Stellen Sie sich vor: Jugendliche bauen Solaranlagen, legen Obstgärten an und drehen Dokumentarfilme – mitten in der Natur statt im Klassenzimmer! Die Montessorischule Forchheim bricht mit klassischen Lernformen und verlegt den Unterricht ins Freie. Kann dieses Outdoor-Learning-Konzept den Schlüssel zur Lösung eines fundamentalen Problems bieten? Denn während wir alle wissen, was gut für unsere Umwelt wäre, fällt es uns oft schwer, entsprechend zu handeln. Eine aktuelle Studie untersucht, wie das Naturerleben die Kreativität der Schülerinnen und Schüler beflügelt und ihre Umweltsensibilität schärft.

Der Transfer von Wissen zum Handeln, ein Kernziel der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), erfordert mehr als reine Wissensvermittlung. BNE „ermöglicht es dem Individuum, aktiv an der Analyse und Bewertung von nicht nachhaltigen Entwicklungsprozessen teilzuhaben, sich an Kriterien der Nachhaltigkeit im eigenen Leben zu orientieren und nachhaltige Entwicklungsprozesse gemeinsam mit anderen lokal wie global in Gang zu setzen“ (de Haan 2008, S. 31). Damit steht BNE vor der grundlegenden Herausforderung, hedonistisches, also genussorientiertes Verhalten in einem normativ besetzten Feld anzubahnen.
Kopf versus Bauch: Das Nachhaltigkeitsdilemma
Wir kennen das alle: Der Wunsch nach Urlaub wird mit dem schlechten Gewissen konfrontiert, durch den Flug den eigenen CO2-Fußabdruck zu vermehren. Der normative Anspruch, die Umwelt zu schützen, scheitert u.U. an der hedonistischen Lust, sich etwas Gutes zu tun. Aus dem schlechten Gewissen heraus kann Abwehr entstehen, so dass letztlich umweltschädigendes Verhalten gerechtfertigt wird, anstatt die Urlaubswünsche zu verändern. Kerret et al. (2014) entwarfen eine Gegenposition und schlagen vor, Umweltbildung so zu konzipieren, dass während des umweltbewussten Verhaltens Wohlbefinden, Zufriedenheit und Hoffnung entstehen. Mit positiven Gefühlen verbundene soziale Erfahrungen können den Widerspruch zwischen hedonistischen Zielen und normativen Werten auflösen (Kerret et al. 2016). So kann ein erfolgreiches Umweltprojekt bei der daran beteiligten Gruppe eine selbstwirksame Attribuierung als Umweltschützende auslösen. Diese fördert die Fähigkeit, sich auch in der Zukunft Herausforderungen zu stellen.
Von der Einsicht zum Handeln: Wege zur Gestaltungskompetenz
Verhalten wird also nicht nur durch Wissen, sondern auch durch emotionale Bewertungen von Situationen gesteuert, und der Lust, diese nochmals zu erleben. Konkreter geht es darum, auf den verschiedenen für Entscheidungen relevanten Ebenen globale wie lokale, also ‚glokale‘ Zusammenhänge erkennen, Ideen für Problemlösungen entwickeln und diese gemeinsam mit anderen umsetzen zu können: „Mit Gestaltungskompetenz wird die Fähigkeit bezeichnet, Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung erkennen zu können.“ Es geht darum, „aus Gegenwartsanalysen und Zukunftsstudien Schlussfolgerungen über ökologische, ökonomische und soziale Entwicklungen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit ziehen und darauf basierende Entscheidungen treffen, verstehen und individuell, gemeinschaftlich und politisch umsetzen zu können“ (de Haan 2008, S. 31). Der Ansatz der Gestaltungskompetenz wird durch drei Handlungsfelder gerahmt: Eigenständiges Handeln, das Interagieren in heterogenen Gruppen und die interaktive Verwendung von Medien und Tools.
Ein innovatives Schulprojekt basiert auf der Hypothese, dass kreative, gemeinsam gestaltete (ko-konstruktive) Prozesse in einer naturnahen Umgebung die Gestaltungskompetenz der Jugendlichen fördern. Nach Vollmer (2024) können mehrere Faktoren dabei helfen, den Widerspruch zwischen genussorientiertem Verhalten und moralischen Ansprüchen aufzulösen: Erstens muss ein Gefühl von Selbstwirksamkeit entstehen, beispielsweise wenn Schülerinnen echte Probleme nach dem Ansatz des problembasierten Lernens lösen. Zweitens sollten die Projekte Themen nachhaltiger Bildung mit sozialem Lernen in der Gruppe verbinden. Wenn es drittens gelingt, Sensibilität für die Natur zu wecken, und viertens Schülerinnen und Schüler aktiv zu beteiligen, steigt die Chance, dass ein tieferes Verständnis für (komplexe) Zusammenhänge entsteht. Und fünftens lernen die Schülerinnen und Schüler idealerweise, soziale, wirtschaftliche und ökologische Zusammenhänge vor Ort zu erkennen, besonders wenn sie in lokale Entscheidungsprozesse einbezogen werden und gleichzeitig die globale Perspektive im Blick behalten. Diese Faktoren bilden die theoretische Grundlage für das Outdoor-Learning-Konzept, das im Folgenden mit einem Konzept für die 7. Klasse der Montessorischule Forchheim näher beschrieben wird.
Aus der Erfahrung der beiden Weltkriege entwickelte Maria Montessori eine ökologisch orientierte Friedenserziehung. Das Konzept orientiert sich an den Bedürfnissen der Kinder im Übergang zur Jugend. Durch die Erfahrung, als Gestaltende einen wichtigen Beitrag leisten zu können, sollen sie ihre eigene Rolle in der Welt finden, indem sie über die Rolle der Menschheit in der Welt reflektieren. Im sozial verantworteten Miteinander üben sie ganz praktisch und mit allen Sinnen die Schöpfung zu achten und achtsam mit der Natur umzugehen.
Ein halbes Jahr lang findet drei Tage pro Woche der Unterricht auf einem naturnahen Grundstück statt. Dort entwickeln Schülerinnen und Schüler eigene Ideen, verfolgen diese in KonKreation mit Pädagoginnen und Pädagogen und erledigen anfallende Arbeiten (Vollmer 2024).
Schwerpunktmäßig setzen sich die Schülerinnen und Schüler mit Themen im Sinne der STEAM-Education auseinander. „STEM“ steht für Science, Technology, Engineering and Mathematics, also das deutschsprachige MINT. Bei STEAM-Education werden diese Fächer durch „Arts“, also durch Künste und Kreativität, ergänzt. Die Schülerinnen und Schüler dokumentierten, angeleitet von Bamberger Studierenden, ihr Schulgrundstück und ihre Projekte durch Fotos, Videos und Interviews mit ihren Mitschülerinnen und Mitschüler.

Forschung im Grünen: Fragen und Methoden der Studie
Im Anschluss an eine Feldforschung zum Schulprojekt untersucht nun eine Studie, ob eine Lernumgebung in der Natur als ästhetische Anregung zur Förderung von Kreativität und Gestaltungskompetenz dient. Dabei werden folgende Fragen verfolgt:
1. Was für eine Sicht haben Schülerinnen und Schüler auf ihr Lernen in der Natur?
2. Welche Gefühlslagen lassen sich in welchen Situationen erkennen?
3. Wird die Sensibilität gegenüber der Natur geweckt?
4. Wie beeinflusst das Schulprojekt das Interesse an STEAM-Themen? Sind dabei Geschlechtsunterschiede zu beobachten?
5. Inwieweit werden lokale und globale Zusammenhänge erkannt?
Die Daten werden systematisiert und aufbereitet. Ausgewählte Daten werden analysiert und interpretiert, um sich der Beantwortung der Fragestellungen anzunähern. Zur Überprüfung der These, dass Lernen in der Natur die Kreativität fördert, wird der „Test zum schöpferischen Denken - zeichnerisch“ (TSD-Z) (Urban & Jellen1995) ausgewertet.

Erste Ergebnisse: Wenn Natur zum Klassenraum wird
Auszüge aus Lerntagebüchern und Plakaten zeigen: Schülerinnen und Schüler des Schulprojekts lösen gemeinsam echte Probleme, die im Rahmen ihrer Projekte auftauchen: bei der Konstruktion eines Regals, wenn das Brett zu schmal kalkuliert ist, bei der Erstellung einer Kartei der vorhandenen Apfelsorten, oder dem Bau einer Solaranlage. Im Zeugnisgespräch bringen alle Schülerinnen und Schüler Freude am Lernen auf ihrem Grundstück zum Ausdruck.
Das Forschungsprojekt zeigt: Indem die Jugendlichen regelmäßig in der Natur lernen und ihre Selbstwirksamkeit erleben, verknüpfen sie Nachhaltigkeit mit Freude und Kreativität. Diese Verbindung könnte den entscheidenden Unterschied machen und langfristig dazu beitragen, die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu überbrücken – im Alltag wie auch bei der Urlaubsplanung.


Literaturempfehlung
de Haan, G. (2008): Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept für Bildung für nachhaltige Entwicklung. In: Bormann, I., de Haan, G. (Hrsg.): Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung, Wiesbaden 2008, S. 23–44
Kerret, D., Orkibi, H., & Ronen, T. (2016): Testing a model linking environmental hope and self-control with students’ positive emotions and environmental behaviour. The Journal of Environmental Education, 47(4), 307–317.
Urban, K.K. & Jellen, H.G.(1995). Test zum Schöpferischen Denken – Zeichnerisch (TSD-Z). Frankfurt a.M.: Swets Test Services.
Vollmer, B. (2024). Bildung für Nachhaltige Entwicklung in naturnaher Umgebung. In: Braches-Chyrek, R., Röhner, C., Moran-Ellis, J., Sünker, H. (Hrsg.): Handbuch Kindheit, Ökologie und Nachhaltigkeit. Opladen, Toronto: Barbara Budrich, S. 556-573.