Er bringt dem Computer bei, zwischen den Zeilen zu lesen

Roman Klinger ist neuer Professor für Grundlagen der Sprachverarbeitung

Porträt Roman Klinger
  • Menschen
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  • 23.04.2024
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  • Hannah Fischer
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  • Lesedauer: 6 Minuten

Prof. Dr. Roman Klinger hat seit März 2024 den Lehrstuhl für Grundlagen der Sprachverarbeitung an der Universität Bamberg inne. Er beschäftigt sich mit Natural Language Processing, also der Verarbeitung natürlicher Sprache, als Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz und arbeitet dabei mit informatischen Verfahren, um die Bedeutung von Texten automatisiert erfassen und interpretieren zu können. Dabei geht es nicht nur um Fakten aus dem Text, sondern auch um implizite Komponenten, die darüber transportiert werden – etwa Emotionen. Seine Erkenntnisse können nicht nur in der Informatik, sondern beispielsweise auch in den Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaften nützlich sein. Im Interview erzählt er mehr dazu, wie und warum er dem Computer beibringt, zwischen den Zeilen zu lesen.

Lieber Herr Klinger, Sie sind jetzt Professor in Bamberg. Welcher Weg hat Sie hierher geführt?

Roman Klinger: Ich bin in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. In Dortmund habe ich Informatik und Psychologie studiert und anschließend in St. Augustin beim Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen (SCAI) promoviert. NRW war für mich lange Zeit die Welt und ich mag das Bundesland nach wie vor. Stuttgart ist gewissermaßen dafür verantwortlich, dass ich nach Süddeutschland gekommen bin, weil die Stadt seit Jahrzehnten ein wichtiges Zentrum für meinen Forschungsbereich ist. Ich habe mich dort 2020 habilitiert. Meine Entscheidung, nach Bamberg zu kommen, hängt sicher mit der Hightech Agenda des Freistaats zusammen – es waren in ganz Bayern eine Reihe von Professuren ausgeschrieben. In Bamberg sehe ich eine hohe Passgenauigkeit meiner Themen auf jene in der Bamberger Informatik allgemein, aber auch anderer Fächer. 

Welche Anknüpfungspunkte mit den Fächern in der Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik (WIAI) und den Fächern anderer Fakultäten sehen Sie konkret? 

Eigentlich bin ich ja aufgrund meiner Ausbildung Informatiker. Ich habe mich im Laufe der Zeit zunehmend mit Texten beschäftigt. Die Kernfrage ist: Warum verarbeiten wir eigentlich Text? Das kann man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler als Selbstzweck machen mit der Frage danach, wie Sprache funktioniert. Dem liegt wiederum das Interesse zugrunde, was Sprache und Text sind. Damit entsteht eine Schnittstelle zur Linguistik. Eine weitere Frage wäre: Warum generieren wir Sprache und Text? – Weil wir mit anderen Menschen kommunizieren und so interagieren wollen. Hier zeigt sich die Schnittstelle zur Psychologie. Vieles von dem, was wir kommunizieren, hat Relevanz für unser soziales Gefüge. Daraus ergibt sich die Schnittstelle zu den Sozialwissenschaften. All diese genannten Disziplinen gibt es in Bamberg. Ich möchte hier Grundlagenforschung betreiben, aber immer getrieben durch die verschiedenen Anwendungsbereiche. Bamberg ist also ein hervorragendes Umfeld, in das ich mich sehr natürlich einfüge. 

Inwiefern ist Ihre Forschung umgekehrt für Psychologie, Sozial- und Geisteswissenschaften wichtig?

Wir modellieren zum Beispiel, wie sich psychologische Konzepte in Text und Sprache wiederspiegeln. Emotionen wären so ein Konzept, das mich beschäftigt. Wie drücken Menschen Emotionen aus? Und wie können Computer menschliche Emotionen erkennen? Das ist gar nicht so einfach. Denn häufig sagen wir ja nicht explizit, was unsere momentanen Emotionen sind – sie schwingen implizit im Gesagten mit. Wenn Sie mich zum Beispiel fragen, wie es mir geht, und ich Ihnen antworte, dass mein Hund gestern gestorben ist, dann wissen Sie ganz genau, wie es mir geht. Wir versuchen, Texte hinsichtlich ihres emotionalen Inhalts automatisch zu analysieren und bringen dem Computer sozusagen bei, zwischen den Zeilen zu lesen. So kann man wunderbar Fragestellungen aus der Literaturwissenschaft automatisiert beantworten: Was sind zum Beispiel die emotionalen Komponenten einer Romanfigur? Aber man könnte auch mithilfe von Social Media auswerten, wovor Menschen in verschiedenen Ländern Angst haben. Das wäre für Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler interessant. Mit den Informationen könnte man sogar Warnsysteme bauen oder die Datenerhebungen für den Human Happiness Report automatisieren, der jährlich die Lebenszufriedenheit in den Ländern der Welt erfasst.

Emotionen sind ein sehr breites Konzept. Da gibt es sicher viel zu untersuchen.

Ja, in dem Bereich haben wir mehrere Forschungsprojekte. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Emotionen Einfluss darauf haben können, wie überzeugend ein Argument ist. Das kann man sich auf positive, aber auch auf negative Art und Weise zu Nutze machen. Im Projekt „EMCONA“ wollen wir ein System bauen, das emotionale Aspekte aus Argumenten automatisch entfernt, sodass das Kernargument übrigbleibt. Wenn das Projekt abgeschlossen ist, können unsere Erkenntnisse etwa dafür genutzt werden, um Warnsysteme in soziale Medien zu integrieren, die Nutzerinnen und Nutzer vor Beeinflussung mit Hilfe von Emotionen warnen, wie es populistische Akteure häufig tun. In einem anderen Projekt untersuchen wir, warum und wie Menschen Bilder in sozialen Medien nutzen, um Emotionen auszudrücken. Brauchen wir die Bilder überhaupt, um die Emotionen zu verstehen? Reicht vielleicht auch der dazugehörige Text?

Es gibt aber ja auch eine explizite Ebene in Texten. Untersuchen Sie diese auch?

Na klar. Damit beschäftigen wir uns beispielsweise im biomedizinischen Kontext. Die Frage ist dabei: Wie kann ich das Wissen, das in wissenschaftlichen Publikationen genannt ist, automatisch aus dem Text extrahieren? Wir können zum Beispiel automatisiert alle chemischen Komponenten, die gemeinsam mit einer bestimmten körperlichen Beschwerde genannt werden, herausfiltern und anschließend Hypothesen bilden, ob dazwischen ein Zusammenhang besteht. Das gleiche können wir auch mit Social Media-Posts machen. In Kombination wollen wir die Methode nutzen, um sogenanntes automatisches Faktenchecken zu betreiben. Wir vergleichen das, was auf Social Media geschrieben wird, mit dem, was in etablierten Quellen zu finden ist. So können Falschinformationen entdeckt und widerlegt werden.

Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?

Mir ist wichtig, dass die Studierenden verstehen, dass wir Wissenschaft betreiben – da gibt es keine Beliebigkeit, kein Glauben und keine Meinung. Es geht um Wissen. Wir bilden parallel für Wissenschaft und Industrie aus. Den Schwerpunkt sehe ich jedoch in der Wissenschaft. Ich bin dementsprechend der Überzeugung, dass wir als Hochschullehrerinnen und -lehrer nicht konkrete Fertigkeiten beibringen müssen, sondern ein generelles Verständnis für Methoden, welches sich dann in die Praxis überführen lässt. Zudem ist mir wichtig, dass wir offen sind hin zu anderen Fächern, denn Forschungsfragen müssen getrieben sein von allen möglichen Bereichen der Gesellschaft. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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Seite 164700, aktualisiert 23.04.2024