Wenn man das „UX Design Lab“ von Prof. Dr. Patrick Tobias Fischer betritt, wird man von zahlreichen Regalen voller brauner Kisten empfangen. Was zunächst recht unscheinbar wirkt, beherbergt aber eine ganze Reihe von Schätzen: Aus einer Kiste zieht er zum Beispiel einen schwarzen Kasten, aus der nächsten eine Art Steinschleuder ohne Stein. In den Kisten befinden sich Prototypen, die Patrick Tobias Fischer entwickelt hat. Ohne Erklärung steht man recht ratlos vor den Objekten. Im Interview verrät Patrick Tobias Fischer unter anderem, was es damit auf sich hat, welcher Weg ihn nach Bamberg geführt hat und wie viele wissenschaftliche Disziplinen in seinem Fach zusammenspielen. Patrick Tobias Fischer ist seit März 2023 Juniorprofessor für User Experience and Design an der Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik (WIAI).
Lieber Herr Fischer, bevor wir zu den Schätzen aus dem „UX Design Lab“ kommen: Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich in Ihrer Arbeit?
Patrick Tobias Fischer: In meiner Forschung beschäftige ich mich besonders mit dem Entwurf und der Evaluation neuartiger Mensch-Computer-Schnittstellen im Spannungsfeld von Kunst, Wissenschaft und Design. Das Prototyping alternativer Zukunftsszenarien der digitalen Stadt liegt mir besonders am Herzen. Dazu habe ich schon mehrere öffentliche interaktive Kunstwerke mit internationaler Beteiligung für Kultureinrichtungen in zahlreichen Städten weltweit entworfen, um deren Auswirkungen auf das öffentliche Leben, die Erlebnisqualitäten für die Bewohner*innen und deren Verhaltensänderungen zu erforschen. Bisher habe ich also viel im Urban Interaction Design gearbeitet und mich mit Medienarchitektur und -intervention beschäftigt. In Zukunft möchte ich noch mehr Design Forschung betreiben. Interessant ist in Bamberg vor allem auch der Bereich künstliche Intelligenz (KI), der ja aktuell stark ausgebaut wird. In dem Zuge möchte ich mir KI im Gestaltungsprozess ansehen. Wir müssen verstehen, wie KI als Material genutzt werden kann.
Was hat es mit dem schwarzen Kasten auf sich und wie passt er in Ihre Forschung?
Das ist ein PlazaPuck. Das PlazaPuck-Projekt ist ein Versuch, die Interaktion mit öffentlichen Schnittstellen auf Plätzen in der Stadt zu erforschen, denn die Gestaltung von diesen sogenannten Public Interfaces folgt anderen Kriterien als jene von mobilen oder Desktop-Anwendungen. Es handelt sich also um ein Projekt aus dem Bereich der urbanen Human-Computer-Interaction-Forschung – kurz Urban HCI. Wie der Name schon sagt, erforscht HCI das Design und die Verwendung von Computer-Technologie an der Schnittstelle zwischen Menschen und Computern. Der PlazaPuck wird als Forschungsinstrument verwendet, um verschiedene Raumtypen zu erforschen, die auf öffentlichen Plätzen vorhanden sind. Dazu gehören zum Beispiel soziale Interaktionsräume, Komforträume oder Aktivierungsräume. Der PlazaPuck hat an der Unterseite ein Rad, sodass er leicht gedreht und auf dem Platz bewegt werden kann. Er wird hauptsächlich mit den Füßen der Benutzer*innen durch Orientierung, Entfernung und Betreten bedient. Wir haben uns angeschaut, wie Menschen damit interagieren. Das Hauptziel der Gestaltung ist die Förderung und das Erkennen von Werten, die unseren öffentlichen Raum durch eine aktive und passive Beteiligung bereichern: zum Beispiel Bewegung, Kommunikation, Spiel, Respekt, Anerkennung oder das bloße Beobachten.
Und die Steinschleuder?
Der verstärkte Einsatz von Urban Screens in der Architektur hat sich zur Begrifflichkeit der Medienfassade bzw. der Medienarchitektur weiterentwickelt. Bekannt sind uns die urbanen Großbild-LED-Bildschirme vielleicht aus dem Vereinigten Königreich mit den BBC Big Screens. Prominentere Beispiele sind etwa die Megadisplays auf dem Piccadilly Circus in London oder dem Time Square New York. Fassaden werden entmaterialisiert und zu einem riesigen Werbespektakel umfunktioniert, das Botschaften sendet, denen man sich nur schwer entziehen kann. Vor rund 15 Jahren waren diese Medien sehr neu und entwickelten sich gerade stark weiter. In dieser Zeit formulierte das Public Art Lab eine Ausschreibung, dass man eben solche Medienfassaden von verschiedenen Gebäuden in Berlin gestalten darf. Gemeinsam mit drei Freunden haben wir dafür das Kollektiv VR/Urban gegründet und eine Installation namens SMSlingshot erarbeitet. Mit Hilfe der integrierten Tastatur können Kurznachrichten eingegeben werden, die dann mit der Schleuder an eine Medienfassade geworfen werden. Wir sind mit der Installation durch die Welt getourt und waren zum Beispiel in Mexiko, Brasilien, Südkorea oder den Niederlanden. Für die Ausstellung in Kairo haben wir sogar die Knöpfe und Software auf Arabisch geändert. Denn Design sollte immer menschzentriert sein, sich den Bedürfnissen anpassen und den Menschen nichts aufzwingen. Für uns waren im Anschluss vor allem die Analyse der Umgangsweisen mit dem Artefakt sowie der Nachrichten wichtig, deren Inhalte sich von Ort zu Ort teils stark unterschieden haben. In Brasilien und Mexiko spielten zum Beispiel Drogenkontexte eine starke Rolle.
PlazaPuck und SMSlingshot sind Beispiele für experimentelle öffentliche Benutzerschnittstellen mit unterschiedlichen Interaktions- und Erlebnisqualitäten und Designintentionen. Diese Interfaces wurden nicht zu Ihrem Selbstzweck gebaut, sondern als Forschungswerkzeug. Wir nennen das Research-through-Design (Forschung durch Design). Der Beitrag im Speziellen durch die Analyse der SMSlingshot-Interventionen war ein erhöhtes Verständnis über die verschiedenen Raumtypen für die HCI beziehungsweise Computerwissenschaft. Es handelt sich hierbei also um ein induktives wissenschaftliches Vorgehen, bei dem neue Heuristiken, Modelle, Frameworks, Patterns, Werkzeuge und letztendlich Theorien als wissenschaftlicher Beitrag entstehen. Dynamische Verhaltensmuster sind besonders schwer zu erkennen, können aber durch systematische Prototypen bewusst erkundet werden. So wurde der PlazaPuck zum Beispiel speziell für Plätze entwickelt im Gegensatz zu anderen Interfaces, welche Gehwegszenarien erkunden. Im Grunde ist die Grundlagenforschung in diesem Gebiet noch in vollem Gange.
Sie haben mir gerade eben zahlreiche Prototypen gezeigt. Es wirkt so, als müssten Sie sehr viele unterschiedliche Disziplinen beherrschen, um solche Objekte zu entwickeln und die Interaktion von Menschen damit zu erforschen.
Ja, mein Fach ist sehr stark interdisziplinär und so habe ich bisher auch immer gearbeitet. Es spielen zum Beispiel Produktdesign, Informatik, wahrnehmungstheoretische Bereiche aus der Psychologie, Softwareentwicklung, Soziologie, aber auch Ingenieurswissenschaften eine Rolle.
Wo ist Ihre Forschung an der Universität oder in der Stadt Bamberg anschlussfähig?
Ich möchte mir gerne das Smart City-Projekt genauer anschauen und bin gespannt auf die Menschen, die da mitmachen. Bestimmt gibt es auch partizipatorische Veranstaltungen, die den Stadtraum verändern. Da würde ich mit meiner Forschung gut dazu passen. Einen weiteren Anknüpfungspunkt sehe ich beim Digitalen Gründungszentrum LAGARDE1. Außerdem würde ich sehr gerne eine Talk-Reihe veranstalten, zu der ich verschiedene Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Urban HCI und Interaction Design einladen möchte, um in Bamberg für das Thema zu sensibilisieren. Die Talks sollen an Orten stattfinden, die eine bestimmte Erlebnisqualität haben – vielleicht in einem Parkhaus, dem Hafen, unter einer der vielen Bamberger Brücken oder im Kesselhaus.
Wie war Ihr erster Eindruck von der Stadt und Universität Bamberg?
Als ich damals frisch nach Berlin gezogen bin, bin ich bei einer Mitfahrgelegenheit aus dem Auto gestiegen. Ein Fahrradfahrer hat mich angespuckt, weil ich kurz auf dem Fahrradweg stand. Berlin ist um einiges rauer. Drei durch Diebstahl verlorene Fahrräder und ein abgetretener Autospiegel lassen einen unmittelbar erleben, wie eine Großstadt weitaus mehr Probleme hat als Mittelstädte wie Bamberg. Das wird mir hier in Bamberg hoffentlich nicht passieren, denn ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass die Leute hier sehr freundlich sind – sowohl in der Stadt als auch an der Uni. Als ich zum ersten Mal an der WIAI war, sind mir vor allem die weißen Wände aufgefallen, die keinerlei Reaktion provozieren. Das fand ich krass. Das Gute ist, dass die ERBA so noch Platz zum Gestalten bietet.
Welcher Weg hat Sie nach Bamberg geführt?
Mein Weg war alles andere als geradlinig. Eigentlich war ich – außer in Weimar – an keinem Ort länger als drei Jahre. Studiert habe ich Medieninformatik in Friedberg zu einem Zeitpunkt als die Informatik interdisziplinär wurde und es die ersten sogenannten Bindestrich-Studiengänge gab. Meine Abschlussarbeit habe ich im Bereich Media Asset Management in München geschrieben. Nach dem Diplomstudiengang habe ich einen Masterstudiengang in Computer Science in Köln angeschlossen und meine Abschlussarbeit am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik geschrieben. Dort kam ich zum ersten Mal mit HCI in Berührung. Zu der Zeit habe ich außerdem eine Weile in Sydney studiert und dort mitbekommen, wie Künstler*innen und Computerwissenschaftler*innen zusammenarbeiten. Das hat mich fasziniert. Für die Promotion ging es nach Glasgow und Weimar – Zwischenzeitlich zu Microsoft Research nach Cambridge. Danach war ich am Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung in Berlin beteiligt und habe dort Hologramm-basierende Nutzererlebnisse entwickelt und erforscht. Zudem hatte ich verschiedene Lehraufträge und habe freiberuflich als unabhängiger Wissenschaftler und Entwickler gearbeitet.
Apropos Lehre: Warum sollte man heute Ihr Fach studieren?
Um Spaß zu haben! Denn wir materialisieren Wissen und Erkenntnisse durch praktische Designarbeit.
Und was ist Ihnen in der Lehre besonders wichtig?
Viele Projekte, die ich auch in Lehrveranstaltungen durchführe, sind teambasiert. Es ist also nicht so, dass jeder für sich selbst am Projekt arbeitet und schaut, dass er besser ist als die anderen. Stattdessen sollen die Studierenden im Team an einem Strang ziehen. Mir ist außerdem wichtig, Forschung mit Lehre zu verbinden. Denn die Forschung braucht meiner Meinung nach die Lehre und umgekehrt.
Vielen Dank für das Interview!