Anne-Katrin Holfelder: „Universitäten sind keine Elfenbeintürme“

Bildung für nachhaltige Entwicklung steht im Zentrum von Forschung und Lehre der neuen Professorin. Der Transfergedanke ist ihr dabei ein wichtiges Anliegen.

Porträt Anne-Katrin Holfelder
  • Menschen
  •  
  • 16.08.2024
  •  
  • Hannah Fischer
  •  
  • Lesedauer: 6 Minuten

Prof. Dr. Anne-Katrin Holfelder hat seit März 2024 die neu geschaffene Professur für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an der Universität Bamberg inne. In dieser kurzen Zeit hat sie bereits bedeutende Initiativen begleitet oder angestoßen, darunter das Bildungszertifikat Nachhaltige Entwicklung und einen neuen Studienschwerpunkt in der Pädagogik. Beides startet im Wintersemester 2024/25. Im Interview gibt Anne-Katrin Holfelder unter anderem Einblicke in ihre bisherige Forschung und erläutert, warum ihr gerade der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Bevölkerung und die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren besonders wichtig sind.

Sie sind erst seit ein paar Monaten in Bamberg, liebe Frau Holfelder. In der Zeit haben Sie schon viel angestoßen – ich denke dabei an das Bildungszertifikat Nachhaltige Entwicklung und an den neuen Pädagogik-Schwerpunkt. Was hat es damit auf sich?

Anne-Katrin Holfelder: Bislang konnten Pädagogikstudierende im Bachelor zwischen drei Schwerpunkten wählen. Der neue Schwerpunkt „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ hat zwei Besonderheiten: Einerseits sollen die Studierenden selbst Projekte durchführen – auch mit nicht-universitären Akteuren aus Schule und Zivilgesellschaft. Ich denke dabei etwa an die nachhaltige Umgestaltung von Mensaangeboten in Kooperation mit lokalen Landwirtinnen und Landwirten oder auch an Initiativen, die Akteure in Bamberg und Umgebung zum Thema Nachhaltigkeit ins Gespräch bringen. Die zweite Besonderheit ist die Interdisziplinarität. Die Studierenden können die „Diskurswerkstatt: Nachhaltige Entwicklung interdisziplinär!“ besuchen und dort alle möglichen Themen rund um Nachhaltigkeit kennenlernen – sei es Energiegewinnung, Mediennutzung oder Tierhaltung – und die Bamberger Forschung dazu. Die Diskurswerkstatt ist auch Teil des „Bildungszertifikats Nachhaltige Entwicklung“, das ebenfalls zum Wintersemester 2024/25 startet. Es richtet sich an alle Studierenden, die sich für Aufgaben der nachhaltigen Entwicklung qualifizieren wollen. Die Diskurswerkstatt ist für alle interessierten Personen aus Stadt und Landkreis Bamberg offen. Dort werden sich auch lokale Initiativen rund um Nachhaltigkeit vorstellen.

Der Transfergedanke scheint Ihnen ein großes Anliegen zu sein.

Ja, auf jeden Fall. Universitäten sind keine Elfenbeintürme. In Bezug auf Nachhaltigkeit muss es meiner Meinung nach darum gehen, dass wir mit Akteuren vor Ort ins Gespräch kommen, wissenschaftliche Ergebnisse diskutieren und schauen, wie diese in der konkreten Lebenswelt umgesetzt werden können und umgekehrt auch, ob es Themen gibt, die Forschende total vergessen. Dazu sind bei der Diskurswerkstatt alle eingeladen.

Wie sind Sie nach Bamberg gekommen?

Es war lange Zeit so, dass BNE aus Einzeldisziplinen wie beispielsweise Geographiedidaktik oder Biologiedidaktik heraus beforscht wurde. Eine interdisziplinäre Herangehensweise gab es weniger, was meiner Meinung nach ein großes Manko ist. Bamberg war mir mit Prof. Dr. Annette Scheunpflug, die das Globale Lernen schon früh stark vorangetrieben hat, ein Begriff. Bamberg ist jetzt eine der wenigen Universitäten, die eine Professur haben, die explizit auf BNE ausgerichtet ist.

Wo liegen Ihre Forschungsschwerpunkte?

Ursprünglich habe ich Biochemie studiert und habe aber schnell gemerkt, dass mir das zu kleinteilig ist und ich mich eher für größere Zusammenhänge und Bildungsfragen interessiere. Deshalb habe ich zu Lehramt Biologie und Chemie gewechselt. Meine Promotion war in der Biologiedidaktik im Themenbereich BNE/Umweltbildung angesiedelt. Ich kenne also beide Welten – die sozialwissenschaftliche und die naturwissenschaftliche. Ich beschäftige mich im Rahmen von BNE mit implizitem, handlungsleitendem Wissen. In meiner Dissertation habe ich zum Beispiel danach gefragt, wie sich Jugendliche in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen orientieren. Welche Aspekte sind bei dieser komplexen Thematik handlungsleitend – also etwa beim Kleidungskonsum oder Lebensmitteleinkauf? Meine Erkenntnis ist, dass Jugendliche ein sehr hohes Bewusstsein für diese Themen haben. Sie nehmen sich selbst aber nicht als handlungswirksam wahr in Bezug auf die Gestaltung gesellschaftlicher Zukunft. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass sie das Wissen im Alltag nicht umsetzen. Gesellschaftliche Zukunft wird als etwas wahrgenommen, das schon geschrieben ist – eine Geschichte, die schon erzählt ist: nämlich, dass wir den Klimawandel nicht mehr bekämpfen können. In diesem Narrativ bleibt sehr wenig Gestaltungsspielraum.

Was kann man tun, damit sich Jugendliche als handlungswirksam sehen?

Ich plädiere immer dafür, dass Pädagogik und Bildung allgemein die heranwachsende Generation dazu befähigen muss, gesellschaftliche Zukunft mitzugestalten. Es geht eben nicht nur darum, bestimmtes Wissen etwa über den Klimawandel zu vermitteln und zu zeigen, was man vielleicht als Individuum dagegen machen kann. BNE muss Individuen dazu befähigen, zu partizipieren, vorherrschende Strukturen kritisch zu hinterfragen und die Offenheit zu haben, diese ändern zu wollen. In Bezug auf die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Zukunft schaue ich mir zum Beispiel in einem Projekt an, ob es Alternativen gibt, Zukunft anders zu erzählen, also auch als Chance zur Gestaltung. Das Projekt möchte ich hier in Bamberg weiterverfolgen.

Beschäftigen Sie sich auch mit der Lehrkräftebildung?

Ja, ich habe zum Beispiel eine Studie mit Lehrkräften durchgeführt, in der ich danach gefragt habe, wie Lehrerinnen und Lehrer mit der großen Ungewissheit und Unsicherheit, die der Gegenstand Nachhaltigkeit im Unterricht an sich schon mit sich bringt, umgehen. Ein festes Rezeptwissen gibt es in der Pädagogik sowieso nicht und in Bezug auf Nachhaltigkeit ebenfalls nicht. Dabei habe ich unter anderem festgestellt, dass eine Umgangsweise damit ist, dass sich klassische Rollenbilder, also die Lehrkraft als allein wissende Person, auflösen und gemeinsam Wege entwickelt werden müssen.

Haben Sie schon Pläne für weitere Forschung?

In Zukunft möchte ich mich weiter damit beschäftigen, wie Zukunft kreativer gedacht werden kann. Außerdem würde ich mich gerne mit der Verantwortung gegenüber der nicht-menschlichen Mitwelt und gegenüber zukünftigen Generationen auseinandersetzen. Die Kernfrage von Nachhaltigkeit ist ja jene nach der Gerechtigkeit zwischen den heute und den in der Zukunft lebenden Generationen. Ich frage mich, wie man diese zukünftigen Generationen, die sehr abstrakt sind, durch pädagogische Projekte nahbarer machen kann.

Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?

Mir ist wichtig, dass die Studierenden verstehen, dass Pädagogik kein Rezeptwissen ist. Sie werden also nicht aus der Universität ins Berufsleben starten und genau wissen, wie man sich in jeder Situation verhält. Damit ist verbunden, eine Reflexionsfähigkeit zu fördern – sowohl gegenüber dem eigenen Handeln als auch gegenüber der eigenen Herkunft, den eigenen Werte und Normen. Auf das Thema Nachhaltigkeit bezogen, ist mir wichtig, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Natürlich gibt es konkrete Änderungsmöglichkeiten, um unser Leben nachhaltiger zu gestalten. Aber damit ist das Nachhaltigkeitsproblem in der Gesellschaft nicht gelöst. Das Ziel muss sein, dass die Menschen verstehen, dass sich Strukturen ändern müssen und, dass jedes Individuum an dieser Veränderung beteiligt sein kann. Und da geht es eben nicht um privaten Konsum.

Vielen Dank für das Gespräch!

nach oben
Seite 167052, aktualisiert 14.08.2024