Das Titelthema der aktuellen Ausgabe des Campus-Magazins uni.kat beschäftigt sich mit Mythen über Arbeitszeit, die in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Dazu befragte die Autorin Katja Hirnickel drei Bamberger Expertinnen und Experten. Aus den Gesprächen ist nicht nur der Artikel für das Magazin entstanden, sondern auch drei ausführliche Interviews. Hier spricht Hirnickel mit Prof. Dr. Katja Möhring, Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie, insbesondere Familie und Arbeit, über die Auswirkungen von Teilzeitarbeit auf Karrierechancen und Altersvorsorge:
Frau Möhring, gibt es einen Zusammenhang zwischen Teilzeitarbeit und Karrierefaktoren wie Verantwortung im Job, Beförderungsmöglichkeiten oder Führungspositionen?
Katja Möhring: Grundsätzlich kann man sagen, dass Teilzeitarbeit bei allen diesen Merkmalen zu schlechteren Ergebnissen führt. Teilzeitbeschäftigte erzielen im Schnitt niedrigere Löhne, auch bezogen auf Stundenlöhne, nicht nur auf das Gesamteinkommen. Das liegt daran, dass Teilzeitjobs meist in bestimmten Branchen und Bereichen angeboten werden, wo gar nicht die Möglichkeit gegeben ist, den Verdienst über das Erwerbsleben hinweg so stark zu steigern wie bei Vollzeitjobs.
Dass die Aussicht auf Führungsverantwortung fehlt, hängt das auch mit deutschen Vorstellungen von Führung zusammen?
Genau. Das ist in Deutschland mit einer etwas altertümlichen Sichtweise auf Führungsverantwortung verbunden. Wir haben bei uns immer noch die sogenannte „Ideal Worker Norm“ – die Vorstellung, dass Jobs mit Führungsverantwortung nur von Personen gemacht werden können, die in Vollzeit präsent sind und Kontrolle vor Ort ausüben.
Wir verbinden Produktivität oft damit, dass jemand bis tief in den Abend am Schreibtisch sitzt und Sachen abarbeitet. Diese Bevorzugung von Präsenzkultur wird auch auf die Führungsebene übertragen. Job-Sharing auf dieser Ebene, also dass sich zwei Personen eine Führungsposition teilen, gibt es zwar auch. Das sehen wir manchmal in Forschungsinstituten bei Abteilungsleitungen, aber das ist ein absolutes Randphänomen.
In welchen Branchen ist Teilzeitarbeit besonders verbreitet?
Wir haben den ganzen Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen und den Einzelhandel, in denen es viel Teilzeitarbeit gibt. Typischerweise ist es auch die Verwaltung und besonders der öffentliche Dienst. Im öffentlichen Dienst ist beispielsweise vorgeschrieben, dass in Stellenausschreibungen die Möglichkeit von Teilzeit zu eröffnen ist. Der öffentliche Dienst einschließlich des Lehrerberufs hat eine überdurchschnittlich hohe Teilzeitquote.
In Deutschland wird auch stark die Möglichkeit des Minijobs genutzt, bei dem der Arbeitnehmer keine Sozialabgaben zahlen muss. Das nutzen überwiegend Frauen, gerade auch solche, die noch andere Aufgaben nebenbei haben.
Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der Teilzeitarbeit?
In Deutschland beschränkt sich Teilzeitarbeit sehr stark auf Frauen – und innerhalb der Frauen sehr stark auf Mütter. Nur rund 13 Prozent der Männer arbeiten in Teilzeit, aber fast die Hälfte der Frauen. Im europäischen Vergleich haben deutsche Frauen damit eine der höchsten Teilzeitquoten, während deutsche Männer eine der niedrigsten haben. Diese Differenz zwischen den Geschlechtern ist europaweit eine der höchsten.
Warum tickt Deutschland bei der Teilzeitarbeit anders als die Nachbarländer?
In Deutschland ist es seit den 2000er Jahren die Norm, auch als Mutter zu arbeiten, sobald das Kind etwa zwei bis drei Jahre alt ist. Das geschieht aber meist in Teilzeitarbeit. Dies kommt aus einer gesellschaftlichen normativen Erwartung – jeder sollte arbeiten gehen und eine eigene Karriere haben. Gekoppelt war das mit einer sehr positiven wirtschaftlichen Entwicklung und dem Fachkräftemangel, also mit vielen Gelegenheiten zu arbeiten.
Andererseits hat der Ausbau der Kinderbetreuung damit nicht Schritt gehalten. Es gibt zwar Kinderbetreuungsplätze, aber oft nur bis zum frühen Nachmittag. Das lässt sich nicht mit Vollzeiterwerbstätigkeit vereinbaren. Dieser Widerspruch zwischen verschiedenen Entwicklungen führte letztendlich dazu, dass wir eine unheimlich hohe Teilzeitquote bei Frauen haben, insbesondere bei Müttern. Das ist einerseits positiv, weil Teilzeit besser ist als gar keine Erwerbstätigkeit. Andererseits besteht natürlich eine große Lücke zur Vollzeit, was Karriereaussichten und Rente angeht.
Wie empfinden die Betroffenen das?
Das ist interessant: Wenn wir die subjektive Seite betrachten, ist die Arbeitszufriedenheit bei Frauen in Teilzeitarbeit in Deutschland tatsächlich etwas höher als bei Vollzeit. Hier zeigt sich ein Unterschied zwischen den objektiv schlechteren Karriereaussichten und der subjektiven Wahrnehmung der Work-Life-Balance.
Das liegt auch daran, dass Frauen häufig Familie, Kinderbetreuung und Job vereinbaren müssen, was mit Teilzeiterwerbstätigkeit einfacher zu machen ist. Daher ist wohl auch die Zufriedenheit höher, wenn man Erwerbsarbeit reduziert und dann mehr Zeit für andere Aufgaben im Leben hat.
Warum nutzen so wenige Männer die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten?
Das wissen wir auch nach jahrzehntelanger Forschung nicht genau. Einerseits haben wir die Erklärung, dass in Paarbeziehungen der Mann meist zwei bis drei Jahre älter ist und sich zum Zeitpunkt der Familiengründung auf einer besseren Karrierestufe befindet. Daher ist es rational, dass derjenige kürzertritt, der weniger verdient.
Andererseits verhalten sich viele Frauen schon in Erwartung der Familiengründung entsprechend – bei der Berufswahl wählen sie eher Berufe mit Teilzeitoptionen. Interessant ist: Selbst wenn zwei Partner mit gleich hoher Bildung zusammenkommen, führt die Geburt des ersten Kindes trotzdem meist dazu, dass die Frau bei Karriere und Arbeitszeit kürzertritt.
Gibt es auch gesellschaftliche Erwartungen an Männer?
Definitiv. Bei Männern, die in Teilzeit arbeiten, kommt das sowohl im Team als auch bei Vorgesetzten oft schlecht an. Es gibt die Erwartungshaltung, dass trotzdem alles gemacht werden muss, obwohl auf dem Papier weniger Stunden stehen. Wer früher als die anderen das Büro verlässt, wird schief angeschaut. Auch bei einer längeren Elternzeit für Väter lässt sich zeigen, dass das in Betrieben oft negativ aufgenommen wird und schlecht für die Karrierechancen ist. Das hängt mit unseren altertümlichen Vorstellungen zusammen – nicht nur wie Führung gelebt wird, sondern auch was Produktivität bedeutet.
Welche langfristigen Folgen hat Teilzeitarbeit für die Altersvorsorge?
Das ist eines meiner Hauptthemen in der Forschung: Wie geht es Frauen im Alter? Besonders in Deutschland führt Teilzeitarbeit dazu, dass man weniger Rentenpunkte sammelt und dann nicht alleine mit dem eigenen Einkommen über die Runden kommt. Wir haben ein Rentensystem, das stark auf die Arbeitsleistung fokussiert ist. Für jedes Jahr wird ausgerechnet, wie hoch der Verdienst im Vergleich zum Durchschnittsverdienst war, und danach werden die Rentenpunkte berechnet.
Immerhin: Teilzeiterwerbstätigkeit bis zu dem Zeitpunkt, an dem das jüngste Kind unter zehn Jahre alt ist, wird aufgestockt – da werden zugunsten von meist Müttern mehr Rentenpunkte vergeben. Trotzdem ist eine geringe Erwerbsbeteiligung über den Lebenslauf ein Altersarmutsrisiko.
Problematisch ist auch der Minijob: Hier können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entscheiden, ob sie Rentenpunkte sammeln möchten oder nicht. Mehr Rentenpunkte bedeuten aber weniger Geld aktuell in der Tasche. Forschung zeigt, dass es besser wäre, wenn alle zunächst automatisch in die Rentenkasse einzahlen würden und nur bei explizitem Wunsch darauf verzichten können – dass sie sich also aktiv gegen die Altersvorsorge entscheiden müssten.
Ein weiteres Problem ist das fehlende Rückkehrrecht in Vollzeit?
Genau. Wir haben in Deutschland ein Recht auf Teilzeit, aber kein universelles Rückkehrrecht in Vollzeit. Das ist häufig ein Problem: Wenn man sich einmal für diesen Karriereweg entscheidet, hat man oft auch dann, wenn die Kinder älter sind, gar keine Möglichkeit mehr, in Vollzeit zurückzukehren.
Es gibt die befristete Teilzeit, die sogenannte Brückenteilzeit. Aber das ist kein universelles Rückkehrrecht – es gibt Beschränkungen bezüglich Betriebsgröße und Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer.
Welche politischen Instrumente könnten helfen?
Neben einem universellen Rückkehrrecht auch finanzielle Aspekte. Das Ehegattensplitting bietet beispielsweise falsche Anreize. Steuerlich steht man umso besser da, je größer der Einkommensunterschied zwischen den Partnern ist. Hier wäre eine Reform hin zu einem Familiensplitting sinnvoll, das Familien mit Kindern entlastet, aber nicht das Verheiratetsein allein belohnt. Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel kann man es sich nicht leisten, so stark zu belohnen, dass jemand sein Arbeitspotenzial nicht ausschöpft.
Abgesehen von monetären Anreizen müsste auch ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden. Wir haben uns so sehr auf das Modell einer Vollzeit- und einer Teilzeiterwerbstätigkeit eingerichtet – das ist normativ am meisten akzeptiert und funktioniert am besten mit der Organisation von Kinderbetreuung und Schule.
Vielen Dank für das Gespräch!