Raphael Thoma studiert seit dem Wintersemester 2019/2020 Kommunikationswissenschaft, Politik und Geschichte an der Uni Bamberg. Dafür pendelt er wochentags 100 Kilometer mit dem Zug hin und 100 Kilometer zurück, denn er lebt nach wie vor in seinem Heimatdorf Lauenstein bei Ludwigsstadt. In den Semesterferien schreibt er für die Lokalredaktion der Neuen Presse in Kronach, weil er sich für die Geschichten der Menschen in der Region interessiert. Und nach dem Studium – ist ja klar – will er natürlich Vollzeit als Journalist arbeiten. Klingt erstmal nach klaren Zielen eines ganz normalen Studenten. Nur hat er andere Voraussetzungen als ein „normaler“ KoWi-Studierender. Raphael Thoma ist nämlich blind.
Erschwerter Alltag braucht guten Support
Ohne Sehkraft gestaltet sich der Studienalltag etwas komplizierter als normalerweise. Denn die notwendigen technischen Hilfsmittel wie beispielsweise eine blindengerechte Suchmaschine in der Bibliothek stehen nicht automatisch zur Verfügung. Da die Uni nur alle Jahrzehnte einen sehgeschwächten Studierenden hat, können die Programme und Geräte immer erst auf den neuesten Stand gebracht werden, wenn es einen konkreten Bedarf gibt. In verwinkelten Bibliotheken wie in der am Kranen kann man sich nur schwer zurechtfinden und viele Seminarunterlagen sind nicht barrierefrei und lassen sich auch nicht so ohne weiteres vom Screenreader-Programm umwandeln. Deswegen bekommt Raphael im Seminar oder der Vorlesung nicht alle Inhalte sofort auf seine Kopfhörer und muss sich nachträglich über den Inhalt von Infografiken oder Bildinhalten informieren. „Das Gute ist,“ so Raphael, „dass hier eigentlich nahezu alle hilfsbereit sind und sich kümmern. Die Dozenten waren sofort bereit, ihre Unterlagen so anzupassen, dass mir mein Programm die Inhalte aufbereiten kann. Aus schriftlichen Prüfungen wurden zum Teil mündliche gemacht. In der Bib hilft das Team, wo es kann. Die Mitarbeiter, die extra für Studierende mit Behinderung da sind, kümmern sich. Die anderen Studis unterstützen mich. Und ich habe zum Glück super Freunde, die fast schon ständige Begleiter geworden sind. Der Jonas denkt immer für mich mit, und Nelly passt auf, wenn mal überraschend ein Hindernis im Weg steht. Mein Gefolge eben,“ scherzt Raphael und ergänzt: „Nein – Quatsch… Wir drei sind mittlerweile einfach voll die Gang.“
Verwunderliches passiert – aber wozu hat man Humor?
Trotzdem lässt sich das ein oder andere Missgeschick im Alltag nicht vermeiden. Auf dem Weg zur KoWi-Vorlesung ist Raphael einmal aus dem Bus ausgestiegen und schnurstracks in die Kinderkrippe marschiert. „Mich hat es schon gewundert, dass unbekümmert weitergeredet wird, obwohl schon längst Vorlesungsbeginn war. Als mich dann die Kinder gefragt haben, ob ich was vorlese, war klar: Hier ist was schiefgelaufen! Eigentlich wollte ich ja bei „Medien in der BRD“ landen. Aber solche Situationen sind auch irgendwie lustig. Man muss das Ganze einfach locker sehen. Bisher bin ich am Ende jedenfalls immer überall angekommen, wo ich hinwollte – manchmal eben etwas später als geplant.“
Dieser tolle Humor ist es, was Jonas und Nelly besonders an Raphael mögen. Die Geschichte-Studentin aus Erlangen beschreibt die Freundschaft mit Raphael in vielerlei Hinsicht als Gewinn: „Ich finde es jedes Mal unglaublich faszinierend, wie er die Welt wahrnimmt. In seiner Gegenwart bin ich selbst angehalten, achtsamer zu sein. Ich verwechsle eigentlich oft links und rechts… Aber wenn man täglich ein bisschen navigieren muss, dann bessert sich erstaunlicherweise irgendwann auch das.“
Freunde zum Lachen und Voneinander-Lernen
Auch Jonas und Raphael waren sich vom ersten Tag im Semester an sympathisch. „Unser erstes Gesprächsthema war mein verlegtes Fahrrad – ich wusste einfach nicht mehr, wo in dieser verwinkelten Stadt ich es angeschlossen hatte,“ erzählt Jonas. „Die Orientierungsschwierigkeit im neuen Umfeld war aber nur eine Gemeinsamkeit zu Beginn. Wir teilen ein großes Interesse an der Geschichte und sind beide beeindruckt von den 20er-Jahren. Ich glaube, ich konnte Raph auch ein bisschen anstecken mit dem Klamottenstil aus der Zeit.“ Und das bestätigt Raphael auf seine Art: „Na, ich kann ja hier nicht im Flies-Pulli erscheinen, wenn der Jonas im Anzug dasitzt.“
Ein besonderer Typ
Das Gespräch mit Raphael und seiner Gang macht gute Laune. Bei jedem Thema erkennt man das Talent, die Dinge positiv zu sehen. Unverkennbar sind Raphaels Neugier und Interesse – immer auf der Lauer für die nächste Story kann man von ihm behaupten: Er ist Journalist durch und durch. Kein „ganz normaler“ Student, nicht wegen seiner Blindheit, sondern weil er ein Typ ist, mit dem man sich blind verstehen kann.
Infos:
Support für Studierende mit Beeinträchtigung oder Behinderung gibt es übrigens durch den Behindertenbeauftragten Jörg Wolstein und ganz konkret bei der Kontaktstelle Studium und Behinderung.Dort hatte auch Raphael vor seinem Start ein persönliches Gespräch mit Sabina Haselbek. Dabei ging es unter anderem um den Nachteilsausgleich.
Außerdem wird hier dafür gesorgt, dass auf die individuellen Bedarfe der Studentinnen und Studenten mit Behinderung eingegangen werden kann und die notwendigen Hilfsmittel angeschafft oder aktualisiert werden. So wird jetzt gerade im Markushaus ein Sehbehindertenarbeitsplatz ganz neu eingerichtet. Des Weiteren gibt es beispielsweise ein Mobilitätstraining für Bamberg, damit Neulinge im Alltag möglichst gut und schnell zurechtkommen. Falls notwendig, werden Studienhelferinnen oder -helfer organisiert. Zudem werden der Behindertenbeauftragte und die Kontaktstelle Studium und Behinderung bei neuen Bauvorhaben oder Sanierungsmaßnahmen generell miteingebunden, um die Barrierefreiheit an Uni-Gebäuden zu gewährleisten.
Letztlich werden auch zahlreiche Vorträge und Workshops angeboten, die helfen sollen, mit besonderen physischen oder psychischen Anforderungen zurecht zu kommen. Mehr Infos zu den unterstützenden Angeboten für ein Studium mit Behinderung findet Ihr hier: www.uni-bamberg.de/bafbs/