Von der Wohnmaschine zum Wohncomputer

Möglichkeiten und Maßstäbe einer smarten und menschlichen Architektur

Luxusvilla-Design.
  • Forschung
  •  
  • 08.07.2021
  •  
  • Martin Düchs
  •  
  • Lesedauer: 18 Minuten

Das Smart Home ist keine Zukunftsmusik mehr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Zimmer, Küche und Bad digital durchgestaltet sind, um das Leben zu vereinfachen, Ressourcen zu schonen oder neue Wege der Kommunikation zu eröff nen. Was kann Richtschnur der zunehmenden Digitalisierung des elementaren Lebensbereiches Wohnung sein? Dass der Mensch im Mittelpunkt stehen muss, ist nur eine Leerformel. Um sie zu füllen, sollten wir die philosophische Frage par excellence stellen: Was ist der Mensch?

„Une maison est une machine à demeurer.“ – „Das Haus ist eine Maschine zum Wohnen.“ So lautet der wohl berühmteste Satz beziehungsweise die Forderung an die Architektur von Le Corbusier, einem der einflussreichsten Vertreter und Vordenker der Architekturmoderne. Mit dem Satz wollte er seine Vorstellungen auf den Punkt bringen, wonach Architektur nach rationalen und berechenbaren Kriterien geplant und hinsichtlich wirtschaftlicher Aspekte optimiert werden sollte. Vorbilder des Neuen Bauens sollten hypermoderne Autos, Flugzeuge und Dampfschiffe sein und nicht länger historische Bauten.

Veröffentlicht hat Le Corbusier seine Forderung zum ersten Mal 1921, also vor genau 100 Jahren, in der von ihm selbst gegründeten Zeitschrift L’Esprit Nouveau. Damit müsste der Satz eigentlich genauso unter Denkmalschutz stehen wie seine Bauten. Wenn man die Entwicklungen der letzten Jahre betrachtet, dann scheint es allerdings, als ob die Wohnmaschine allerorten gerade einer gründ-lichen Wartung und einem Umbau unterzogen wird, der wieder mit einem Esprit Nouveau, einem frischen Geist, daherkommt. Die neue Forderung heißt: „Das Haus ist ein Computer zum Wohnen.“

Das Haus wird immer digitaler

Tatsächlich ist das Smart Home zumindest in Teilbereichen vielfach schon realisiert: Kühlschränke bestellen die Vorräte. Küchengeräte laden Rezepte aus dem Netz und nehmen uns bei der Zubereitung des Gerichts Schritt für Schritt an die Hand oder kochen weitgehend selbst, das Licht wird zur Essensatmosphäre passend gedimmt. Thermostate zuhause wurden per App vom Büro aus eingestellt oder regeln die Temperatur automatisch auf Basis der erfassten Gewohnheiten der Bewohnerinnen und Bewohner. Waagen ermahnen uns dann, weil das Küchengerät zu gut gekocht hat und Toiletten passen das Spülprogramm an, um den Wasserverbrauch zu reduzieren. Zum Abschluss des Abends wählt Alexa das passende Schlafl ied und singt es auch gleich noch selbst: „Home is where the WLAN connects automatically“. Alles schon jetzt sehr smart also und in Zukunft darf man noch mehr erwarten: Smart Homes in a Smart City. Dabei gibt es neben den geschilderten Aspekten, die Spielereien oder bloße Verbesserungen des Komforts sind, auch handfeste Vorteile, die in moralischer Hinsicht unstrittig sind. Thermostate, die den Wärmeverbrauch genau auf die Nutzerin oder den Nutzer anpassen, sparen Energie und CO². Küchengeräte, die das Rezept vorlesen, oder Vorratsschränke, die ihren eigenen Inhalt kennen, sind für sehbehinderte Menschen eine Erleichterung. Allerdings sind auch die negativen Seiten off ensichtlich. Wenn die Waage den Blutdruck misst und kurz danach auf dem Computer Werbung für Blutdrucksenker erscheint, kann man durchaus Von der Wohnmaschinezum Wohncomputerstutzig werden. Smart Homes in Smart Cities als schöne neue Welt? Kurz gesagt: Die Entwicklung ist ambivalent. Höchste Zeit also, ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen: Was wollen wir eigentlich von der Smart City und dem Smart Home und was machen sie mit uns? Folgt die Digitalisierung unseren Bedürfnissen oder passen wir uns den digitalen Entwicklungen an?

Smart Homes für ein glücklicheres Leben?

Ist die Digitalisierung im Bereich der gebauten Umwelt also Verheißung, bloße Verlustigung oder gar Verhängnis? Wenn man sich weder einer naiven Technikeuphorie noch einem grüblerischen Technikskeptizismus hingeben will, dann wird man nüchtern feststellen müssen: Es kommt darauf an. Vielleicht hilft ein Blick zurück. Wenn man Le Corbusier noch einmal bemüht, wird man feststellen, dass die in der Architekturmoderne praktizierte und propagierte weitgehend naive Begeisterung für neue technische Möglichkeiten neben einigen Meisterwerken der Baukunst auch zu Fehlentwicklungen geführt haben. Der Kulturkritiker Alexander Mitscherlich etwa beklagte die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ und der Künstler Hugo Kükelhaus sprach vielfach von einer „unmenschlichen Architektur“. Vor diesem Hintergrund gewinnen die oben genannten Fragen eine noch größere Bedeutung und Brisanz. Bevor man daran geht, die smarte City mit ihren smarten Homes flächendeckend zu verwirklichen, sollte man sicher sein, dass diese nicht wieder „unwirtlich“ und „unmenschlich“ werden. Auch in einem smarten Zeitalter sollten Städte laut Jan Gehl, einem der derzeit bekanntesten Städteplaner, „Städte für Menschen“ und die Architektur der Häuser „menschlich“ sein. Der Mensch sollte im Mittelpunkt stehen.

Der Mensch als Maßstab einer smarten Architektur

Diese Forderung ist allerdings für sich genommen eine bloße Leerformel. Was genau ist eine „menschliche Architektur“? Um welchen Menschen geht es hier? Welche Bedürfnisse sind für den Menschen essentiell und somit auch in Smart Homes zu befriedigen? Diese Fragen führen – wie könnte es anders sein – ins Zentrum der Philosophie. „Was ist der Mensch?“ ist gemäß Immanuel Kant die philosophische Frage. Dementsprechend wurde sie vielfach diskutiert und sehr unterschiedlich beantwortet. Das macht es schwierig, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, denn es gibt einfach zu viele. Die endgültige, richtige Antwort auf die Frage nach dem Menschen lässt sich vermutlich nicht finden, aber das macht die Frage selbst keineswegs obsolet. Denn zumindest eine Annäherung an eine Antwort ist möglich. Das zeigen zum Beispiel die Arbeiten der Philosophischen Anthropologie. Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen gelten als Hauptvertreter dieser eigenständigen Strömung innerhalb der deutschen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Einige der von ihnen entwickelten Ideen sind nach wie vor geeignet, zu einem besseren Verständnis des Menschen von sich selbst beizutragen und ein Fundament für die Gestaltung der menschlichen Lebenswelt bereitzustellen – auch im digitalen Zeitalter.

Spannungsfelder: zwischen Freiheit und Gebundenheit

Ausgehend von den Theorien der genannten Philosophen kann man feststellen, dass Menschen sich immer in verschiedenen Spannungsfeldern befinden. Dabei halten die Pole der Felder stets einen bleibenden Anspruch an das Individuum aufrecht und bilden eine dauerhafte Spannung, die nicht gleichsam billig nach der einen oder anderen Seite hin aufgelöst oder in einer Kompromissfi gur aufgehoben werden kann. Solche Spannungsfelder bestehen zwischen verschiedenen Polen. Wenn man nur die-jenigen nennt, die unmittelbar für den Bereich des Bauens relevant sind, muss man Natur und Kultur, Geist und Körper, Glauben und Wissen, Individualität und Sozialität, Sprache und Sprachlosigkeit, Arbeit und Spiel oder Freiheit und Gebundenheit nennen. Nur für das Spannungsfeld von Freiheit und Gebundenheit gilt beispielsweise, dass der Mensch einerseits die Freiheit hat, sich jede Zukunft vorzustellen und Schritte zu ihrer Verwirklichung zu gehen. Er kann also jederzeit alle Wurzeln und alles, was ihn im Hinblick auf Tradition bindet, abschneiden und auf völlig neuartige, nie dagewesene Weise bauen. Andererseits ist der Mensch aber auch geprägt und gebunden durch eine Herkunft mit bestimmten Traditionen, Geschichten, Wertvorstellungen und nicht zuletzt ästhetischen Idealen. Wenn er sich diesen verpflichtet fühlt, wird er den regionalen oder sogar lokalen Traditionen entsprechend bauen.Eine Architektur, die sich dabei nur für eine Seite des Spannungsfeldes entscheidet und die auf der anderen Seite vorhandenen Bedürfnisse überhaupt nicht beachtet, wird unmenschlich in dem Sinn, dass hier ein wichtiger Teil des Menschen gleichsam geleugnet wird. Das mag für einzelne Bauherren, die sich bewusst für diese Vorgehensweise entscheiden, in Ordnung sein, aber nicht als allgemeine Regel für anonyme Nutzerinnen und Nutzer. Wenn auch bei einer smarten Architektur der Mensch im Mittelpunkt stehen soll, dann sollte es der ganze Mensch und der ganz normale Mensch sein, nicht aber ein konstruiertes Idealbild oder ein „Be-Sonderling“.

Ausblick auf eine smarte Architektur

Was die Spannungsfelder im Einzelnen für das Verhältnis von Mensch und Architektur bedeuten, kann hier nur in sehr groben Strichen und nur an dem genannten Beispiel skizziert werden. In ihrer Summe betrachtet, zeichnet sich aber eine Matrix ab, mit der die Entscheidungen bei der Gestaltung von Smart Homes oder Teilen davon systematisch strukturiert und beurteilt werden können. Damit geht die Arbeit dann allerdings erst richtig los. Nötig ist zunächst eine genauere theoretische Ausbuchstabierung der einzelnen Spannungsfelder in ihrer Bedeutung für die Gestaltung von Smart Homes und Smart City und sodann eine bewusste Positionierung der praktischen Gestaltungslösungen. Die Aufgabe scheint allerdings lohnend; sie könnte helfen, „Computer zum Wohnen“ zu bauen, die nicht nur smart, sondern auch menschlich sind.

Literaturempfehlung:

  • Martin Düchs (in press): Menschliche Architektur. Eine philosophische Annäherung.
  • Martin Düchs (2019): 50+1 Architektonische Gewissensfragen. Beantwortet von Dr. Martin Düchs mit einem Vorwort von Dr. Dr. Rainer Erlinge
nach oben
Seite 147768, aktualisiert 26.10.2021