Die Welt der Klänge vermessen

Jakob Abeßer, neuer Professor für Computational Humanities, verbindet Informatik und Akustik, um Klanglandschaften wissenschaftlich zu erschließen

Prof. Dr. Jakob Abeßer
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  • 24.11.2025
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  • Hannah Fischer
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  • Lesedauer: 5 Minuten

Prof. Dr. Jakob Abeßer ist seit dem Wintersemester 2025/26 neu an der Universität Bamberg. Sein Fachgebiet sind die Computational Humanities – ein Schnittfeld zwischen Informatik und Geisteswissenschaften. Der Ingenieurinformatiker bringt vielfältige Erfahrungen aus der angewandten Forschung am Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT in Ilmenau mit und beschäftigt sich mit Musikinformatik, Soundscape-Forschung, Bio- und Ökoakustik sowie Computational Auditory Scene Analysis. Was unter diesen Stichworten zu verstehen ist, erzählt er im Interview. 

Lieber Herr Abeßer, Sie haben eine Professur an der Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik inne. Womit beschäftigen Sie sich genau?

Jakob Abeßer: Die Professur trägt die Denomination „Computational Humanities“. Das ist ein weit gefasster Begriff, der den Schnittbereich zwischen Informatik und Geisteswissenschaften meint. Einer meiner Forschungsschwerpunkte, an dem sich das gut illustrieren lässt, ist die Musikinformatik – oder konkreter: Music Information Retrieval. Dabei geht es darum, Musikdaten mit Computermethoden zu analysieren. Man versucht also, aus Audioaufnahmen Informationen zu extrahieren: Zu welchem Genre gehört das Musikstück? Welche Instrumente sind zu hören? Wie ist das Tempo, die Tonart? Bis hin zu Verfahren der automatischen Musiktranskription, bei der ein Algorithmus aus einer Aufnahme wieder eine Partitur erstellt. Das ist ein faszinierendes, interdisziplinäres Feld, in dem Expertinnen und Experten aus der Informatik, Musikwissenschaft, Psychologie und Akustik zusammenarbeiten.

Haben Sie ein Beispiel für ein Forschungsprojekt aus dem Bereich Musikinformatik?

Im Rahmen eines DFG-Projekts an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar haben wir untersucht, wie sich Soli in Jazz-Improvisationen – etwa von Trompetern oder Saxophonisten – automatisiert vergleichen lassen. Wir haben dafür Jazzsoli aus dem gesamten 20. Jahrhundert analysiert. Der daraus entstandene Datensatz ist eine wertvolle Ressource für weitere Forschung. 

Sind Sie auch privat musikalisch?

Ja, ich spiele Bassgitarre und Percussioninstrumente und spiele in einer Band – allerdings hobbymäßig. Das war auch der Ausgangspunkt meines Interesses an der Musikinformatik: Ich habe gemerkt, dass man Musik und Informatik wunderbar verbinden kann.

Welche weiteren Schwerpunkte haben Sie neben der Musikinformatik?

Ein zweiter Schwerpunkt betrifft Alltags- und Umgebungsgeräusche. Dazu gehört unter anderem der Bereich der Bio- und Ökoakustik. Im EU-Projekt „Biomonitor4CAP“ versuchen wir zum Beispiel herauszufinden, wie unterschiedliche landwirtschaftliche Bewirtschaftungsformen die Biodiversität beeinflussen. Unter anderem machen wir das mithilfe akustischer Aufnahmen.

Das Thema Stadtlärm fällt ebenfalls in diesen Forschungsschwerpunkt. Dabei geht es darum, Geräusche im urbanen Raum zu erfassen und zu analysieren – also nicht nur den Schallpegel zu messen, sondern auch den Ursprung: Baustelle, Verkehr, Sirenen. Wenn man das über längere Zeit und an vielen Orten erhebt, kann man so etwas wie eine „Klanglandschaft“ einer Stadt abbilden – und mit Hilfe von Interviews herausfinden, welche Geräusche als angenehm oder belastend empfunden werden. Das hat wiederum Bezüge zu Gesundheit und Lebensqualität. 

Hatten Sie zum Thema Stadtlärm schon ein konkretes Forschungsprojekt?

Ja, wir haben zum Beispiel an der VELTINS-Arena in Gelsenkirchen akustische Sensoren installiert. Wir wollten herausfinden, wie sich Großveranstaltungen akustisch auf die Umgebung auswirken. Solche Erkenntnisse können helfen, städtebauliche Maßnahmen besser zu planen. Ich würde das Thema auch gerne in Bamberg vertiefen – zum Beispiel im Rahmen des Smart City Research Lab.

Das Smart City Research Lab ist für Ihre Forschung also ein guter Anknüpfungspunkt in Bamberg. Wo sehen Sie weitere Möglichkeiten für Zusammenarbeit – gerade auch mit den Geisteswissenschaften?

Die Digital Humanities sind ein sehr offenes Feld – viele beschäftigen sich mit Texten oder Datenbanken. Ich sehe meine Nische eher in der Audioanalyse. Damit möchte ich in Bamberg ein besonderes Profil aufbauen. Sehr gefreut hat mich, dass ich kurz nach meiner Berufung schon in ein größeres Konsortium eingebunden wurde, das sich unter Leitung von Prof. Dr. Gesine Mierke mit „Klangsphären des Mittelalters“ beschäftigt. Das ist zwar inhaltlich zum Teil ein neues Terrain für mich, aber genau das macht interdisziplinäre Kooperationen so spannend.

Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit all diesen Themen zu befassen?

Auf eine Professur gelangt man selten von heute auf morgen. Ich habe an der TU Ilmenau studiert und bin dort auf das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie aufmerksam geworden, das sich direkt auf dem Campus der Universität befindet. Zufällig habe ich erst kurz vor meiner Diplomarbeit entdeckt, dass sich das Institut auch mit Musikinformatik beschäftigt. Das Thema hat mich sofort gepackt: Wie kann man Musiksignale mit Computeralgorithmen analysieren und daraus Informationen gewinnen? Das wurde dann mein Diplomarbeitsthema, und anschließend konnte ich dort promovieren. Seitdem bin ich am Fraunhofer geblieben, mit einigen Exkursionen, etwa für einen Forschungsaufenthalt nach Finnland oder für das DFG-Projekt an die Hochschule für Musik nach Weimar. 

Zum Abschluss: Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?

In Bamberg kann ich neue Themen einbringen – insbesondere im Bereich Audio, den es hier so bisher noch nicht gab. Inhaltlich ist mir wichtig, den Studierenden zu zeigen, wie schnell sich Methoden entwickeln, gerade durch den Einfluss von Künstlicher Intelligenz. Viele Verfahren der Musik- oder Klanganalyse funktionieren heute deutlich besser als noch vor zehn Jahren. Gleichzeitig finde ich es wichtig, auch den historischen Kontext zu beleuchten – also zu verstehen, wie sich Methoden entwickelt haben und warum ältere, einfachere Ansätze oft transparenter und nachvollziehbarer sind.

Außerdem möchte ich die Studierenden früh an die Praxis heranführen. Ich plane Seminare, in denen sie selbst Tonaufnahmen machen – zum Beispiel in der Stadt oder in der Natur – und diese anschließend wissenschaftlich auswerten. Wer einmal den ganzen Forschungszyklus von der Datenerhebung bis zur Interpretation durchlaufen hat, nimmt viel mehr mit als aus reiner Theorie.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Seite 174046, aktualisiert 24.11.2025