Prof. Dr. Silvia Jonas ist seit August 2022 Professorin für Philosophie an der Universität Bamberg. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung unter anderem mit der Mathematik und hält sie für ein Faszinosum, das uns dabei helfen kann, andere Bereiche unseres Lebens besser zu verstehen. Diese Begeisterung möchte sie auch an die Studierenden weitergeben. Am wichtigsten ist ihr aber, den Enthusiasmus der Student*innen zu fördern, sodass sie sich von Kommentaren über die Sinnhaftigkeit eines Philosophiestudiums nicht von ihrem Weg abbringen lassen. Das und mehr verrät sie im Interview.
Wie kam es dazu, dass Sie jetzt an der Universität Bamberg sind und wie gefällt es Ihnen bisher?
Silvia Jonas: Mit Anfang 20 war ich zum ersten Mal in Bamberg. Das war ein ganz toller Besuch. Viele Jahre später kam nun die Chance, mich hier zu bewerben. Mein Herz ist gehüpft, als ich in der Ausschreibung der Professur „Bamberg“ gelesen habe. Deshalb bin ich an den Bewerbungsprozess schon mit einer positiven Grundstimmung herangegangen. Mich hat außerdem angesprochen, dass die Professur durch die Denomination sehr offen gehalten ist, sodass man sich in alle möglichen Richtungen entfalten kann. Beim Vorsingen habe ich gleich gemerkt, was für eine gute Stimmung an der Uni herrscht. Die Kommission war recht groß, aber wir waren gleich in einem intensiven Gespräch und ich habe gespürt: Die anderen interessieren sich für das, was ich sage, und ich interessiere mich für die Themen, an denen sie forschen. Mittlerweile fühle ich mich an der Bamberger Uni schon vollkommen zuhause, obwohl ich offiziell erst seit wenigen Wochen da bin.
Können Sie ein wenig von vorherigen beruflichen Stationen erzählen?
In München habe ich Politikwissenschaft mit Philosophie im Nebenfach studiert. Für mich war aber schnell klar: Die Philosophie ist es! Meine Magisterarbeit habe ich über Adornos Vernunftbegriff im Kontext seiner Ästhetik geschrieben. Das war schon ein sehr weit gedehnter Begriff von Politikwissenschaft. Danach wollte ich die analytische Philosophie kennenlernen, aber das konnte man zum damaligen Zeitpunkt noch nicht besonders gut in Deutschland, weshalb ich für ein Jahr nach St Andrews in Schottland gegangen bin. Daran schloss sich ein Masterstudium in Oxford an. Das war eine sehr prägende Zeit, weil das Lernpensum sehr intensiv und die philosophischen Grundintuitionen der Briten sehr anders waren. Promoviert habe ich an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als Postdoc war ich anschließend fünf Jahre in Jerusalem. Das war ganz toll, weil ich dort in der Forschung enorm viele Freiheiten hatte. Ich konnte in der Zeit zum Beispiel meine Dissertation erweitern und als Buch veröffentlichen.
Worum ging es in Ihrer Dissertation?
Das Thema war: Das Unaussprechliche in Kunst, Religion und Philosophie. Außerdem habe ich angefangen, einen neuen Forschungsbereich für mich zu erschließen, der sich mit der Mathematik und ihrer Rolle in der Philosophie und insbesondere in der Metaphysik beschäftigt. Im weitesten Sinne geht es um mathematische Analogien in der Philosophie. Das wurde zu einer größeren Projektidee, an der ich anschließend am Munich Center for Mathematical Philosophy an der Ludwig-Maximilians-Universität München weitergearbeitet habe. Dort hatte ich erst ein Minerva Fellowship der Max-Planck-Gesellschaft und dann ein Marie Curie Fellowship der EU. An beiden Forschungsschwerpunkten arbeite ich jetzt in Bamberg weiterhin.
Berichten Sie gerne mehr zu Ihren Forschungsschwerpunkten.
Ein Forschungsschwerpunkt beschäftigt sich mit der Frage, ob es Formen von Wissen oder Verstehen gibt, die über das sprachlich Erfassbare hinausgehen – von denen es kategorisch ausgeschlossen ist, dass wir sie in Sprache übersetzen können. Ich bin der Meinung, dass es solche Formen des Wissens gibt, und dass sie eine große Rolle in unserer Wahrnehmung, in unserem Denken und Fühlen spielen. Solche Wissensformen finden wir insbesondere in ästhetischen, religiösen und in philosophischen Kontexten.
Ein weiterer Themenschwerpunkt ist die Mathematik. Ich frage mich, auf welche Art und Weise die Mathematik unsere Wahrnehmung von Realität formt. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir Dinge quantifizieren, sondern dass es Bereiche unseres Lebens gibt, die abstrakt sind, und trotzdem einen Objektivitätsanspruch besitzen.
Würden Sie dafür bitte ein Beispiel nennen?
Der Aussage „Babys zum Spaß quälen ist moralisch falsch“ würden alle zustimmen. Aber was genau macht diesen Satz eigentlich wahr? Ein moralischer Wert beziehungsweise Fakt? Was genau sind solche Fakten und welche Eigenschaften haben sie? Genau wie in der Mathematik handelt es sich in der Ethik um einen Bereich in unserem Leben, der sich auf abstrakte Entitäten wie etwa Werte oder Fakten bezieht, aber trotzdem Objektivität beansprucht. Meine Frage ist, ob wir solche Themenbereiche besser dadurch verstehen können, dass wir sie mit der Mathematik vergleichen. Wir haben alle ein Verständnis davon, dass zwei und zwei vier ergibt, obwohl wir noch nie physisch eine Zwei oder eine Vier gesehen haben. Wir sehen vielleicht zwei Gegenstände, aber nie die Zahl selbst. Und trotzdem würde niemand von uns anzweifeln, dass mathematische Aussagen objektiv wahr sind, obwohl sie sich auf abstrakte Entitäten, zum Beispiel Zahlen, beziehen. Meine These ist, dass wir dieses Wissen über die Mathematik in andere Bereiche hineintragen können. Philosophisches Wissen über die Mathematik kann uns helfen, andere Bereiche unseres Lebens besser zu verstehen.
Wie sind Sie dazu gekommen, sich so intensiv mit der Mathematik zu beschäftigen?
Die Mathematik fand ich immer schon sehr schön, sehr erhaben und einfach faszinierend. Ich betrachte sie wie ein Kunstwerk und bestaune sie. Sie ist als Forschungsgegenstand einzigartig, weil sie einerseits fest in unserer physischen Welt verankert ist - ohne die Mathematik sähen die Naturwissenschaften, etwa die Physik, schlecht aus. Umgekehrt braucht die Mathematik aber die Physik nicht. Sie schwebt gewissermaßen im "platonischen Ideenhimmel", steht ganz für sich und ist ihr eigener Kosmos. Diese Verankerung in beiden Sphären, der physischen und der metaphysischen, fasziniert mich.
Warum sollte man heute Ihr Fach studieren?
Eigentlich muss man keine Überzeugungsarbeit für ein Philosophiestudium leisten. Die meisten Menschen fühlen sich selbst hingezogen zu grundlegenden Fragen darüber, was unser Dasein ausmacht und was die Welt im Innersten zusammenhält. Es ist eher so, dass man Außenstehenden erklären muss, warum es heute überhaupt noch Philosophie als Studienfach geben und sich eine Uni dieses Fach leisten sollte. Die Antwort, die ich darauf gebe, bezieht sich nicht nur auf die Philosophie, sondern auf alle Geisteswissenschaften: Es ist ein Zeichen höchster Zivilisation, dass man sich Formen des Wissens und der Wissenserarbeitung leisten kann, die keinen unmittelbaren praktischen Zweck haben, sondern Selbstzweck sind. In den Geisteswissenschaften wird Wissen erarbeitet, das über das rein Pragmatische hinausgeht, das aber gleichzeitig dafür sorgt, dass wir nicht nur in irgendeiner zweckgebundenen Daseinsform existieren. Im weitesten Sinne macht es Gesellschaften besser, wenn sie sich mit geisteswissenschaftlichen Fragen auseinandersetzen können, weil sie unser Leben und unser Dasein aus einem anderen, nicht instrumentellen Blickwinkel beleuchten. Bereits im antiken Griechland wurde ja nicht nur darüber nachgedacht, wie man möglichst effektiv ein Feld bestellen oder ein Schiff bauen kann, sondern auch über Kunst, Poetik oder reine Mathematik. Diese besondere Perspektive auf die Welt, diese geradezu radikale Form der Wissenswertschätzung, können sich nur Hochkulturen leisten.
Was ist Ihnen in der Lehre besonders wichtig?
Durch meinen besonderen Forschungsschwerpunkt versuche ich, den Studierenden die Scheu vor der Mathematik und auch vor der Logik zu nehmen. Denn viele Menschen haben – vielleicht auch durch schlechte Erfahrungen während der Schulzeit – Ehrfurcht oder gar Abscheu vor allem, was in Formeln daherkommt. Ich versuche den Studierenden zu zeigen, was daran so unglaublich faszinierend ist und wie vortrefflich es sich über Mathematik, Logik und Metaphysik nachdenken lässt, ohne dass sie in irgendeiner Weise angsteinflößend sind. Am wichtigsten ist es mir aber, die Studierenden dahingehend zu bestärken, ihre Faszination für ihre präferierten philosophischen Fragestellungen weiterzuverfolgen und sich eben nicht von Argumenten, dass die Philosophie total nutzlos oder zu abstrakt sei, abschrecken zu lassen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten jungen Leute, die aus der Schule kommen, sehr begeisterungsfähig sind und sich sehr gut in philosophische Problemstellungen hineindenken können. Sie bringen noch diesen Enthusiasmus und die Frische mit, die sich über die Jahre abnutzen. Das sind so kostbare Jahre, in denen die ersten und wichtigsten Impulse freigesetzt werden, die einen dann in eine bestimmte Forschungsrichtung treiben. Das versuche ich zu unterstützen, so gut es geht.
Vielen Dank für das Interview!