Live-Feedback beim Händewaschen

Alltagstaugliches System verbessert Handhygiene in Kindergärten und Krankenhäusern

Kind mit Schaum an den Händen hebt beide Daumen
  • Forschung
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  • 28.06.2021
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  • Johanna Graichen, Carlo Stingl, Thorsten Staake
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  • Lesedauer: 11 Minuten

Jedes Jahr sterben in Deutschland 10.000 bis 20.000 Menschen aufgrund von Krankenhaus-Infektionen. Kindergartenkinder in Deutschland durchlaufen meist mehrere ansteckende Krankheiten pro Jahr. Häufi ge Ursache ist eine mangelhafte Handhygiene. Die Forschung an der Universität Bamberg zielt darauf ab, ein alltagstaugliches System zu entwickeln, das die Handhygiene dauerhaft verbessert.

Digitale Assistenten begegnen uns in fast allen Bereichen unseres Lebens. Sie unterstützen uns beim Autofahren, helfen beim Energiesparen und erinnern uns an unser Fitnessprogramm. Häufig sind es die kleinen Hinweise im richtigen Moment, die eine Verhaltensänderung bewirken. Im Bereich der Handhygiene wird dieses Potential jedoch noch nicht genutzt – obwohl dieses nicht nur in Zeiten der Pandemie hohe Relevanz besitzt. Die Forschung von Bamberger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern setzt genau hier an. Sie möchten die Handhygiene an zwei Orten verbessern, an denen die Auswirkungen besonders entscheidend sein können: in Krankenhäusern und Kindergärten. In Krankenhäusern gilt die Nutzung von Desinfektionsmittel als Goldstandard für die Handhygiene. Doch auch das fachgerechte Händewaschen mit Wasser und Seife ist in bestimmten Situationen wichtig und kann sogenannte nosokomiale Infektionen verhindern – das sind Infektionen, die erst im Krankenhaus erworben werden. Oft jedoch halten Angestellte, Besucherinnen und Besucher sowie Patientinnen und Patienten die Richtlinien zur Handhygiene nicht ein. Einige technische Lösungen existieren zwar, um die Einhaltung von Richtlinien zu forcieren. Diese meist kamerabasierten Systeme sind jedoch teuer und kommen daher nur selten zum Einsatz.

Handhygiene wichtig, aber oft mangelhaft

Auch Kindergärten gelten als Übertragungsort für Krankheiten. Die Vielzahl an Krankheitsepisoden von Kindern hat Einfluss auf deren Lebensqualität und die ihrer Familien – und wegen der im Krankheitsfall erforderlichen Betreuung zu Hause auch auf das Berufsleben eines Elternteils. Die Corona-Pandemie hat erneut die Konsequenzen für Eltern und Betriebe aufgezeigt, die entstehen, wenn Kinder nicht zuverlässig in Kindergärten aufgenommen werden können. Eine gute Handhygiene kann viele Erkrankungen verhindern. Zudem kann sie schon von Kindern im jungen Alter spielerisch erlernt werden und bis ins Erwachsenenalter einen Beitrag zur Gesundheit leisten. Die Vielzahl an bestehenden Methoden zur Verbesserung der Handhygiene zeigt die hohe Relevanz auf. Neben Informationspostern, die in Sichtweite von öffentlichen Waschbecken angebracht sind, und Lehrvideos beziehungsweise Lehreinheiten gibt es auch technische Video-Monitoring-Systeme, die die Einhaltung von Handhygiene-Standards überprüfen. Die bisherigen Methoden weisen allerdings einige Schwächen auf: Während Informationsmaterialien wie Poster alleine nur wenig Wirkung zeigen, zeigen Schulungen meist nur eine kurze Wirkung. Video-Systeme sind für einen flächendeckenden Einsatz zu teuer. Im Rahmen der Bamberger Forschung wurde ein digitales System entwickelt, das darauf abzielt, Handhygiene dauerhaft zu verbessern, und das wegen geringer Kosten flächendeckend einsetzbar ist. Das System besteht aus smarten Wasserhähnen und Seifenspendern sowie einem Display, das direkt neben dem Waschbecken angebracht ist. Das Display zeigt bereits während des Händewaschens Anweisungen an. Durch Messung des Wasser- und Seifenverbrauchs wird der Handwaschvorgang bewertet und die Nutzerin beziehungsweise der Nutzer erhält direkt nach dem Händewaschen eine Rückmeldung.

Digitale Handhygiene im Test

Das System und sein Nutzen werden in einer kontrollierten Feldstudie mit zwei Universitätskliniken und zwei Kreiskrankenhäusern getestet. Die Nutzerinnen und Nutzer der jeweiligen Waschbecken in den Kliniken bekommen Live-Feedback zu ihrer Handhygiene. Die Daten der einzelnen Handwaschvorgänge werden außerdem gesammelt und aufbereitet, um den Kliniken Daten für ihr Qualitätsmanagement, wie zum Beispiel einen aktuellen Handhygieneindex, zur Verfügung zu stellen. Die Informationen, die während der Studie gewonnen werden, werden außerdem genutzt, um Verhaltensänderungen und das Ausbilden von Gewohnheiten zu untersuchen. Eine leicht angepasste Variante des Systems wird derzeit in Kindergärten eingerichtet. Auch hier erfolgt die Durchführung in einer kontrollierten Feldstudie, an der sowohl Kindergärten in Deutschland als auch in Finnland beteiligt sind. Das von Bamberger Forschenden entwickelte System zeigt dann Kindern während des Händewaschens Schritt für Schritt den korrekten Ablauf in einer Animation an und gibt nach Abschluss des Handwaschvorgangs ein kindgerechtes visuelles Feedback. Kinder erlernen so spielerisch gute Handhygiene. Sowohl Kinder und Eltern als auch Erzieherinnen und Erzieher werden zu verschiedenen Zeitpunkten der Studie befragt, um die Verhaltensänderungen der Kinder in Bezug auf Handhygiene besser zu verstehen. Eine Kooperation mit Forschenden der Universität Turku in Finnland im Bereich der Kinder-Pflegewissenschaft ermöglicht es, die Intervention optimal auf Kindergartenkinder anzupassen und die Verhaltensänderungen der Kinder theoretisch zu erklären.

In Zukunft auch im öffentlichen Raum

Die Studien in den Krankenhäusern und in den Kindergärten ermöglichen es, die Handhygiene an diesen Orten zu verbessern. Außerdem ist es denkbar, das digitale System in Zukunft so wei-terzuentwickeln, dass es auch in anderen Anwendungsgebieten im öffentlichen Raum Anwendung finden kann. Zum Beispiel könnte eine Installation in Altersheimen und der Gastronomie helfen, auch dort die Handhygiene von zahlreichen Menschen zu verbessern und so die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Das digitale System ermöglicht es außerdem, das Verhalten von Kindern und Erwachsenen in All-tagssituationen besser zu verstehen, etwa bei der Bil-dung von Gewohnheiten oder von Abhängigkeiten von Assistenzsystemen. So lassen sich existierende Theorien weiterentwickeln und auf andere Kontexte übertragen.

 

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Seite 147774, aktualisiert 26.10.2021