Politik und Social Media

Ein Gespräch über die Rolle der Sozialen Medien bei der Landtagswahl 2023

Gebäude Landtag
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  • 08.02.2023
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  • Hannah Fischer
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  • Lesedauer: 9 Minuten

Facebook, Instagram, TikTok, WhatsApp, YouTube – die Zahl der Social Media-Plattformen scheint schier endlos. Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen Soziale Netzwerke nutzen und auch Unternehmen sie für ihre Marketing-Strategie gezielt einsetzen. Doch wie sieht es in der Politik aus? Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Olaf Hoffjann, Politikwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Jungherr und Politikstudent sowie Gründer des journalistischen Projekts "Politikneugedacht" León Eberhardt diskutieren darüber, welche Rolle die Sozialen Medien bei der Landtagswahl im Herbst 2023 spielen.

  • uni.kat: Haben Soziale Medien einen Einfluss auf das Wahlverhalten?
  • Jungherr: Aus Sicht der Politikwissenschaft entscheiden Kommunikationsmittel keine Wahlen. Klar, sie leisten einen Beitrag. Aber wir gehen davon aus, dass ein großer Teil der Wahlentscheidungen auf strukturellen Faktoren wie der Gruppenzugehörigkeit oder der ökonomischen Großwetterlage basiert. Digitale Werkzeuge sind eine Ergänzung zur Kernstrategie einer Kommunikationskampagne. Die Nutzung neuer und innovativer Kanäle ist nicht primär darauf ausgerichtet, Wählerstimmen zu generieren, sondern darauf, nach außen eine gute Show zu machen und nach innen, die Mobilisierung von Unterstützer* innen zu erleichtern.
  • Hoffjann: Die CSU auf TikTok ist ein Beispiel für einen solchen Schaufenstereffekt. Ich denke, dass es eher darum geht zu zeigen, dass die CSU eine moderne Partei ist. Denn die Frage ist, inwiefern sie dort eine Wählergruppe erreicht und zwar in dem Sinne, dass die Leute überhaupt volljährig und damit wahlberechtigt sind.
  • Eberhardt: Wenn 7,5 Prozent der Wählerstimmen bei der Bayernwahl auf die Generation Z fallen, dann muss sich aber auch eine CSU fragen, wie sie diese dazu bringt, sie zu wählen – und nicht zum Beispiel die Grünen. Ich denke schon, dass Social Media dabei eine Rolle spielt. Viele Politiker*innen verstehen meiner Meinung nach nicht, dass sie plattformspezifische Inhalte liefern müssen. Man kann keinen Screenshot von einem Twitterpost bei Instagram ausspielen und denken, dass das irgendeinen Nutzen hat. Einige Parteien haben sich zwar in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht professionalisiert, bei vielen vermisse ich das aber noch – vor allem bei denen, die sich ohnehin mit jüngeren Zielgruppen schwertun.
  • uni.kat: Und wie kann die Generation Z erreicht werden?
  • Eberhardt: Es braucht Kanäle, die überhaupt dafür sorgen, dass sich junge Menschen mit Politik beschäftigen. Wie schaffen wir es, dass sich in den kommenden Generationen ein Demokratieverständnis etabliert, wenn diese, zugespitzt formuliert, nur Katzen- und Tanzvideos auf TikTok schauen. Eine Möglichkeit wären Kooperationen mit Influencer*innen. Gerade bei konservativen Parteien herrscht aber immer noch die Angst vor, dass man dabei schlecht wegkommt. Ich denke, dass man noch schlechter wegkommt, wenn man solche Kooperationen ausschlägt.
  • Hoffjann: Idealtypisch ginge es da um politische Influencer*innen, aber davon haben wir in Deutschland – im Vergleich zum Beispiel zu den USA – nicht so viele. Und zahlreiche Influencer*innen würden auch nicht politisch werden, weil sie damit ihr Geschäft gefährden würden.
  • uni.kat: Ist die Generation Z also zu unpolitisch, um sie überhaupt zu erreichen?
  • Hoffjann: Meine These ist, dass junge Wähler*innen tendenziell immer unpolitischer sind als andere Gruppen. Das ändert sich aber im Lebenszyklus. Zusätzlich war es nie so leicht für Jungwähler*innen, sich zu informieren, und sie wurden auch noch nie so aktiv angesprochen wie es heute der Fall ist.
  • Jungherr: In der Jugend von Herrn Hoffjann und mir war die junge Wählergruppe rein zahlenmäßig recht unbedeutend, was ihren Beitrag zum Gesamtergebnis anbelangt. Die jetzige Gruppe von Jungwähler*innen ist wahrscheinlich noch kleiner, hat aber einen viel größeren Einfluss auf gesellschaftliche Debatten. Man denke zum Beispiel an die Fridays for Future-Bewegung, die Politikänderungen ausgelöst hat. Zwar haben die Aktivist*innen aus ihrer Sicht noch nicht ihr Ziel erreicht, aber die Bewegung hat eine unheimliche Resonanz unter Politiker*innen und Parteien erzielt, die in Hinblick auf das Wählerpotential nicht erklärbar ist. Auch wenn es Politiker*innen schwerfällt, zielgerichtet Inhalte auf Social Media zu platzieren, werden die Kanäle trotzdem stark beobachtet und Impulse aufgenommen.
  • Eberhardt: Gerade in Zeiten von Corona sind junge Leute noch stärker auf digitale Wege umgestiegen. Wenn man sich ansieht, wie sie Neuigkeiten konsumieren und mit ihrem sozialen Umfeld interagieren, dann muss man sich fragen, wie politische Bildung und der Kontakt zur Politik ohne Social Media funktionieren soll. Sollte es für Parteien nicht sogar eine Verpflichtung dazu geben, Social Media zu nutzen?
  • uni.kat: Wäre ein Social-Media-Wahlkampf nicht mit hohen Kosten verbunden?
  • Jungherr: Es ist ein großer Denkfehler, den viele machen, dass ein Social-Media- Wahlkampf kostengünstig wäre, weil man ja keine Plakatflächen mieten muss. Aber ein gut produziertes Video bedeutet zum Beispiel zahlreiche Stunden an Konzeptionierung, Dreh und Schnitt. Das ist etwas, das momentan vielleicht auf Bundesebene mit einem Spitzenkandidaten realisierbar ist, der auch dafür offen ist. Sogar auf Landesebene wird das schwieriger. 
  • uni.kat: Welche Social-Media-Kanäle spielen überhaupt eine Rolle?
  • Jungherr: Es gibt unterschiedliche Kanäle für unterschiedliche Ziele. Werbeanzeigen auf Facebook und Google sind relevant, um Sichtbarkeit und Reichweite zu erzeugen. An diese Formate gehen Parteien mit der digitalen Plakatlogik heran. Twitter ist eine wichtige Plattform, um Journalist*innen zu erreichen und damit eine Agenda anzuschieben.
  • Eberhardt: Es kommt darauf an, welche Zielgruppe man ansprechen möchte: Facebook ist für eine ältere Zielgruppe ab 30 oder 40 wichtig. Instagram ist inzwischen eine Plattform, über die man viele Teile der Bevölkerung erreichen kann. TikTok hat meiner Meinung nach das größte Potential für die Zukunft, weil sich dort vor allem Jugendliche aufhalten.
  • uni.kat: Worauf zielen die Aktivitäten in den Sozialen Medien ab, wenn dadurch kaum Wählerstimmen generiert werden können?
  • Hoffjann: Viele Aktivitäten in den Sozialen Medien zielen auf eine Berichterstattung in anderen Medien ab. Das kann man insbesondere auf Twitter beobachten. Journalist*innen und Politiker*innen spielen sich dort die Bälle zu. Politiker*innen platzieren ihre Statements, mit denen sie am nächsten Tag in der Zeitung zitiert werden wollen. Das ist ein klassisches Beispiel für eine Plattform, die am Ende nicht auf die Wähler*innen direkt zielt, sondern eigentlich auf Journalist*innen und damit auf Berichterstattung.
  • Jungherr: Dafür werden teilweise auch bewusst Provokationen gewählt, um öffentliches Rätselraten auszulösen. Es geht also nicht um die reine Präsenz auf Social Media, sondern auch darum, Themen zu platzieren, über die gesprochen wird.
  • Hoffjann: Ich denke aber auch, dass viele Parteien aus schierer Unsicherheit bei Social Media vertreten sind. Alle reden über Soziale Medien. In den Schlagzeilen steht, dass die USA digitalen Wahlkampf machen, und dass man mit dem Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica jetzt Wahlentscheidungen vermeintlich sogar online steuern kann. Das macht es rational, dass viele Parteien auf Social Media Schaufensterpolitik betreiben, damit die Zeitungen nicht schreiben: „Das ist so eine altbackene Partei, dass sie in den Sozialen Medien nicht einmal vertreten ist.“
  • uni.kat: Wie sind die einzelnen Parteien für die Landtagswahl aufgestellt?
  • Hoffjann: Es ist schon augenfällig, mit welcher Power die CSU und insbesondere Markus Söder auf Social Media auftreten. Er ist mit professionellen Inhalten auf sehr vielen Plattformen vertreten. Man sieht seine klassische Darstellung als Landesvater auf Facebook. Bei Twitter tritt er aber auch mit polarisierenden Aussagen auf. Andererseits ist es erschreckend, wie unprofessionell andere unterwegs sind, wie etwa die Freien Wähler mit Hubert Aiwanger.
  • Eberhardt: Ich hatte die Gelegenheit, mich mit dem Social-Media-Team von Söder auszutauschen. Es besteht aus hochprofessionellen Menschen aus der Generation Z, die sich sehr gut mit Onlinekommunikation auskennen. Außerdem habe ich mich auch mit anderen Parteien beschäftigt. Bei Politikneugedacht hatten wir zum Beispiel einen Livestream mit der Fraktionsvorsitzenden der Grünen Katharina Schulze. Sie weiß, wie Social Media läuft. Insgesamt gibt es in Bayern abgesehen von Schulze und Söder kaum jemanden, der vergleichbare Ressourcen in Social Media investiert.
  • Jungherr: Die Investitionen sind auch Prävention für einen späteren Krisenfall. Der Laschet-Lacher vor der letzten Bundestagswahl zeigt, wie digitale Kommunikation die ganze Kampagne kaputt machen kann. Sein Lacher beim Besuch des Flutgebiets Ahrtal wird aufgenommen, landet auf Twitter und findet seinen Weg in die Medienberichterstattung. Wenn man als Kandidat*in dann kein Team hat, das adäquat darauf reagieren kann, wird man überrollt. Und das liegt nicht nur daran, dass handelnde Personen diese Dynamiken prinzipiell nicht verstehen und nicht damit umgehen können, sondern das liegt auch an mangelnden Ressourcen.
  • uni.kat:  Welche weiteren Gefahren birgt Social Media für den Wahlkampf und die Wahl?
  • Jungherr: Eine weitere Gefahr ist, dass Gerüchte und Falschnachrichten gezielt gestreut werden. Unter Umständen passiert das nicht einmal öffentlich, sondern in WhatsApp oder Telegram, was von außen schwierig beobachtbar ist, aber trotzdem Reichweite generiert. Das ist eine Sorge, die es seit Beginn der Onlinekommunikation ab den 00er- Jahren gibt.
  • uni.kat: Zusammenfassend: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach Social Media bei der Landtagswahl 2023?
  • Jungherr: Social Media hat eine große Bedeutung – es hat nur nicht die wahlentscheidende Bedeutung. Wir haben keinen Social-Media-Wahlkampf und keine Social-Media-Wahl. Wir haben einen Wahlkampf, in dem Social Media ein wichtiges Element ist, das in Wechselwirkung mit Inhalten, Kandidatinnen oder Kandidaten und Plakatflächen steht.
  • Eberhardt: Gerade für junge Wählerinnen und Wähler spielt in ihrem Leben Social Media eine sehr große Rolle, das gilt also auch für die Bayernwahl. Das Potential der politischen Bildung und politischen Angebote wird dort aber bisher nicht ausreichend ausgeschöpft – das ist eine Gefahr für unsere Demokratie.
  • Hoffjann: Mit Blick auf die Wechselwirkungen zwischen den Sozialen Medien und den klassischen Medien bin ich gespannt, in welchem Ausmaß Provokationen, vermeintliche Fehler und Skandalisierungsversuche in den Sozialen Medien in der Berichterstattung der klassischen Medien thematisiert werden und welche Relevanz sie im Verlauf des Wahlkampfs erlangen.
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Seite 156028, aktualisiert 10.02.2023