Arbeit – Zeit – Produktivität: Zwischen Arbeitszeiterhöhung und 4-Tage-Woche

Ein Gespräch mit dem Soziologen und Arbeitswissenschaftler Olaf Struck

Prof. Dr. Olaf Struck
  • Forschung
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  • 26.09.2025
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  • Katja Hirnickel
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  • Lesedauer: 7 Minuten

Das Titelthema der aktuellen Ausgabe des Campus-Magazins uni.kat beschäftigt sich mit Mythen über Arbeitszeit, die in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Dazu befragte die Autorin Katja Hirnickel drei Bamberger Expertinnen und Experten. Aus den Gesprächen ist nicht nur der Artikel für das Magazin entstanden, sondern auch drei ausführliche Interviews. Hier spricht Hirnickel mit Prof. Dr. Olaf Struck, Professor für Arbeitswissenschaft, über Arbeitszeit – von der Erhöhung bis zur 4-Tage-Woche:

Seit Jahren wird über Arbeitskräftemangel geklagt. Warum arbeiten Menschen in der Woche nicht einfach etwas länger, und das Problem wäre gelöst?

Olaf Struck: Im Rahmen der Arbeitszeitgesetze ist es natürlich richtig: Wenn etwa Teilzeitkräfte ihre Arbeitszeit auf 30 bis 40 Stunden pro Woche aufstocken oder mehr Überstunden geleistet würden, hätten wir ein größeres Arbeitsvolumen. Aber viele Menschen fühlen sich schon bei 8-Stunden-Tagen überlastet. Tatsächlich zeigen arbeitswissenschaftliche Studien immer wieder, dass verdichtete Arbeitszeiten von über neun Stunden pro Tag oder mehr als 40 bis 45 Stunden pro Woche – selbst bei Einhaltung gesetzlicher Pausen – die Gesundheit beeinträchtigen.

Zudem führen längere Arbeitszeiten über die 8- bis 9-Stunden-Marke hinaus zu mehr Fehlern und geringerer Gesamtproduktivität – und das selbst bei hoher Motivation. Entsprechend sind Forderungen nach einer Erhöhung der täglichen Arbeitszeit nicht sinnvoll. Besonders gilt das für Berufe mit hoher körperlicher oder psychischer Belastung – etwa durch große Verantwortung oder die Notwendigkeit, ständig flexibel und schnell zu reagieren. Hier gefährdet eine längere Arbeitszeit die Gesundheit noch direkter. Gerade in solchen Bereichen entscheiden sich Beschäftigte zunehmend bewusst für mehr freie Zeit zur Regeneration.

Können Sie Beispiele aus Ihrer Forschung nennen?

Wir haben zuletzt Berufe in der Pflege, im Warentransport sowie in der Verwaltung und Entwicklung untersucht. Dabei sehen wir, wie stark die Arbeit dort zeitlich verdichtet ist. Menschen versuchen, jede Minute produktiv zu nutzen. Kommt dann etwas Unerwartetes – etwa ein Krankheitsfall im Team, ein fordernder Kunde oder eine Chefin mit dringenden Anliegen – entsteht schnell hoher Stress. Viele haben keine Ressourcen mehr, ruhig und gelassen zu reagieren. Dann eskaliert es: im Team, in den Menschen selbst – und oft auch in der Familie. Das möchten viele nicht mehr.

Einigen gelingt es, sich mehr Zeit und Ruhe zu verschaffen. Der Anteil an Teilzeitbeschäftigung ist gestiegen – ebenso wie psychische Belastungen und oft auch der Krankenstand. Diese Entwicklungen hängen zusammen.

Wie genau?

Das zeigt sich besonders in Pflege- und Gesundheitsberufen. Dort sind die Gehälter zuletzt deutlich gestiegen. Dadurch können sich manche Pflegekräfte leisten, Stunden zu reduzieren. Und sie tun es, weil die Belastung so hoch ist, dass sie ihren eigenen Ansprüchen an Fürsorge und Qualität nicht mehr gerecht werden. Sie brauchen mehr Zeit zur Regeneration für sich und für die Menschen, die sie betreuen. Sie haben das Ziel, Pflege und Gesundheitsversorgung auf gutem Niveau zu leisten, Fehler zu vermeiden, Zufriedenheit zu erhalten – und einem möglichen Ausbrennen vorzubeugen. Die Teilzeit ist in Pflegeberufen besonders hoch, bei Frauen und bei Männern aller Altersgruppen.

Aber natürlich können oder wollen nicht alle ihre Arbeitszeit reduzieren. Es wäre für die Menschen, die Betriebe und die Volkswirtschaft insgesamt produktiver, wenn diese Beschäftigten besser unterstützt würden. Dabei kommt der zeitlichen Gestaltung – also mehr verfügbarer Zeit für Aufgaben und Mitsprache bei der Zeitplanung – eine zentrale Bedeutung zu.

Es gibt die Diskussion um eine 4-Tage-Woche. Kann diese helfen, Arbeitsleistung und zugleich Arbeitsqualität zu verbessern?

In der Praxis wird eine 4-Tage-Woche von Unternehmen zumeist aus Attraktivitätsgründen eingeführt, beispielsweise häufiger im Handwerk mit Außendienst. Dort lohnt es sich zum Beispiel wenig, wenn die Kolonne am Freitag für wenige Stunden zur Baustelle fährt. Um 13 Uhr beginnt dann schon wieder das Aufräumen und Sichern und dann geht es zurück zum Betrieb… 

Wenn dieser Tag entfällt, ist der Produktivitätsverlust gering…

Genau. Ebenso sind ja oft auch Kunden freitags seltener zu erreichen. So gibt es im Handwerk also organisatorische und technische Spielräume: Unter der Woche lassen sich Aufgaben bündeln, Überstunden können gezielt eingesetzt werden, etwa durch etwas längere Arbeit am Abend, um sich den Weg am nächsten Tag zu sparen.

Auch in der IT oder in Büroberufen gibt es tendenziell Produktivitätsreserven – durch optimierte Abläufe, Automatisierung und bessere Software. Die gleiche Arbeit lässt sich dort in kürzerer Zeit erledigen.

Aber Sie sagten ja, in vielen Berufen sei die Arbeitsverdichtung gleichmäßig hoch über alle Tage. Wie ist es dort mit der 4-Tage-Woche?

In den meisten Bereichen der Industrie und in vielen Dienstleistungen, etwa auch in der von mir näher untersuchen Warenlogistik von Speditionen, ist die Arbeitsverdichtung durchgängig sehr hoch. Das heißt: Wird dort die Arbeitszeit verkürzt, sinkt in der Regel auch die Wertschöpfung.

Vorausgesetzt ist dabei, dass die Belastungsgrenze der Beschäftigten nicht überschritten ist. Denn wenn Menschen schon über ihre Grenzen hinaus arbeiten, bringt jede weitere Verdichtung nur Erschöpfung, Fehler und Ausfälle – dann ist das für alle unproduktiv und Zeit zum Ausruhen und Abschalten ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Aber in den Bereichen, in denen die Arbeit zwar anstrengend, aber noch gesundheitsverträglich ist und keine Produktivitätsreserven bestehen, führt eine Arbeitszeitverkürzung tatsächlich zu einem finanziellen Verlust: für Unternehmen wie für Beschäftigte.

Das heißt also, eine 4-Tage-Woche sollte nur dort eingesetzt werden, wo sie wirklich passt?

Ja, genau. Sie kann unter bestimmten Bedingungen produktiv sein. Sie kann Frauen und Männer mit familiären Verpflichtungen entlasten, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen mehr Zeit zur Regeneration bieten oder Raum für Weiterbildung schaffen. Dabei kommt es auf die Tätigkeit an, ob zehn Stunden am Tag noch gehen oder nach acht Stunden Schluss sein sollte. Die von uns befragten Berufskraftfahrer sollten nicht zu lange am Steuer sitzen, das ist zu gefährlich und auch ungesund. Die Konzentration schwindet. Das ist auch bei Medikamentenvergabe oder einer OP nach sehr langer Arbeitszeit ein Problem. Es kommt auf den Beruf an. Bei sehr vielen wird es nicht funktionieren, und dann ist es auch eine Frage der Gerechtigkeit, wenn ein solches Modell nur bei wenigen Berufen eingeführt wird.

Und auch die Frage, ob die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich funktioniert, hängt davon ab, ob Produktivitätsreserven vorhanden sind – etwa durch bessere Technik, effizientere Organisation oder durch die Erholung der Beschäftigten. Und es hängt davon ab, wie wir als Gesellschaft gemeinsam Wirtschaft, Arbeit und soziale Herausforderungen gestalten wollen.

Einfache Lösungen sind oft populistisch. Wir müssen genau prüfen, welche Maßnahmen unter welchen Bedingungen welche Wirkungen entfalten. Das gilt für Arbeitszeitverkürzungen ebenso wie für Forderungen nach Ausweitung oder Flexibilisierung der Arbeitszeit.

Das klingt nach weiterem Forschungsbedarf.

Richtig. Aktuell plant das Institut für Soziologie ein größeres Verbundforschungsprojekt. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus der Wirtschaftsinformatik, Geschichte, Psychologie und Volkswirtschaft beantragen wir dafür Forschungsmittel. Ziel ist es, genau solche Fragen systematisch zu untersuchen.

Wenn etwa eine 4-Tage-Woche mit längeren Arbeitstagen eingeführt wird – oder auch längere Arbeitszeiten beziehungsweise mehr Flexibilisierung ohne Mitbestimmung bei der Zeitgestaltung –, dann kann das in manchen Bereichen wirtschaftlich und gesundheitlich gut funktionieren. In anderen jedoch gefährdet es die Gesundheit und wird am Ende für alle unproduktiv.

Wenn wir über eine verkürzte Wochenarbeitszeit sprechen, geht es immer auch um das gesamtgesellschaftlich verfügbare Arbeitszeitvolumen. Und das brauchen wir dringend – etwa für die Bewältigung des Klimawandels, den Ausbau der Infrastruktur in Verkehr, Bildung und Gesundheit sowie für den demografischen Wandel, insbesondere mit Blick auf den baldigen Ruhestand der Babyboomer-Generation.

All das zeigt: Es gibt noch viele offene Fragen. Gute Antworten müssen wir gemeinsam entwickeln – für die Gesellschaft als Ganzes und für die Lebensrealitäten der Einzelnen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Seite 172922, aktualisiert 23.09.2025