Englische Literaturwissenschaft: Von der Frühen Neuzeit bis zu zeitgenössischer Kultur

Die neue Professorin Susanne Gruß stellt sich und ihre Forschungsinteressen vor

Prof. Dr. Susanne Gruß
  • Menschen
  •  
  • 01.10.2024
  •  
  • Hannah Fischer
  •  
  • Lesedauer: 8 Minuten

Prof. Dr. Susanne Gruß hat seit April 2024 den Lehrstuhl für Englische Literaturwissenschaft inne und ist damit die Nachfolgerin von Prof. Dr. Christoph Houswitschka. Ihr Werdegang führte sie quer durch Deutschland, bis sie jetzt in Bamberg gelandet ist. Sie bringt vor allem Expertise über die Frühe Neuzeit und zeitgenössische britische Literatur und Kultur mit. Im Interview spricht sie unter anderem über ihren Weg nach Bamberg, ihre Forschungsinteressen und wie ihr ihre beiden Töchter dabei helfen, nach einem anstrengenden Arbeitstag abzuschalten.

Liebe Frau Gruß, welcher Weg hat Sie nach Bamberg geführt?

Susanne Gruß: Ich war in den vergangenen Jahren viel an großen Universitäten beschäftigt. In Erlangen habe ich promoviert und mich habilitiert. Anschließend war ich als Vertretungsprofessorin in Frankfurt am Main, Passau und Bonn. Meine erste Professur habe ich dann an der Universität zu Köln übernommen, einer wirklich großen Universität, die eine gewisse Anonymität mit sich bringt. In Bamberg schätze ich jetzt die kurzen Wege – nicht nur in der Stadt, sondern zu Kolleginnen und Kollegen oder ins Dekanat. Ich freue mich auch über die größere Nähe zu den Studierenden. Als gebürtige Mittelfränkin kannte ich Bamberg bisher nur als Touristin und lerne Stadt und Leute jetzt immer besser kennen. Was mir besonders positiv aufgefallen ist: Ich bin bisher noch an keiner Universität so herzlich empfangen worden wie hier und habe den Eindruck, dass die Kommunikationskultur in Bamberg generell ausgesprochen freundlich ist.

Wo liegen Ihre Forschungsschwerpunkte?

Ich konzentriere mich vor allem auf zwei große Forschungsbereiche. Das ist zum einen die Frühe Neuzeit, in der ich mich aber nicht ausschließlich – wie man vielleicht erwarten könnte – mit Shakespeare auseinandersetze, sondern sehr viel mit seinen Zeitgenossen. Ich frage mich zum Beispiel: Warum ist Shakespeare nach wie vor so stark kanonisiert und andere Dramatiker nicht oder deutlicher weniger? Wie sieht Populärkultur in der Frühen Neuzeit aus und wie kann man Shakespeare und sein Theater hier neben anderen Autoren verorten? Davon ausgehend habe ich mir weitere populärkulturelle Themengebiete in der Frühen Neuzeit erarbeitet: Aktuell arbeite ich an Projekten zu frühneuzeitlichen Piraten und zu kollaborativer Autorschaft im Theater. 

Mein zweiter Schwerpunkt sind die zeitgenössische britische Literatur und Kultur. Ich setze mich damit auseinander, wie Darstellungen der Vergangenheit in zeitgenössischen Romanen funktionieren. Insbesondere geht es mir dabei um die Darstellung des 19. Jahrhunderts in sogenannten neoviktorianischen Texten, im Moment sehe ich mir außerdem Hexenfiguren in historischen Romanen an. Aus theoretischer Perspektive sind für mich nach wie vor die Gender und Queer Studies zentral. In meiner Dissertation habe ich mich mit zwei feministischen Autorinnen befasst und das Thema begleitet mich weiter – in Köln hatte ich eine Professur mit einer Teildenomination in den Gender and Queer Studies inne. Gender spielt zwar nicht mehr durchgängig die wichtigste Rolle in meiner Forschung, aber es schwingt als Analysekategorie immer mit. Zudem beschäftigen mich im Moment ökokritische und Nachhaltigkeitsfragen. Ich untersuche beispielsweise, wie Pilze und Pilzstrukturen in zeitgenössischer Literatur oder etwa auch in Horrorfilmen verhandelt werden. 

Können Sie von einem aktuellen Forschungsprojekt berichten?

Mit einer Kollegin aus Luxemburg möchte ich ein Projekt zu Kollaborationsformen auf der frühneuzeitlichen Bühne starten. Mit unserem Forschungsprojekt wollen wir die nach wie vor gängige Vorstellung, dass Theaterstücke oder auch Romane immer nur einen Autor oder eine Autorin haben, hinterfragen und den Autorschaftsbegriff erweitern. Selbst Personen, von denen wir denken, dass sie geniale Einzelautoren waren – wie zum Beispiel Shakespeare – arbeiteten immer kollaborativ. Das wissen wir bei Shakespeare schon seit Langem: Er hat mit anderen Autoren zusammengearbeitet, für bestimmte Theaterhäuser geschrieben, Rollen für spezifische Schauspieler geschrieben oder auch Dramen von Zeitgenossen überarbeitet. 

Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?

Ich wünsche mir, dass die Studierenden lernen, immer eigenständiger zu werden und ein kritisches Selbstbewusstsein aufzubauen je länger sie studieren. Das versuche ich auch didaktisch in meinen Kursen umzusetzen. Außerdem will ich Studierende dafür sensibilisieren, in Texten Ideologien aufzuspüren, die kontextualisiert und hinterfragt werden müssen; das gilt auch für die blinden Flecken, die bei der Kanonisierung von Autorinnen und Autoren oder Texten entstehen. Shakespeare habe ich hier als prominentes Beispiel ja bereits genannt. Mir begegnen ganz oft Studierende, die außer ihm keinen einzigen anderen Dramatiker der Frühen Neuzeit kennen. Aus meinen Kursen kommen sie hoffentlich mit dem Wissen heraus: Shakespeare war einer von ganz vielen Autoren, aber eben nicht unbedingt der größte und beste. 

Warum sollte man heute Anglistik studieren?

Anglistik und Amerikanistik sind nach wie vor zentral für Studierende, die sich für ein Verständnis von Populärkultur und die Vermittlung von Literatur, Kultur und Kulturgeschichte interessieren. Aktuell fängt außerdem eine Generation an zu studieren, die ein sehr großes Interesse an Fragestellungen rund um Gender und Identitätsbildung hat. Theorie- und Begriffsbildung in diesen Bereichen kommt sehr häufig aus Großbritannien oder den USA. Das nehmen auch Schülerinnen und Schüler bereits wahr. Bei uns lernen sie dann als Studierende, die politischen und kulturellen Kontexte zu verstehen, aus denen diese Theorien hervorgegangen sind. 

Warum haben Sie selbst Anglistik studiert?

Ursprünglich habe ich zwar Lehramt für Deutsch und Englisch studiert, wollte als Tochter eines Lehrers aber selbst nie Lehrerin werden. Deshalb habe ich gleichzeitig einen Magister gemacht, um mir mehr berufliche Optionen offenzuhalten. Im Studium und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin habe ich dann sehr schnell festgestellt, dass mir neben der Liebe für englische Literatur und Kultur und deren Erforschung das Unterrichten auf universitärer Ebene sehr viel Spaß macht. Die Auseinandersetzung mit jungen Erwachsenen auf einem höheren inhaltlichen Niveau ist eben doch etwas anderes als das Unterrichten an einer Schule, auch weil die Motivation der Studierenden, Kurse zu besuchen, im Idealfall ein genuin intrinsisches Interesse am Fach ist.

Was hilft Ihnen, nach einem langen Tag an der Universität abzuschalten?

Ich merke, dass Familie – und in meinem Fall zwei Töchter – einen durchaus dazu zwingt, abzuschalten. Es muss Wochenenden geben, es muss Urlaub geben, in dem man für die Arbeit nicht verfügbar sein kann, weil die Kinder das zu Recht einfordern. Das schätze ich sehr. Ein gutes Buch oder eine spannende Serie helfen aber natürlich auch, abzuschalten.

Vielen Dank für das Gespräch!

nach oben
Seite 167843, aktualisiert 01.10.2024