Flexible Arbeitszeiten – Chancen, Herausforderungen und individuelle Lösungen

Ein Gespräch mit Maike Andresen, Lehrstuhlinhaberin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalmanagement und Organisational Behaviour

Prof. Dr. Maike Andresen
  • Forschung
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  • 25.09.2025
  •  
  • Katja Hirnickel
  •  
  • Lesedauer: 7 Minuten

Das Titelthema der aktuellen Ausgabe des Campus-Magazins uni.kat beschäftigt sich mit Mythen über Arbeitszeit, die in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Dazu befragte die Autorin Katja Hirnickel drei Bamberger Expertinnen und Experten. Aus den Gesprächen ist nicht nur der Artikel für das Magazin entstanden, sondern auch drei ausführliche Interviews. Hier spricht Hirnickel mit Prof. Dr. Maike Andresen, Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalmanagement und Organisational Behaviour, über Chancen und Herausforderungen flexibler Arbeitszeiten: 

Frau Andresen, flexible Arbeitszeit – was ist das eigentlich?

Maike Andresen:Wir unterscheiden drei Dimensionen: Erstens die Dauer – also ob jemand Vollzeit, Teilzeit oder reduzierte Vollzeit arbeitet. Zweitens die Lage der Zeit – also wann gearbeitet wird. Dazu zählen etwa Früh-, Spät- oder Nachtschichten, aber auch saisonale Arbeit, Sabbaticals oder die Verlagerung von Arbeitszeit auf weniger Tage, wie bei der Vier-Tage-Woche. Drittens geht es um die Verteilung – also wie gleichmäßig oder ungleichmäßig sich Arbeit über die Woche erstreckt. Hierzu gehören Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit oder Modelle, bei denen die Mitarbeitenden selbst entscheiden, wann und wie lange sie arbeiten.

Ein Modell, das mehrere Dimensionen anspricht, ist die kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit, kurz Kapovaz. Dabei bestimmt der Arbeitgeber, wann gearbeitet wird – etwa in der Gastronomie. Der Beschäftigte muss grundsätzlich verfügbar sein, bekommt aber im Gegensatz zu offizieller Bereitschaft nur die tatsächlich geleistete Zeit bezahlt.

Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung? 

Ein Schwerpunkt meiner Forschung ist die sogenannte Arbeitszeit-Freiheit – eine extreme Form der Flexibilisierung, die es so im deutschen Arbeitszeitgesetz eigentlich nicht gibt, die aber dennoch in bestimmten Berufen praktiziert wird. Ich selbst bin ein Beispiel: In meinem Vertrag als Professorin sind weder Arbeitsdauer noch Urlaubstage geregelt. Ich kann meine Zeit völlig frei einteilen – noch flexibler als bei Vertrauensarbeitszeit. Das wirft viele Fragen auf: Funktioniert das? Was sind Vor- und Nachteile? Und wie kann man das sinnvoll steuern?

Ein zweites wichtiges Thema meiner Forschung ist das Konzept des „Overemployment“. Dabei geht es um Beschäftigte, die sich überlastet fühlen – sei es, weil sie zu viele Stunden arbeiten, weil die Verteilung der Arbeitszeit ungünstig ist, oder weil sie zu wenig Zeit für die Aufgaben haben, die ihnen wichtig sind. Und ein drittes Forschungsthema ist Zeitarbeit.

Wer profitiert von flexibler Arbeitszeit? Arbeitgeber, Arbeitnehmer – oder beide? 

Das hängt stark vom jeweiligen Modell ab. Kapovaz ist für Arbeitgeber attraktiv, aber für Beschäftigte deutlich weniger. Wenn die Konkurrenz bessere Konditionen bietet, besteht eine hohe Bereitschaft, den Arbeitgeber zu wechseln. Deshalb könnte es zwar Kosten reduzieren, setzt sich aber nicht breit durch. Vertrauensarbeitszeit ist dagegen ein Beispiel für ein Modell, das von beiden Seiten geschätzt wird – auch wenn es Herausforderungen mit sich bringt.

Kann man pauschal sagen, Beschäftigte mit flexibler Arbeitszeit sind zufriedener?

Das hängt von den individuellen Bedürfnissen ab. Jemand mit Familienverpflichtungen braucht andere Modelle als jemand, der gerade die Karriere aufbaut. Manche arbeiten gut im Homeoffice, andere besser im Büro. Deshalb gibt es nicht das eine „beste“ Modell für alle und für jede Lebensphase. Wichtig ist, dass Arbeitgeber möglichst flexible Optionen anbieten – idealerweise abgestimmt auf das Individuum oder zumindest auf Gruppen. In der Forschung sprechen wir von „idiosynkratischen Vereinbarungen“ – individuelle Absprachen für eine bestimmte Zeit und mit beiderseitigem Nutzen.

Was wären gute Modelle für Beschäftigte mit Familie?

Selbst das kommt auf die Situation an. Mit kleinen Kindern ist Teilzeit sinnvoll, um vormittags arbeiten und nachmittags verfügbar sein zu können. Bei der Pflege älterer Angehöriger ist oft eher die zeitliche Lage entscheidend – etwa, dass bestimmte Tage frei bleiben. Manche brauchen auch spontane Flexibilität, wenn etwa der Gesundheitszustand schwankt. Vertrauensarbeitszeit kann da hilfreich sein. Wichtig ist, dass solche Modelle immer wieder neu verhandelt werden – je nach Lebensphase.

Ein häufiger Kritikpunkt ist, dass flexible Modelle zu „ständiger Verfügbarkeit“ führen. Gibt es dazu Studien?

Es gibt Hinweise, dass mit zunehmender Freiheit auch die Arbeitszeiten steigen, bei Arbeitszeit-Freiheit noch mehr als bei Vertrauensarbeitszeit. Viele Arbeitgeber haben Angst, Mitarbeitende könnten sich bei zu viel Freiheit zurücklehnen. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall: Die Arbeitszeit entgrenzt sich. Studien belegen: Beschäftigte mit festen Arbeitszeiten leisten im Schnitt drei Überstunden pro Woche. Bei Erwerbstätigen mit selbstbestimmten flexiblen Arbeitszeiten steigt dieser Wert auf acht Stunden. Besonders hoch ist die Belastung im Modell der Arbeitszeit-Freiheit – hier liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei 50 Stunden, bei manchen Gruppen sogar bei mehr als 80 Stunden. 

Wer als Führungskraft flexible Arbeitszeiten ermöglicht, sollte nicht nur die Produktivität im Blick haben, sondern auch die Gesundheit und langfristige Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden – denn nur eine nachhaltige Beschäftigung ist zukunftsfähig. Bislang beruhen solche Zeitstudien allerdings auf Selbstauskünften. In diesem Jahr wird eine verpflichtende Zeiterfassung eingeführt, dann bekommen wir belastbarere Daten. Momentan überschätzen viele ihre tatsächliche Arbeitszeit – es fühlt sich oft mehr an, als es ist.

Was wären aus Ihrer Sicht konkrete Empfehlungen, damit flexible Arbeitszeiten funktionieren – für Arbeitgeber und Beschäftigte?

Gesetzlich gäbe es durchaus mehr Spielraum in Deutschland. Die EU erlaubt bis zu 48 Stunden Arbeit pro Woche, während Deutschland standardmäßig mit dem Acht-Stunden-Tag von 1918 arbeitet. Auch die Pflicht zur Sonntagsruhe könnte man überdenken. Die EU schreibt lediglich vor, dass es einen Ruhetag pro Siebentageszeitraum geben muss – welcher Tag das ist, bleibt offen.

Auf betrieblicher Ebene empfehle ich, nicht alles über Betriebsvereinbarungen zu regeln. Diese standardisieren zu stark. Besser sind individuelle Absprachen – je nach Aufgabe, Lebensphase und Persönlichkeit. Führungskräfte sollten hier stärker eingebunden werden.

Gibt es Gruppen, für die flexible Modelle eher schwierig sind?

Ja, zum Beispiel für Alleinstehende: Sie haben weniger soziale Kontakte, was zu höherem Stress führen kann. Für sie kann es sinnvoll sein, gezielt Präsenzzeiten zu schaffen. Neue Mitarbeitende oder solche in der Einarbeitung brauchen ebenfalls mehr Präsenz, um Kultur und Abläufe kennenzulernen. Natürlich gibt es auch Berufe, die nur begrenzt flexibel gestaltet werden können – etwa in der Feuerwehr, der Energieversorgung oder der Pflege. Hier stößt individuelle Autonomie an systemische Grenzen. 

Wie erleben Sie selbst Ihre Arbeitszeit-Freiheit?

Sie ist Segen und Fluch gleichzeitig. Es hilft, sich Ziele zu setzen, um Arbeit auch mit gutem Wissen abschließen zu können. Ich arbeite sehr gerne, neige aber dazu, die Zeit zu vergessen. Inzwischen achte ich darauf, mir zumindest einen freien Tag pro Woche zu nehmen – meist den Samstag. Aber das war ein Lernprozess. Ich würde die Freiheit nicht eintauschen wollen, sehe aber auch, dass sie gut gemanagt sein muss.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Seite 172921, aktualisiert 25.09.2025