(Un-)ersetzbares Personal

Qualifikationen am Arbeitsmarkt bestimmen den Einsatz digitaler Technik

  • Forschung
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  • 28.06.2021
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  • Andreas Stöckl, Pauline Schneider, Olaf Struck, Franziska Ganesch
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  • Lesedauer: 6 Minuten

Arbeit, Bildung und digitale Technik sind heute nur miteinander zu denken. Die Arbeitswissenschaft in Bamberg forscht an dieser Schnittstelle und richtet ihren Fokus auf Menschen, ihre Arbeits- und Lernorte und deren politische Gestaltung. Häufi g lesen wir: Besonders Technik und Wirtschaft beeinflussen, wie Menschen arbeiten und leben. Aber noch entscheidender dafür, wie gearbeitet und Technik eingesetzt wird, sind die Menge und das Niveau der Qualifikationen am Arbeitsmarkt.

Digitale Technik wird von Menschen gestaltet. Wie und für was digitale Technik konstruiert und in Betrieben eingesetzt wird, hängt insbesondere davon ab, an welchen Qualifikationsgruppen diese Technik in Konstruktion und Einsatz ausgerichtet wird.

1. Digitale Technik selbst ist vielgestaltig. Sie kann Arbeitstätigkeiten rationalisieren, automatisieren und Personal ersetzen. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Industrieroboter. Technik kann aber auch die Qualität eines Arbeitsprozesses und -ergebnisses erhöhen, Entscheidungen durch größere und schnellere Verfügbarkeit von Informationen verbessern oder den Radius menschlicher Kommunikation und damit Handlungsräume erweitern. Ein Beispiel: Kooperationssysteme zwischen Menschen und/oder Maschinen. Personal wird hierdurch nicht ersetzt. Technik kann zudem so kon-struiert sein, dass sich Menschen im Umgang mit ihr ausprobieren und neue digitale Kompetenzen erlernen können. Sie kann aber auch so gestaltet sein, dass ihre Funktionsregeln verborgen bleiben. Menschen sind dann abhängig von den der Technik unterliegenden Algorithmen, die von Herstellern vorgegeben werden. Lernen oder Kompetenzzuwachs gibt es hier nicht.

2. So wie die Technik selbst kann zudem ihr arbeitsorganisatorischer Einsatz Handlungsspielräume erweitern, Beanspruchungen mindern und entsprechend die Arbeitsqualität erhöhen – oder auch nicht:In der Arbeitsgestaltung können Unternehmen durch digitale Technik, die durchschaubar, vorhersehbar und beinflussbar ist, die Handlungskompetenzen und Qualifikationen ihrer Beschäftigten erhöhen und hierfür kompetentes Personal akquirieren sowie aus- und fortbilden. Durch erweiterte Handlungsräume und eine Anreicherung der Tätigkeiten – von der Qualitätssicherung über die Steuerung und Wartung bis hin zu Abstimmungen mit anderen Teams und der Selbstorganisation – werden Beschäftigte auf diese Weise umfänglich in die Arbeitsprozesse einbezogen. Möglich ist aber auch, dass Unternehmen durch den Einsatz von Technik sowie arbeitsorganisatorische und personalpolitische Maßnahmen eher vereinfachte und sich wiederholende Arbeiten fördern. Gering qualifizierte Tätigkeiten und die sogenannte Einfacharbeit sind dafür exemplarisch. Digitalisierte Technik in Form von Sensor- oder Kommunikationstechnologien, Assistenzsystemen oder Robotik ersetzt hier zunehmend hochstandardisierte Tätigkeiten. Ihr Einsatz führt allerdings nicht zu einer qualifikatorischen Aufwertung der verbleibenden menschlichen Arbeit, sondern verfestigt die niedrigen Arbeitsanforderungen zusätzlich.

Wovon hängt es ab, in welcher Weise digitale Technik eingesetzt wird?

Wenn Technik vielfältig konstruiert und eingesetzt werden kann, wovon hängt es dann ab, wie sie tatsächlich eingesetzt wird? Eine Antwort darauf findet sich am Arbeitsmarkt, nämlich in der Höhe der Qualifikationen und der verfügbaren Menge an Menschen, die die gewünschten Qualifi kationen mitbringen. Im Grundsatz gilt: Menschen mit schwer austauschbaren Qualifikationen werden auf dem Arbeitsmarkt und in Unternehmen eine höhere Wertschätzung erfahren als Menschen mit einfachen und ersetzbaren Qualifikationen. Wenn Arbeitskräfte in Menge und Qualifikation im Übermaß am Arbeitsmarkt miteinander konkurrieren oder wenn Technik die Menschen effektivieren beziehungsweise ersetzen kann, so dass Arbeitskräfte aus diesem Grund nicht knapp werden, dann führt dies zu Problemen

• in der Arbeitsorganisation durch Taylorisierungund Fremdbestimmung, wodurch Lernen, Unternehmensverantwortung und Innovationen am Arbeitsplatz vernachlässigt werden. Unter Taylorisierung versteht man eine Teilung der Arbeit in kleinste, sich wiederholende Arbeitsschritte, die kaum Qualifikationsanforderungen an Beschäftigte stellt.

• im Technikeinsatz durch Maschinen und Algorithmen, die Menschen effektivieren oder ersetzen und die Durchschaubarkeit, Vorhersehbarkeit und Beeinflussbarkeit von Maschinen mindern.

• in der Personalentwicklung von Beschäftigten durch Einfacharbeit anstelle qualifi zierter und qualifi zierender Tätigkeiten.

• am Arbeitsmarkt durch die Ausweitung marktför-miger Beschäftigungssysteme beziehungsweise prekärer Arbeit mit mangelnder ökonomischer und sozialer Sicherheit.

Beispiele aus aktuellen Forschungsprojekten

Anhand des Projekts Digitale Logistik, Arbeitsstrukturen und Mitbestimmung (DiLAMi) lassen sich diese Zusammenhänge gut veranschaulichen. In der deutschen Transportlogistik fehlt es seit längerem an Fachpersonal. In einer solchen Situation sollten – dem ökonomischen Marktmodell folgend – Löhne erhöht und Arbeits- oder Gesundheitsbedingungen verbessert werden, um Personal zu halten und neues zu gewinnen. Dies geschieht jedoch nicht. Stattdessen wird digitale Technik in Fahrzeugen und Logistiksystemen in der Weise gestaltet und eingesetzt, dass auch gering qualifiziertes Personal die Arbeiten ausführen kann. Digitale Technik macht damit ein neues und kostengünstigeres Reservoir an geringqualifi zierten Arbeitskräften zugänglich für den deutschen Arbeitsmarkt, zum Beispiel aus Osteuropa. Und wo früher vielfältige Handlungskompetenzen und Selbstverantwortung gefordert waren, treffen wir heute auf einfache und unmittelbar kontrollierte Verrichtungen. Andere Zusammenhänge kann man in höher-qualifi zierten und spezialisierten Tätigkeiten beo-bachten. Auch diese Arbeiten werden durch digitale Techniken und Algorithmen unterstützt. Die Tätigkeiten sind aber aufgrund zutreffender fachlicher Entscheidungen und Entwicklungstätigkeiten weitgehend nicht ersetzbar. Im Projekt Digitale Kooperationssysteme im Mittelstand (KoMiK) wird gezeigt, dass bei solchen Tätigkeiten die souveräne Nutzung digitaler Datenbanken durch die Ausbildungsqualifikation sowie durch Weiterbildungskurse und Lerngelegenheiten am Arbeitsplatz gesteigert wird. Einsatz, Umgang und Weiterentwicklung der digitalen Technik basieren auf qualifizierten Kräften. Dabei können diese qualifizierten Kräfte die Produktivität und Qualität der digitalen Arbeitsplattformen durch informelle Kommunikation, das heißt durch Gespräche auf dem Gang, Telefonate oder E-Mails außerhalb der formalen Datenbankstrukturen, noch weiter steigern.

Vergleicht man beide Forschungsprojekte miteinander, dann wird deutlich: Die Menge und das Niveau der Qualifikationen am Arbeitsmarkt ist entscheidend dafür, wie Menschen arbeiten und wie Technik eingesetzt wird.Dies ist der Grund dafür, dass die Universität Bamberg in der universitären Ausbildung dem souveränen Umgang mit neuen und besonders auch digitalen Techniken eine hohe Bedeutung beimisst. So legen die Lehrenden in der Lehramtsausbildung Wert darauf, Digitallabore einzurichten: Lehrkräfte, und über sie wiederum Schülerinnen und Schüler, werden dahingehend qualifiziert, dass sie Arbeit und Technik selbstbestimmt gestalten können und nicht in fremdbestimmter Einfacharbeit von massenhafter Konkurrenz und Rationalisierung bedroht werden.

Aktuelle Projekte zu digitaler Technik an der Professur für Arbeitswissenschaft:

Im Projekt Digitale Logistik, Arbeitsstrukturen und Mitbestimmung (DiLAMi) wird der Einsatz digitaler Techniken auf Qualifikation, Handlungsspielräume, Gesundheit und Partizipation untersucht. Das Projekt Digitale Kooperationssysteme im Mittelstand (KoMiK) analysiert qualifikatorische und organisatorische Ursachen eines effektiven Einsatzes von digitalen Enterprise Collaboration Systems (ECS). Mit dem Wissen um die Bedeutung, digitale Techniken und Medien kompetent gestalten und nutzen zu können, ist die Professur aktiv am Aufbau des Kompetenzzentrums für Digitales Lehren und Lernen (DigiZ) und von Digitallaboren beteiligt.

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Seite 147771, aktualisiert 26.10.2021