"Künstliche Intelligenz ist nicht mehr wegzudenken"

Der ehemalige Leistungssportler Christoph Benzmüller hat die erste der sieben neuen KI-Professuren inne.

Christoph Benzmüller steht vor Teilbibliothek 4.
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  • 23.03.2022
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  • Hannah Fischer
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  • Lesedauer: 5 Minuten

Die Leidenschaft für Künstliche Intelligenz (KI) wurde bei Prof. Dr. Christoph Benzmüller bereits während seines Informatik-Studiums entfacht. Seit Februar 2022 hat er nun den Lehrstuhl für KI-Systementwicklung (AI Systems Engineering) an der Universität Bamberg inne. Das ist der erste der sieben neuen Lehrstühle und Professuren, die die Universität im Sommer 2020 im KI-Wettbewerb des Freistaats Bayern bewilligt bekommen hat. Als außerplanmäßiger Professor ist er zudem mit dem Fachbereich Mathematik und Informatik der Freien Universität Berlin verbunden. Im Interview verrät Christoph Benzmüller unter anderem, mit welcher Aussage ihn sein damaliger Professor für das Thema KI begeistern konnte, wie er selbst diese Leidenschaft bei seinen Studierenden wecken möchte und zu welchen Schwerpunkten er forscht.

Sie sind seit Februar 2022 KI-Professor an der Universität Bamberg.
Wie sind Sie zur KI gekommen?

Christoph Benzmüller: Dass ich mich mit dem Thema Künstliche Intelligenz beschäftige, reicht zurück bis in die Anfänge meines Studiums in Saarbrücken. Ein Professor, bei dem ich später auch promoviert habe, hat mich mit einer Aussage in einer Vorlesung gefangen. Diese Aussage steht für mich bis heute noch im Zentrum meiner Arbeit: Er hat damals behauptet, dass wir in einer unheimlich interessanten zeitgeschichtlichen Phase angekommen sind, in der aus Evolutionsperspektive ein neuer Ast entsteht, der Intelligenz ausbilden kann, die sich eventuell selbst reproduzieren und fortpflanzen kann. Diese Aussage hat mich tief bewegt und ich habe mich gefragt, was dran ist an diesem dann nicht mehr bestehenden Unterschied zwischen Mensch und Maschine oder einer Maschine, die sogar mit vielerlei Befähigungen ausgestattet ist, die über die menschlichen hinausgehen.

War es also schon immer Ihr Ziel, Professor in diesem Bereich zu werden?

Nein. Ich war früher Leistungssportler und habe nebenbei angefangen Informatik zu studieren, um „was Sinnvolles zu machen“. Damals habe ich dem Langstreckenlauf alles untergeordnet. In der Mannschaft waren wir sogar einmal deutscher Meister und ich war Athlet am Olympiastützpunkt. Alles war also aufs Laufen fokussiert und ich wollte danach eigentlich Sport oder Sportmedizin studieren. Die Berührung mit der KI war dann aber so einschneidend, dass ich dabei geblieben bin. Heute kann ich übrigens noch ganz gut zehn Kilometer laufen.

Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte – jetzt, wo Ihr Fokus auf KI liegt?

Ich beschäftige mich seit den 90er Jahren mit der Automatisierung von mathematischem Schließen, also damit, wie Maschinen automatisch Mathematik betreiben können. Über diesen Einstieg hinaus beschäftige ich mich mittlerweile mit vielen andere Projekten und Fragestellungen, wie etwa der ethischen und rechtlichen Kontrolle von KI-Systemen. Ich frage mich zum Beispiel, ob man mit einem mathematisch formalen Vorgehen Grenzen für solche Systeme entwickeln kann. Darüber hinaus untersuche ich, ob es eine universelle symbolische Wissensrepräsentation gibt. Also Formalismen, die Wissen in vielfältiger Hinsicht im Computer modellieren und automatisieren können. Es gibt einen ganzen Zoo von Logiken – aus der Philosophie, Mathematik, der KI und vielen Bereichen mehr. Diesen Zoo würde ich gerne bändigen mit einem Ansatz, den ich universelles logisches Schließen nenne und der mit einer Metalogik arbeitet, der sich alle anderen Logiken unterordnen. Teilweise konnten wir schon nachweisen, dass das funktioniert. Dabei ergeben sich Schnittstellen zur Philosophie und zur Theologie. Das könnte auch hier in Bamberg zu spannenden Interaktionen mit den Geisteswissenschaften führen.

Haben Sie dazu ein Beispiel?

Seit einigen Jahren führe ich Untersuchungen zum ontologischen Gottesbeweis in der Philosophie durch. In seiner ursprünglichen Variante nach Anselm von Canterbury unterstützt dieses Argument die Aussage, dass es ein Wesen gibt, über dessen Größe man nicht hinausdenken kann. Mein Interesse gilt den aktuell diskutierten Varianten dieses Arguments, etwa der von Kurt Gödel. Das Ziel ist es nicht, zu beweisen, dass es Gott gibt, sondern ich will die detaillierten Argumentationsschritte im Computer abbilden. Konkret haben wir überprüft, ob diese Argumentationsschritte im Computer nachvollzogen werden können, also ob diese formal logisch korrekt sind. Ob die Annahmen wirklich vertretbar sind, haben wir dabei aber nicht überprüft. Wir konnten auf diese Weise einen partiellen Nachweis der Korrektheit der von Kurt Gödel vorgeschlagenen Variante des Arguments erbringen. Zuletzt hat uns der Computer sogar aufgezeigt, wie diese Variante des Arguments weiter vereinfacht werden kann.

Im Laufe der kommenden Monate werden weitere KI-Professorinnen und -Professoren nach Bamberg kommen. Wie stellen Sie sich hier die Zusammenarbeit vor?

Ich möchte mit den Kolleginnen und Kollegen diese einzigartige Situation nutzen. Denn an der Universität Bamberg werden nach Besetzung all der neuen Professuren und Lehrstühle so gut wie alle relevanten Themenbereiche der KI abgedeckt sein. Damit haben wir die Möglichkeit über ganz neue Projektlandschaften nachzudenken, die an anderen Standorten so nicht durchführbar wären. Aber das hängt natürlich an uns Neuberufenen und an den Professorinnen und Professoren, die schon länger in Bamberg sind. Wir müssen Möglichkeiten aufzeigen und Projektanträge schreiben. Es gibt auf jeden Fall viel Potential. Ich bringe auch einige Kontakte mit an die Universität Bamberg. Beispielsweise kooperiere ich sehr eng mit der Universität Luxemburg. Aber auch nach China gibt es interessante Kontakte. Das halte ich für sehr relevant, weil gerade China eine Nation ist, bei der man in Sachen KI durchaus auch mal kritisch hinschauen kann. Durch die Interaktion– so meine Hoffnung – kann man zumindest auf akademischer Ebene gemeinsames Verständnis und gemeinsame Wertevorstellungen aufbauen und hinterfragen.

Was ist Ihnen in der Lehre besonders wichtig?

Ich versuche immer Hierarchien abzubauen, weil ich es wichtig finde, dass Studierende ohne Vorbehalte ihre eigene Meinung im Rahmen von Lehrveranstaltungen einbringen und auch ruhig mal danebenliegen können, ohne dass das gleich negative Folgen hätte. Deshalb ist mir insbesondere die Interaktion in den Lehrveranstaltungen wichtig. In manchen Bereichen ist das sogar zwingend notwendig, weil die Antworten zu Fragestellungen, wie etwa „Wie sollen wir das Thema verantwortungsvolle KI eigentlich gestalten?“ noch gar nicht klar auf dem Tisch liegen. Idealerweise möchte ich bei den Studierenden das hervorrufen, was der Professor in Saarbrücken damals bei mir entfacht hat: Eine intrinsische Motivation für das Thema.

Warum sollte man Ihr Fach studieren?

Das Thema KI hat immer wieder Wellen des Hypes durchlebt, die auch wieder abgeflacht sind. Einige davon habe ich auch selbst miterlebt. KI ist aber nicht mehr wegzudenken aus unser aller Zukunft. Selbst wenn es weitere Wellenbewegungen geben wird, ist KI in den vergangenen Jahrzehnten zu einer fundamental wichtigen Schlüsseltechnologie herangewachsen, die für die Zukunft ganzer Gesellschaften richtungsweisend sein kann. Hier werden zunehmend Expertise und hervorragend ausgebildete Leute gebraucht. Und zwar nicht nur im akademischen Bereich, sondern auch in der Wirtschaft und vor allen Dingen auch in gesellschaftlichen Positionen und der Politik. Deshalb plädiere ich dafür, dass auch Leute, die sich mit Geistes- oder Sozialwissenschaften auseinandersetzen, nicht an der KI vorbeischauen sollten, weil sie eben so eine fundamental wichtige Rolle hat und haben wird.

Was möchten Sie Studierenden besonders mit auf den Weg geben?

Momentan haben wir wieder eine unglaubliche Dynamik im Feld der KI. Ich möchte den Studierenden mit auf den Weg geben, die Dinge tiefgründig zu hinterfragen und nicht einfach den momentanen Trends hinterherzulaufen. Es ist wichtig, nicht einfach auf die Welle aufzuspringen, sondern einen eigenen Weg zu finden. Wissenschaft kann nicht immer sofort zwischen richtig und falsch unterscheiden. Hier sind Leute gefragt, die eine gewisse eigene Position haben und diese Position auch vertreten. Gewissermaßen möchte ich die Entwicklung der Studierenden hin zu eigenständigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterstützen.

Vielen Dank für das Interview!

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Seite 150219, aktualisiert 03.08.2022