Prof. Dr. Jeanette Fabian hat seit März 2022 die Professur für Slavische Kunst- und Kulturwissenschaft inne. Sie folgt damit auf Prof. Dr. Ada Raev, die vergangenes Jahr in den Ruhestand gegangen ist. So viel sei schon verraten: Jeanette Fabian will die zahlreichen Exkursionen, die Ada Raev organisiert und begleitet hat, in Zukunft weiterführen. Denn auch ihr liegt es am Herzen, dass die Studierenden mit dem, was sie an der Universität lernen, direkt in Berührung kommen. Im Interview verrät die neue Professorin, zu welchen Schwerpunkten sie forscht und warum man heute ihr Fach studieren sollte.
Die Slavische Kunst- und Kulturwissenschaft ist eines der sogenannten Kleinen Fächer an der Universität Bamberg. Warum sollte man heute Ihr Fach studieren?
Jeanette Fabian: Meiner Meinung nach sollte man heute Slavistik studieren, weil Osteuropa ein wesentlicher Teil der europäischen Gemeinschaft ist. Es ist daher sehr wichtig, den kulturellen Austausch und die Beziehungen zu fördern. Ich persönlich finde es eigenartig, dass ostmitteleuropäische Länder wie Tschechien oder Polen an Deutschland grenzen und trotzdem hinsichtlich der Sprachkompetenzen und der Aufmerksamkeit ein ganz klares Ungleichgewicht besteht, wenn man das zum Beispiel mit der Romanistik oder Anglistik vergleicht. In Bamberg haben wir aber – was nach meinem Empfinden wirklich bemerkenswert ist – eine Sprachausbildung, die eine Vollslavistik garantiert. Vollslavistik bedeutet, dass man nahezu alle slavischen Sprachen hier studieren und sich dementsprechend auch über die Literaturen und Kulturen informieren kann. Dass eine vergleichsweise kleine Universität dieses Angebot nach wie vor aufrechterhalten kann, ist ein besonderes Merkmal.
Was ist Ihnen in der Lehre besonders wichtig?
Was das Lehrkonzept betrifft, spielt bei mir die Interaktion mit den Studierenden eine große Rolle. Mir geht es nicht nur um reine Wissensvermittlung, sondern auch um die Befähigung und Sensibilisierung der Studierenden, sich selbst Themen anzueignen. Dafür eignet sich eine dialogische Herangehensweise. In inhaltlicher Hinsicht ist es mir wichtig, nicht nur interdisziplinär, sondern auch komparativ zu arbeiten, was in der Slavistik dazu führt, interkulturelle Fragen zu behandeln. Denn man hat es in Osteuropa mit einer kulturellen Situation zu tun, die von Durchmischung geprägt ist. Diese kulturellen Zwischenräume sind besonders interessant. Auch bei meinen vorherigen beruflichen Stationen habe ich darauf schon viel Wert gelegt.
Welcher Weg hat Sie nach Bamberg geführt?
Die akademischen Stationen führten mich von Konstanz über Prag und St. Petersburg nach München, wo ich nicht nur studiert, sondern auch mit meiner Promotion angefangen habe, bevor es mich nach Berlin verschlagen hat. In Berlin habe ich viele Jahre als wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Westslavische Literaturen und Kulturen gearbeitet. Anschließend führten mich die Wege zurück nach München, wo ich am Institut für Slavische Philologie als Mitarbeiterin tätig war bis ich zum 1. März 2022 hier nach Bamberg berufen wurde.
Zu welchem Thema haben Sie promoviert?
Das war eines meiner ersten abgeschlossenen Forschungsprojekte zur tschechischen Avantgarde. Diese hat in den 1920er Jahren die Kunstrichtung „Poetismus“ hervorgebracht. Der Poetismus wird mit einer Künstlergruppe in Verbindung gebracht, die sich aus Literat*innen, Bildenden Künstler*innen, Filmschaffenden, Regisseur*innen, Architekt*innen und Fotograf*innen zusammensetzt. In meiner Dissertation habe ich einerseits die ästhetische Theorie des Poetismus rekonstruiert, der als originärer Beitrag der tschechischen Avantgarde zur europäischen Avantgarde angesehen wird. Und gleichzeitig habe ich die künstlerischen Ausdrucksformen in den einzelnen Medien analysiert und interpretiert. Die tschechische Avantgarde konnte mit meiner Dissertation erstmals umfassend rekonstruiert werden. Davor hat man sie nicht interdisziplinär, also über mehrere Kunstformen hinweg betrachtet, stattdessen wurden die Kunstformen lediglich isoliert analysiert. Aber die Avantgardisten haben eigentlich genau diese Wechselwirkung proklamiert. Deshalb habe ich versucht, dem gerecht zu werden.
Fließt das Thema Ihrer Dissertation auch heute noch in Ihre Forschungsschwerpunkte ein?
Auf jeden Fall. Im Allgemeinen entsprechen meine Schwerpunkte in der Forschung der Denomination der Professur – die Kunst- und Kulturwissenschaft der West- und Ostslavistik mit Fokus auf das 20. Jahrhundert. Ich habe bisher viel zu Moderne und Avantgarde der ost- und ostmitteleuropäischen Kulturen gearbeitet, wobei immer die verschiedenen Medien eine Rolle gespielt haben. Es sind also nicht nur die Kunstgeschichte und die Bildkünste, die im Fokus meiner Forschung stehen. Darüber hinaus interessieren mich die Wechselbeziehungen der einzelnen Künste untereinander. Insofern ist die Intermedialität eine Konstante in meinen Forschungen und in diese Konstante fügt sich dieses erste Forschungsprojekt im Rahmen der Dissertation ein, an das sich noch viele weitere Projekte angeschlossen haben.
Können Sie von einem weiteren Projekt berichten?
Eines meiner Projekte ist ebenfalls intermedial, aber mit Konzentration auf die Fotografie. Es geht mir hier um die Beziehungen von Literatur und Fotografie in Ost- und Ostmitteleuropa. Im Vergleich zu meiner Dissertation habe ich hier den Radius in geografischer Hinsicht erweitert auf die Länder Tschechien, Slowakei, Polen und Russland – dazu gehören auch die ehemalige Sowjetunion und Tschechoslowakei. Auch zeitlich ist die Arbeit umfassender. Sie beginnt in der Moderne um 1910 und erstreckt sich bis in die Gegenwart. In dieser Zeit wurden viele Experimente vorgelegt, in denen Literatur und Fotografie ein Wechselspiel eingehen. Dazu zählen Fotoromane, Fotomontagen, Fotocollagen und der gesamte Bereich des Bildjournalismus. In meiner Arbeit geht es darum, diese neuen Kunstgattungen im Verlauf der letzten 100 Jahre zu analysieren.
Welche zentralen Erkenntnisse konnten Sie bisher gewinnen?
Es haben sich bestimmte Themenschwerpunkte herauskristallisiert. Einerseits sehe ich eine Art Wirklichkeitspostulat, das schon immer mit dem Realitätscharakter der Fotografie verbunden war. Das führt dazu, dass die Fotografie in ein Konkurrenzverhältnis zu anderen Bildkünsten tritt. Ein weiterer Erkenntnisgewinn ist, dass viele Fotografien – gerade im Nachgang des Zweiten Weltkriegs – eine Zeugnisfunktion einnehmen. Die Gebrauchsweisen der Fotografie leisten einen Beitrag in Bezug auf die Erinnerungsfunktion. Dazu kommt, dass Fotografien in der Postmoderne eine wichtige Rolle in der Familienerinnerungskultur einnehmen. Daraus leiten sich ebenfalls Fragen rund um Heimat und Regionalismus ab. Die Fotografie hat einen exklusiven Stellenwert im Rahmen intermedialer Werke.
Vielen Dank für das Interview!