Eigentlich fing die Karriere von Prof. Dr. Philipp Sprengholz in einem ganz anderen Bereich an – nämlich in der Industrie. Seit Mai 2023 hat er die Juniorprofessur für Gesundheitspsychologie an der Universität Bamberg inne. Aus der Wissenschaft will er so bald nicht wieder weg. Welcher Weg ihn nach Bamberg geführt hat, was er für seine Arbeit in der Wissenschaft aus seiner vorherigen Tätigkeit in der Industrie mitnehmen konnte und was ihm in der Lehre wichtig ist, erzählt er im Interview.
Welcher Weg hat Sie nach Bamberg geführt?
Philipp Sprengholz: Ich glaube, dass sich Karrierewege nicht wirklich planen lassen. Dementsprechend ist es purer Zufall, dass ich jetzt in Bamberg bin. Ursprünglich habe ich Wirtschaftsingenieurwesen in Jena studiert und dann viele Jahre im Bereich der Mikroskopentwicklung gearbeitet. Das fand ich aber nie so richtig spannend und habe deshalb nebenbei ein Psychologiestudium aufgenommen, einen Bachelor an der Fernuniversität in Hagen und einen Master in Jena gemacht. Als ich 2018 damit fertig wurde, habe ich überlegt, wie es weitergehen könnte. Ich wollte gern in die Wissenschaft, fand aber nicht direkt eine Promotionsstelle und den gut bezahlten Job in der Industrie wollte ich auch nicht sofort aufgeben. Durch Zufall bin ich auf Cornelia Betsch von der Uni Erfurt gestoßen. Sie erforschte damals vor allem Impfentscheidungen, das fand ich spannend und bot meine unentgeltliche Unterstützung an. Sie nahm mich in ihre Arbeitsgruppe auf und als uns 2020 die Pandemie überrollte, bekamen wir genügend Fördermittel für eine richtige Promotionsstelle. Ich weiß noch, wie ich an meinem Geburtstag gekündigt und den Arbeitsvertrag bei der Uni unterschrieben habe. Dann ging alles sehr schnell. Meine Promotion über Anreize zur Steigerung der Impfbereitschaft konnte ich in kurzer Zeit fertig stellen und als ich sah, dass in Bamberg eine neue Juniorprofessur für Gesundheitspsychologie besetzt werden sollte, entschied ich mich zur Bewerbung. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich die Stelle bekommen habe. Ich freue mich riesig, in der Wissenschaft angekommen zu sein, trotz oder gerade wegen der Umwege. Und da will ich jetzt auch bleiben.
Konnten Sie aus der Zeit in der Industrie etwas mit in Ihren jetzigen Job nehmen?
In der Industrie muss man oft termingebunden arbeiten. Das ist in der Wissenschaft nicht immer so. Klar hat man Fernziele, aber den Weg dorthin muss man selbst finden. Da kann es schnell passieren, dass man sich verfranzt, dass man den roten Faden oder die Motivation verliert. Ich denke, durch meine Zeit in der Industrie kann ich Stringenz in meine Arbeit in der Wissenschaft bringen.
Konnten Sie auch inhaltlich etwas mitnehmen?
Vorher habe ich mich viel mit Softwareentwicklung beschäftigt. Bei Psychologie denkt man vielleicht nicht unmittelbar an Software, aber die braucht man, um zum Beispiel Experimente zu programmieren oder Daten auszuwerten. Außerdem erleichtert mir das Vorwissen die Kommunikation mit anderen Fächern. Wenn man zum Beispiel eine komplexere Studie gemeinsam mit der Informatik plant und auf virtuelle Realität oder künstliche Intelligenz zurückgreifen will, dann ist es gut, wenn man ein ähnliches Vokabular kennt.
Zu welchen Themen forschen Sie?
In der Gesundheitspsychologie geht es im Kern darum, Gesundheitsverhalten zu verstehen, zu erklären und am Ende auch zu verändern. Ich versuche herauszufinden, warum Menschen sich ungesund verhalten und was man dagegen tun kann. Ein Beispiel: Befunde aus der Medizin legen nahe, dass wir möglichst wenig Fleisch essen sollten. In Deutschland liegt der durchschnittliche Fleischkonsum aber weit über den empfohlenen Verzehrsmengen. Aus gesundheitspsychologischer Sicht stellt sich zunächst die Frage, wieso das so ist. Liegt es an mangelndem Wissen, verzerrter Risikowahrnehmung, unserem sozialen Umfeld oder ganz praktischen Barrieren wie etwa zu hohen Preisen für pflanzliche Alternativen? Das können wir wissenschaftlich untersuchen. Sobald die Gründe für ein bestimmtes Verhalten klar sind, versuchen wir, diese zu adressieren. Zum Beispiel indem wir Informationskampagnen für weniger Fleischkonsum entwickeln oder politischen Entscheidungsträgern zu strukturellen Veränderungen wie Steuersenkungen auf pflanzliche Lebensmittel raten.
Können Sie von einem aktuellen Forschungsprojekt berichten?
Ich beschäftige mich aktuell mit verschiedenen Themen. Ein Phänomen, das ich besonders spannend finde, ist psychologische Reaktanz. Darunter fallen Trotzreaktionen, die Menschen zeigen, wenn sie das Gefühl haben, dass Ihre Entscheidungsfreiheit bedroht wird. Das Phänomen lässt sich wieder gut am Fleischkonsum verdeutlichen: Wenn wir Menschen dazu auffordern, weniger Fleisch zu konsumieren, reagieren sie häufig verärgert und nehmen die gut gemeinten Ratschläge nicht an, manchmal konsumieren sie dann aus Trotz sogar noch mehr Fleisch. Mich interessiert einerseits, wie psychologische Reaktanz genau funktioniert. So habe ich gerade mit Forscherinnen aus Erfurt untersucht, wie Verärgerungen durch Appelle für weniger Fleischkonsum Aufmerksamkeitsprozesse verändern und damit Fleischkonsum unbeabsichtigt erleichtern. Darüber hinaus will ich in Zukunft stärker erforschen, wie Reaktanz langfristig wirkt und wie sie effektiv reduziert werden kann. Ein anderes Thema, das mich in diesen Sommermonaten umtreibt, ist gesundes Verhalten bei Hitze. Die Zahl der Hitzewellen und Hitzekrankheiten hat in den vergangenen Jahren infolge des Klimawandels deutlich zugenommen. Kürzlich durchgeführte Umfragen zeigen, dass viele Menschen ihr Verhalten an heißen Tagen aber kaum anpassen. In einem Projekt mit anderen Forschenden wollen wir herausfinden, warum das so ist. Wir wollen zunächst alle wichtigen Faktoren identifizieren, die hitzeangepasstem Verhalten entgegenstehen. Liegt es an mangelndem Wissen über Hitze, ihre Auswirkungen und richtiges Verhalten an Hitzetagen oder an äußeren Faktoren, etwa starren Arbeitskontexten, die die Umgehung heißer Temperaturen für bestimmte Personengruppen unmöglich machen? Darauf aufbauend wollen wir Ideen für konkrete Maßnahmen zur Reduzierung von Hitzerisiken entwickeln und testen. Dabei kann es sich um einfaches Informationsmaterial handeln oder Vorschläge für strukturelle Veränderungen, zum Beispiel in der Arbeitswelt oder im Stadtbild.
Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte mit anderen Forschenden in Bamberg?
Ich bin noch ganz neu und fange langsam an, Kontakte zu knüpfen. Bamberg hat einen starken Fokus auf Bildungswissenschaften, hier ergeben sich sicher Anknüpfungspunkte, beispielsweise wenn es um Gesundheitsbildung bei Kindern oder Gesundheitsförderung bei Lehrer*innen geht. In den letzten Jahren haben wir uns in der Gesundheitspsychologie viel mit Falschinformationen und ihren verheerenden Wirkungen auf gesundes Verhalten beschäftigt. Dabei wurden auch Techniken und Werkzeuge entwickelt, die Bürger*innen einsetzen können, um Falschinformationen in ihrem Umfeld zu erkennen und zu korrigieren. Ich fände es sehr spannend, solche Werkzeuge für Kinder und Lehrkräfte weiterzuentwickeln und zu evaluieren. Darüber hinaus habe ich erste Kontakte zur Informatik geknüpft. Für die Umsetzung komplexer Experimente im Themenfeld digitaler Gesundheit sitzen dort einige Experten. Außerdem bin ich mit der Soziologie im Austausch. Dort beschäftigt man sich auch mit Gesundheitsfragstellungen, aber weniger auf einer individuellen, psychologischen Ebene. Stattdessen wird ein gesamtgesellschaftlicher Blickwinkel eingenommen, mit dem beispielsweise auch Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit untersucht werden. Diesen Blickwinkel finde ich sehr spannend. Ich denke in den kommenden Jahren werden sich viele Kooperationsmöglichkeiten ergeben.
Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?
Ich möchte Studierenden Lust auf Gesundheitsthemen machen und mit ihnen gemeinsam an wichtigen aktuellen Fragestellungen forschen. Die Gesundheitspsychologie wird im Vergleich zu anderen psychologischen Disziplinen leicht übersehen, ist aus meiner Sicht aber besonders interessant, weil sie psychologische Forschung in die Anwendung bringt und damit zur Gesundheit aller beitragen will. Auch wenn es etwas abgedroschen klingt, Gesundheit ist das wichtigste Gut, das wir alle haben. Wir alle wollen nicht nur nicht krank sein, sondern uns auch wohl, gebraucht und eingebunden fühlen. In der Gesundheitspsychologie geht es letztendlich genau darum: Was ist nötig, damit Menschen sich gesund fühlen und gesund sind.
Vielen Dank für das Interview!