Prof. Dr. Katja Möhring hat seit Februar 2023 den Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Familie und Arbeit, an der Universität Bamberg inne. Bereits im Juni 2023 konnte sie mit einem 1,2 Millionenprojekt, gefördert durch die VolkswagenStiftung, starten. Bei dem internationalen Verbundprojekt stellt sie sich gemeinsam mit ihren Forschungskolleg*innen aus Italien, der Türkei und den Niederlanden die Frage: Was bedeutet es für verschiedene Gruppen europäischer Migrantinnen und Migranten, glücklich und gesund zu altern? Ziel der Studie ist es, konkrete Angebote für ältere Migrant*innen zu entwickeln, um deren Gesundheit und Wohlbefinden nachhaltig zu fördern. Zu welchen Themen Katja Möhring darüber hinaus forscht, warum sie sich für die Welterbestadt Bamberg entschieden hat und warum ihr besonders die Sensibilisierung von Lehramtsstudierenden für soziale Ungleichheiten am Herzen liegt, verrät sie im Interview.
Liebe Frau Möhring, Sie sind jetzt Professorin in Bamberg. War für Sie schon immer klar, dass Sie diesen Karriereweg einschlagen möchten?
Katja Möhring: Das kam mit der Zeit und auch eher zufällig. Während der Schulzeit und zu Beginn des Studiums war mir das Berufsbild der Professorin eigentlich gar nicht wirklich bekannt. Ich habe mich während meines Studiums der Sozialwissenschaften in Berlin als studentische Hilfskraft beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung beworben, weil ich einfach gerne mit Daten gearbeitet und mich insbesondere für Datenmanagement interessiert habe. Dort bin ich sehr früh mit wissenschaftlichem Arbeiten in Berührung gekommen und hatte einen netten Chef, der mich in Forschungsprojekte einbezogen hat. Später habe ich in Köln promoviert mit einem Fokus auf quantitative Methoden und war anschließend als PostDoc in Bremen. Es folgten eine Juniorprofessur und eine Vertretungsprofessur am Lehrstuhl für Makrosoziologie in Mannheim. Zwischendurch war ich ein halbes Jahr am Center for European Studies an der Harvard University. Und jetzt bin ich in Bamberg.
Sie waren in vielen großen Städten. Warum jetzt Bamberg?
Das erste Mal war ich 2011 zum Stata User Meeting in Bamberg. Stata ist ein Statistikprogramm, das von Sozialwissenschaftler*innen sehr viel verwendet wird. Damals war ich gerade Doktorandin an der Universität zu Köln. Das Treffen hat in der jetzigen AULA stattgefunden. Damals war es aber noch die Dominikanerkirche – vor dem Umbau. Ich fand es sehr beeindruckend, dass man in der Kirche eine Projektion hatte, in der Forschungsergebnisse zu statistischen Methoden vorgestellt wurden. Dieses Zusammenspiel von Tradition und Moderne begegnet einem an der Universität immer wieder und das ist mir in positiver Erinnerung geblieben. Häufig gibt es in der Soziologie eine Trennung zwischen den Empirikern, die quantitativ mit Daten arbeiten, und Wissenschaftler*innen, die sich eher mit Theorie und qualitativer Forschung beschäftigen. In Bamberg wird beides miteinander verbunden. In der empirisch-analytischen Soziologie Bambergs fühle ich mich aufgrund meines Werdegangs zu Hause. Zudem ist mein Forschungsschwerpunkt die Lebenslaufsoziologie. Und dafür ist Bamberg deutschlandweit der wichtigste Standort.
Können Sie mehr zu Ihrem Forschungsschwerpunkt berichten?
Mein Forschungsprofil ist recht breit. Ein Schwerpunkt liegt auf der Lebenslaufsoziologie. Dabei verbinde ich die gesellschaftliche und individuelle Perspektive und interessiere ich mich vor allem für Erwerbsverläufe, Familienverläufe und wie diese mit Geschlechterungleichheiten und dem Wohlbefinden im Alter zusammenhängen. Darüber hinaus nehme ich immer eine vergleichende Perspektive ein. Ich frage mich zum Beispiel: Wie funktionieren Sozialpolitik und Rentensysteme in anderen Ländern? Was können wir in Deutschland daraus lernen und eventuell auch für unsere Familienpolitik oder für unser Rentensystem mitnehmen?
Der zweite wichtige Forschungsbereich ist die politische Soziologie. Dabei geht es mir besonders um Einstellungen zu Diversity und Antidiskriminierungsmaßnahmen. Ich habe beispielsweise mit einer Kollegin mehrere Studien durchgeführt, in denen wir uns angeschaut haben, wie Menschen über die sogenannte Frauenquote in Aufsichtsräten denken. Wir haben uns gefragt: Welche Faktoren spielen eine Rolle, dass man solche politischen Maßnahmen ablehnt oder für gut befindet.
Können Sie von einem weiteren konkreten Forschungsprojekt berichten?
2020 hatte ich die Gelegenheit an der Mannheimer Corona-Studie mitzuarbeiten. Das geht zurück auf mein Mitwirken am German Internet Panel (GIP). Das GIP untersucht bereits seit rund zehn Jahren mit Hilfe von regelmäßigen Befragungen individuelle Einstellungen und Präferenzen, die in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen relevant sind. Mit dem interdisziplinären Forschungsteam, bestehend aus Politikwissenschaftler*innen, Soziolog*innen und Data Scientists haben wir kurz vor dem ersten Lockdown beschlossen, dass wir die Befragung, die eigentlich alle zwei Monate durchgeführt wurde, auf eine wöchentliche umzustellen. Wir konnten unsere Forschungsergebnisse sehr schnell weiterberichten und hatten zum Beispiel sehr enge Verbindungen zum Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Unsere Berichte wurden auch im Corona-Kabinett vorgestellt, weil wir damals diejenigen mit den aktuellsten Erkenntnissen zu Erwerbstätigkeit und Wohlbefinden im Kontext der Pandemie waren.
Gab es Erkenntnisse, die Sie besonders erstaunt haben?
Wir haben verschiedene Forschungspapiere geschrieben. In einem davon haben wir uns mit der Veränderung der Zufriedenheit mit Arbeit und Familie bei verschiedenen Personengruppen auseinandergesetzt. Wir haben uns angeschaut, wie zufrieden Personen in diesen Bereichen waren, die in Kurzarbeit übergingen oder im Home-Office arbeiten mussten. Ein für mich überraschendes Ergebnis war: Väter, die in Kurzarbeit übergingen, waren die einzige Gruppe, die über eine höhere Familienzufriedenheit berichtete. Bei Müttern und kinderlosen Personen in Kurzarbeit war ein Rückgang der Zufriedenheit zu verzeichnen. Das ist erstaunlich, weil die meiste soziologische Forschung zu dem Schluss kommt, dass Väter zufriedener sind, wenn sie viel arbeiten und Mütter zufriedener sind, wenn sie weniger Erwerbsarbeit leisten. Natürlich war die Pandemie eine spezielle Situation. Aber trotzdem kann man sehen, dass Väter es auch genießen, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Und das zeigt auch: Es lohnt sich, politische Maßnahmen so zu gestalten, dass sie die Entscheidung von Vätern für weniger Arbeit und mehr Familienzeit entsprechend flankieren.
Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?
Ich möchte das Forschungsinteresse der Studierenden wecken. Damit meine ich nicht, dass alle Forscher*innen werden müssen. Ich denke aber, dass es wichtig ist, die Welt mit soziologischen Augen zu betrachten und zu hinterfragen. Entsprechend binde ich in alle meine Kurse Elemente des wissenschaftlichen Arbeitens ein und gebe den Studierenden die Möglichkeit, eigene Forschungsprojekte zu bearbeiten – immer abgestimmt auf das jeweilige Qualifikationsniveau. In Bamberg habe ich zum ersten Mal Lehramtsstudierende in meinen Kursen. Das Lehramtsstudium ist enorm wichtig – nicht nur wegen des Lehrkräftemangels, sondern auch, weil Lehrer*innen zentral sind für den Bildungsweg der Kinder – ich habe zwei kleine Kinder, daher liegt mir das besonders am Herzen. Als Lehrkraft sollte man sich immer selbst die Frage stellen, wie man zu bestimmten Beurteilungen von Schüler*innen kommt und wie das gegebenenfalls mit Benachteiligung oder sozialen Ungleichheiten zusammenhängt, um diese möglichst nicht zu reproduzieren. Es geht also darum, die „soziologische Brille“ auch im Alltag aufzuhaben.
Warum sollte sich ein Abiturient oder eine Abiturientin für ein Soziologiestudium entscheiden?
Ich würde die Frage gerne spezifisch beantworten, warum man das in Bamberg tun sollte: Ich denke, dass wir hier eine sehr gute Mischung anbieten. Wir sind stark in der Forschung und zudem exzellent in der Vermittlung statistischer Methoden und soziologischer Inhalte. Bamberg bietet außerdem ein super Betreuungsverhältnis. Hier lernen die Studierenden das Handwerkszeug, um die moderne Welt, die aus Daten besteht, zu verstehen.
Vielen Dank für das Interview!