Nach dem Abitur entschied sich Prof. Dr. Barbara Wittmann nicht sofort für ein Studium. Zunächst machte sie eine Ausbildung zur Kirchenmalerin. Jetzt hat sie die Juniorprofessur für Europäische Ethnologie mit dem Schwerpunkt immaterielles Kulturerbe an der Universität Bamberg inne. Neben diesem Schwerpunkt beschäftigt sie sich unter anderem auch mit Medizinanthropologie, sogenannten Agro-Food-Studies und Umweltanthropologie. Im Interview verrät sie mehr zu ihrem Werdegang und zu ihren Forschungsprojekten.
Welcher Weg hat Sie nach Bamberg geführt?
Barbara Wittmann: Noch vor dem Studium war ich drei Jahre in einer handwerklichen Lehre. Ich habe eine Ausbildung zur Kirchenmalerin gemacht. Anschließend folgte das Studium in Regensburg – Vergleichende Kulturwissenschaft, Russisch und Kunstgeschichte. In Regensburg habe ich auch promoviert zum Thema Intensivtierhaltung. Nach einem Jahr Elternzeit war ich am Rachel Carson Center for Environment and Society an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das ist ein interdisziplinäres Zentrum für Forschung und Bildung im Bereich der Umwelt- und Sozialwissenschaften. Seit April bin ich jetzt in Bamberg.
Sie haben bereits Ihre Promotion angesprochen. Was haben Sie genau erforscht?
Bereits seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Intensivtierhaltung – landläufig Massentierhaltung. Zunächst habe ich mich dem Thema historisch angenähert, indem ich mir die Entwicklung der deutschen Geflügelwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg angeschaut habe. Für die Promotion habe ich das Thema dann in die Gegenwart geführt in Form von Interviews mit Landwirt*innen aus allen Regierungsbezirken Bayerns, die im Bereich Geflügel- und Schweinehaltung tätig sind. Dabei ging es insbesondere um die gesellschaftliche Kritik und den Umgang der Landwirt*innen damit. Die Frage war etwa, wie es ihnen damit geht, dass sie als Massentierhalter*innen ständig in der Kritik stehen und ihnen ein so negatives Image anhängt. Für die Interviews war ich direkt in den Betrieben und konnte mir die Bedingungen vor Ort ansehen.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Einerseits konnte ich eine ganz starke emotionale Betroffenheit auf Seiten der Landwirt*innen feststellen. Ihnen ist es keinesfalls egal, dass sie so in der Öffentlichkeit stehen. Im Gegenteil: Ihnen geht es damit wirklich schlecht. Andererseits haben die Landwirt*innen wenig eigenes Wissen in den Bereichen Tierwohl, Klimawandel oder Umweltprobleme, obwohl sie sich selbst oftmals mit dem Argument verteidigen, dass sie selbst die Expert*innen seien. Das Wissensdefizit kommt auch daher, dass sie sich in einer Abwehrposition befinden, weil sich die Fronten über Jahrzehnte verhärtet haben. Man beschäftigt sich lieber mit den Gegner*innen als mit deren Inhalten. Darüber hinaus hat in den Interviews das Thema Politik eine große Rolle gespielt. Politisch werde in Sachen Massentierhaltung immer wieder an kleinen Stellschrauben gedreht, was wiederum zu neuen Problemen führt. Aber es gibt keine langfristige Lösungsstrategie, wie die Landwirtschaft mit der Intensivtierhaltung in den kommenden Jahren umgehen kann.
Können Sie noch von einem aktuellen Projekt berichten?
Momentan beschäftige ich mich in einem Projekt mit alternativer Proteinversorgung. Ich frage mich dabei: Wie kann man in Zukunft tierische Proteine durch pflanzliche ersetzen? Dabei stelle ich einen Vergleich zwischen Deutschland und Israel an. Israel ist bei diesen Technologien derzeit Vorreiter. Geplant ist, die israelische Entwicklung mit Interviews und teilnehmender Beobachtung zu erforschen und zu ermitteln, was die deutsche Landwirtschaft daraus lernen kann und welche Risiken und Chancen die alternative Proteinversorgung bietet. Ist sie eine Konkurrenz für die Landwirtschaft? Und ist es ein Problem, wenn die tierische Produktion womöglich ersetzt wird durch andere Formen wie etwa in-vitro-Fleisch, Hafer- oder Sojaprodukte?
Welche Forschungsschwerpunkte beschäftigen Sie ganz allgemein?
Zu meinen Schwerpunkten zählen die Umwelt- und die Medizinanthropologie und die sogenannten Agro-Food-Studies, welche sich an der Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Esskultur bewegen. Mit Esskultur beschäftige ich mich aus historischer und gegenwärtiger Perspektive. Dabei geht es etwa um Bereiche wie Veganismus oder auch Genderaspekte, die eine Rolle spielen. Durch die Denomination der Juniorprofessur ist jetzt in Bamberg das immaterielle Kulturerbe ein weiterer Schwerpunkt meiner Forschung. Bamberg ist dafür ein wunderbarer Standort – die ganze Altstadt ist Weltkulturerbe und die Gärtnerstadt zählt zum immateriellen Kulturerbe. Derzeit beschäftige ich mich hauptsächlich mit Handwerkskulturen. Dazu zählen etwa die Dombauhütte oder die Kirchenmalerei. Das schließt den Kreis zu meiner Ausbildung.
Sie bilden ebenfalls junge Menschen aus. Zwar nicht zu Kirchenmaler*innen, dafür aber zu Ethnolog*innen. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Im Studium geht es nicht nur um die Vermittlung von Inhalten. In meinen Vorlesungen und Seminaren soll viel diskutiert werden. Die Studierenden sollen kritisch hinterfragen, was wir lehren und unterrichten. Das ist eine Fachtradition der Europäischen Ethnologie: Wir nehmen nichts als selbstverständlich hin. Da hatte ich jetzt auch ein sehr schönes erstes Semester für den Start an der Uni Bamberg mit sehr offenen Studierenden, die viel diskutiert haben. Studierende sollen nicht nur meine Meinung zu bestimmten Standpunkten annehmen, sondern reflektierte junge Menschen werden, die lernen, Dinge von verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
Und auf der inhaltlichen Ebene?
Hier lege ich Wert auf ein fundiertes Methodenwissen, zu dem etwa die teilnehmende Beobachtung, qualitative Interviews oder historische Analysen zählen. Solange das Handwerkszeug nicht sitzt, kann man Inhalte meiner Meinung nach nicht analysieren und reflektieren. In meinen Seminaren geben Studierende nicht nur Sekundärliteratur wieder, sondern gehen selbst hinaus ins Feld, erheben empirische Daten und führen kleinere Projekte durch. Dementsprechend sind Exkursionen fester Bestandteil. Im Sommersemester waren wir zum Beispiel bei der Dombauhütte in Bamberg, in der Gärtnerstadt und im Welterbezentrum.
Warum sollte man Ihrer Meinung nach heute Ihr Fach studieren?
Das Schöne an der Ethnologie ist, dass man mit Menschen und Räumen in Berührung kommt, mit denen man normalerweise nie etwas zu tun hätte. So bekommen wir einen Einblick in Lebenswelten, die uns eigentlich fremd sind. Und das ist meiner Meinung nach sehr spannend. Die Studierenden lernen darüber hinaus, die Welt in ihrer Komplexität zu verstehen. Dinge sind immer komplizierter, als man auf den ersten Blick denkt. Die Studierenden lernen, unser Alltagshandeln in seiner Bedeutung zu verstehen: Warum kleiden wir uns so, wie wir uns kleiden? Warum trinken oder essen wir, was wir trinken und essen? Warum feiern wir, wie wir feiern? Unsere Studierenden arbeiten danach ganz oft in Bereichen, in denen sie Inhalte vermitteln – zum Beispiel in Museen, in der Erwachsenenbildung oder im Journalismus. Ich denke, dass es in der heutigen Zeit wichtig ist, dass Menschen diese Jobs machen, die die Probleme, vor denen wir heute stehen, reflektiert betrachten können. Das Studium trägt dazu bei, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können und verschiedene Perspektiven einzunehmen. Kulturelle Prozesse zu verstehen, schließt auch interkulturelle Aspekte ein. Das wird in einer globalisierten Zeit von der Berufswelt gebraucht und nachgefragt. Und dazu bilden wir unsere Studierenden aus.
Vielen Dank für das Interview!