Zum ersten Mal in Bamberg war Prof. Dr. Matthias Dütsch im Jahr 2009. Zwischenzeitlich führte ihn sein Weg raus aus der Universität. Jetzt ist er zurück in der Welterbestadt und hat seit März 2023 die Professur für Soziologie, insbesondere Arbeitsforschung, inne. Im Interview erzählt er, was die Besonderheit an seiner Professur ist, welche Synergien er zu anderen Forscher*innen der Universität Bamberg bereits jetzt sieht und wozu er selbst forscht.
Lieber Herr Dütsch, Sie machen ja nicht zum ersten Mal Station in Bamberg. Wie kam´s?
Der Weg hat mich wieder nach Bamberg geführt, und Franken hat mich nie ganz losgelassen. Ich habe in Nürnberg studiert und war anschließend für sieben Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Olaf Struck. Dort habe ich auch promoviert und war an verschiedenen Drittmittelprojekten beteiligt. In der PostDoc-Phase stand ich vor der Entscheidung, ob ich in Bamberg bleibe oder das Haus wechsle. Ich bin dann raus aus der universitären Wissenschaft und zur Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) nach Berlin gegangen. Dort war ich in der Geschäfts- und Informationsstelle für den Mindestlohn beschäftigt und bin dort nach wie vor tätig. Jetzt bin ich wieder in Bamberg gelandet durch eine Doppelausschreibung der Universität Bamberg gemeinsam mit der BAuA.
Wie sind Ihre beiden Positionen an der Universität und bei der BAuA miteinander verknüpft?
Ich bin sozusagen von der BAuA an die Universität ausgeliehen, aber trotzdem hier in Lehre und Forschung fest verankert. Das Besondere an der Professur ist, dass sie beide Institutionen vernetzt. Deshalb wird es auch entsprechende Veranstaltungen geben, bei denen sich die beiden Institutionen sowohl auf Professoren- und Mitarbeiterebene als auch auf der Promovierenden- und Studierendenebene vernetzen können. Möglicherweise können sogar Abschlussarbeiten vermittelt und Daten ausgetauscht werden. Die Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi) sind zum Beispiel für die BAuA interessant. Umgekehrt können für die Gesundheitsforschung an der Universität die Daten der BAuA nützlich sein.
Was hat sich Ihrer Ansicht nach in den vergangenen Jahren an der Universität Bamberg getan?
Ich war 2009 zum ersten Mal in Bamberg. Mein Eindruck ist, dass die Soziologie seitdem größer geworden ist. Das Fächerportfolio hat sich deutlich erweitert, sodass die Studierenden inhaltlich viel breiter studieren und sich gleichzeitig stärker spezialisieren können. Das hängt natürlich mit der Anzahl der Professor*innen zusammen, die ihre eigenen Schwerpunkte mitbringen. Von diesen vielfältigen thematischen Schwerpunkten der Professor*innen können die Studierenden profitieren. Mein subjektiver Eindruck ist außerdem, dass die Universität internationaler geworden ist und sich durch die fortschreitende Digitalisierung geöffnet hat.
Sie haben bereits die Studierenden angesprochen. Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?
Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass die Studierenden aus meinen Seminaren nicht nur Fachwissen mitnehmen, sondern auch Schlüsselkompetenzen erlernen und anwenden. Sie sollen nach meinen Seminaren in der Lage sein, Referate und auch spontane Kurzvorträge zu halten, Inhalte zu exzerpieren und Seminararbeiten zu schreiben. Denn all das ist Übungssache. Vor allem versuche ich auch, die Studierenden diskutieren und ihre Standpunkte vertreten zu lassen. Denn man muss nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs, sondern auch in der außeruniversitären Berufswelt seine Argumente schlüssig und klar darlegen können.
Warum sollte sich eine Abiturientin oder ein Abiturient Ihrer Meinung nach heute für ein Soziologiestudium entscheiden?
Soziologie und insbesondere die Arbeitsforschung sind hochaktuell. Das eröffnet viele Berufsmöglichkeiten: zum Beispiel in der Personalabteilung oder Personalentwicklung von Unternehmen, in der Wissenschaft, in der Arbeitsmarkt- oder Ungleichheitsforschung und ganz klar in politiknahen Bereichen, wie Ministerien, Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden. Meiner Meinung nach hat das Thema in den vergangenen Jahren sogar noch an Relevanz gewonnen, wenn man an Fachkräfteknappheit oder an Restrukturierungen, etwa erzwungen durch die Digitalisierung, denkt.
Wozu forschen Sie?
Mein Schwerpunkt liegt in der empirischen Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Ich bin eher ein quantitativer Forscher, der mit selbst erhoben oder mit Sekundärdaten arbeitet. Arbeitsmärkte sind ein Ungleichheit produzierender Motor, weshalb mich vor allem dieser Zusammenhang interessiert. Und ich habe und werde verstärkt zu Arbeit und Gesundheit forschen. Dabei geht es mir vor allem um Belastungen und Beanspruchungen und deren Folgen. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Gerechtigkeitsforschung. Hier interessiere ich mich insbesondere für Einstellungen zu Maßnahmen am Arbeitsmarkt. Beispielsweise habe ich in einem Projekt zur Lohngerechtigkeit untersucht, wie Beschäftige es empfinden, wenn ihre Vorgesetzten Bonuszahlungen erhalten.
Marvin Reuter, ebenfalls neuer Professor in der Soziologie, beschäftigt sich auch mit Gesundheit und Arbeit. Planen Sie eine Zusammenarbeit?
Marvin Reuter kommt aus der Gesundheitsforschung, ich eher aus der Arbeitsmarktforschung. Diese beiden Welten wollen wir verbinden. Ein Ansatz, der für mich nahe liegt, ist der Mindestlohn, der für Niedrigverdienende einen Lohnschub mit sich gebracht hat. Ich würde gerne die Hypothese testen, ob der gestiegene Lohn zu mehr Zufriedenheit und zu besserer Gesundheit führt. Es gibt aber viele weitere Möglichkeiten. Wir haben beide Zugang zu unterschiedlichen Daten, auf deren Basis sich einiges erforschen lässt. Ich sehe auch eine Anschlussfähigkeit zu anderen Disziplinen, wie der Volkswirtschaftslehre oder der Psychologie, insbesondere, wenn es um Belastungen und Beanspruchungen durch Arbeit geht.
Können Sie von einem aktuellen Forschungsprojekt berichten?
Aktuell untersuche ich die Auswirkungen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland im Jahr 2015 auf die Berufsstruktur. Die klassische, aus den USA kommende Forschung sagt: Wenn die Arbeitskraft teurer wird, dann steigt das Risiko, dass sie durch neue Technologien ersetzt wird. Sie wird aber nicht gleichmäßig ersetzt, sondern nur bestimmte Typen von Arbeitskräften. Und das sind vor allem routinisierbare Jobs, zum Beispiel in der industriellen Produktion von Waren und Gütern. In meiner Forschung arbeite ich mit Daten der amtlichen Statistik der Bundesagentur für Arbeit und des Statistischen Bundesamtes. Ich führe Kausalschätzungen durch, um zu sehen, welche Auswirkungen der Mindestlohn auf den Arbeitsmarkt hatte, differenziert nach verschiedenen Berufstypen. Dazu zählen Berufe mit einem hohen Anteil an manuellen Routinetätigkeiten, interaktive Nicht-Routinetätigkeiten oder analytischen Nicht-Routinetätigkeiten. Das überraschende Ergebnis: Entgegen der landläufigen Meinung sind gerade nicht die routinisierbaren Jobs weggefallen, sondern die interaktiven Dienstleistungstätigkeiten, etwa von Büroangestellten. Diese haben nämlich einen hohen Lohnkostenanteil. Gleichzeitig wissen wir auch, dass der Mindestlohn in Deutschland zu keinem oder einem allenfalls geringen Beschäftigungsrückgang geführt hat. Insofern möchte ich künftig erforschen, in welche Berufsfelder die Personen aus den interaktiven Jobs gegangen sind, wenn sie nicht arbeitslos geworden sind.
Vielen Dank für das Interview!