- und Regionalentwicklung zu leisten, die nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen anstoßen und begleiten. „Die Digitalisierung bietet enorme Chancen, Städte und Regionen lebenswerter, nachhaltiger und effizienter zu gestalten“, erläutert Prof. Dr. Daniela Nicklas, Sprecherin der Graduiertenschule und Inhaberin des Lehrstuhls für Informatik, insbesondere Mobile Softwaresysteme/Mobilität. Sie ist zudem die Zweitbetreuerin des Promotionsvorhabens von Rana Tootoonchi. „Mit der Bamberg Graduate School of Smart City Sciences wollen wir nicht nur innovative Technologien erforschen, sondern auch deren konkrete Anwendung und Nutzen für Gesellschaft und Umwelt in den Fokus rücken. Unser Ziel ist es, die Transformation von Kommunen zu einer Smart City aktiv zu begleiten. Dabei untersuchen wir insbesondere das transdisziplinäre Zusammenspiel zwischen Menschen, Technologien und Orten, eingebettet in die Notwendigkeit der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit“, sagt Nicklas.

Promovierende profitieren von Vernetzung
Die Einbindung in die Graduiertenschule bietet Promovierenden wie Rana Tootoonchi einerseits finanzielle Ressourcen und andererseits ein Netzwerk, das ihre Forschung unterstützt und bereichert – sowohl innerhalb der Universität als auch regional, national und international. Neben Bamberg gibt es nämlich ein Netzwerk aus 72 weiteren Smart City-Modellkommunen verschiedener Größe und Struktur in Deutschland. Auch auf internationaler Ebene sind Smart Cities vernetzt. Rana Tootoonchi promoviert im Fach Digitale Denkmaltechnologien. Ursprünglich hat sie aber Architektur im Iran, ihrem Heimatland, studiert. Der Umgang mit dem technischen Equipment, um Gebäude zu scannen, ist für sie eine besondere Herausforderung, weil sie damit vorher noch nicht in Berührung gekommen war. „Durch die Kooperationen konnte ich an Workshops teilnehmen und habe viele Expertinnen und Experten kennengelernt, die mir helfen“, sagt die Promovendin. „Zudem ist für mich der Austausch mit anderen Promovierenden bereichernd. So kann ich über meinen eignen Tellerrand hinausblicken und bekomme neuen Input für mich persönlich und für meine Forschung.“
Rana Tootoonchi: „Bamberg ist zu meinem Zuhause geworden“
Bei ihrem Start in Bamberg war sie vor allem begeistert davon, wie außerordentlich gut die Universität Bamberg mit technischem Equipment zur Untersuchung historischer Gebäude ausgestattet ist. „Der Zusammenschluss im Kompetenzzentrum für Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien hat es uns ermöglicht, die Fachbereiche Bauforschung, Restaurierungswissenschaften, Denkmalpflege sowie Digitale Denkmaltechnologien enorm auszubauen“, erläutert Mona Hess. „Wir sind an der Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften angesiedelt, aber bieten eine Ausstattung an Hardware, Softwaresystemen und naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden, die normalerweise nur an einer ingenieurwissenschaftlichen Fakultät zu finden ist. Das ist wirklich außergewöhnlich – nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus.“ Rana Tootoonchi war außerdem überrascht darüber, wie freundlich die Menschen in Bayern sind: „Ich habe vorher immer vom Stereotyp gehört, dass hier niemand Englisch spricht und alle unfreundlich sind. Aber das stimmt gar nicht.“ Doch wie kam es überhaupt dazu, dass sie nach Bamberg kam? „Professorin Mona Hess ist im Bereich der Digitalen Denkmaltechnologien (Digital Heritage) sehr bekannt – auch im Iran. Ich habe sie einfach angeschrieben und mich bei ihr beworben“, erläutert Tootoonchi. „Sie hat mir auch Professorin Daniela Nicklas als Zweitbetreuerin vorgeschlagen. Und mit zwei Betreuerinnen konnte ich mich dann für das Stipendium der Graduiertenschule bewerben.“ Rana Tootoonchi wird ihre Promotion nach insgesamt vier Jahren voraussichtlich im Herbst 2027 abschließen – so lange wird sie auch finanziell vom DAAD und im Rahmen von BaGSCiS gefördert. Danach hofft sie, weiter in Deutschland arbeiten zu können. Denn: „Für mich ist Bamberg inzwischen zu einem Zuhause geworden“, sagt sie.
Weitere Informationen zur Bamberger Graduiertenschule für Smart City Science unter: https://www.uni-bamberg.de/scrl/bagscis/
Eine englische Version des Artikels ist zu finden unter: https://www.research-in-bavaria.de/smart-cities-and-heritage-conservation/