„Bayerlein war ein überzeugter Nazi“

Kunsthistoriker Wolfgang Brassat gibt Einblicke in das Werk von Fritz Bayerlein und die Kunst im „Dritten Reich“.

Portrait von Prof. Dr. Wolfgang Brassat, Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte, insbesondere Neuere und Neueste Kunstgeschichte, der die Tagung organisiert.
  • Forschung
  •  
  • 14.10.2022
  •  
  • Hannah Fischer
  •  
  • Lesedauer: 6 Minuten

Die Diskussion um Fritz Bayerlein beschäftigt die Stadt Bamberg seit drei Jahrzehnten. In der NS-Zeit kam der Künstler zu Ruhm und Reichtum, stand sogar auf der „Gottbegnadeten-Liste“. Noch bis 2020 hingen vier Gemälde von ihm mit Ansichten der Stadt im Bamberger Rathaus – im Sitzungssaal und im Trauungssaal. Auch nachdem die Bilder auf Beschluss des Stadtrates abgehängt wurden, geht die Diskussion weiter. Um das Thema wissenschaftlich aufzuarbeiten, organisiert Prof. Dr. Wolfgang Brassat, Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte, insbesondere Neuere und Neueste Kunstgeschichte, in Kooperation mit der Stadt Bamberg die Tagung „Die Stunde der Heimatmaler. Fritz Bayerlein, die ‚Gottbegnadeten’ und die NS-Kunstpolitik“. Sie findet am Freitag und Samstag, 21. und 22. Oktober, an der Universität in der Markusstraße 8 a, Raum MG1/00.04, statt. Im Interview gibt Brassat bereits erste Einblicke und beantwortet unter anderem die Fragen, welche Kulturpolitik im sogenannten Dritten Reich verfolgt wurde, wie Bayerlein sich mit seiner Kunst dazu positionierte und wieso aus seiner Sicht das Abhängen der Gemälde im Rathaus längst überfällig war.

Lieber Herr Brassat, können Sie die Hintergründe der Tagung erläutern? Was war die Vorgeschichte?

Wolfgang Brassat: Fritz Bayerlein war gebürtiger Bamberger und blieb der Stadt auch in den Jahren, die er in Nürnberg und München lebte, verbunden. 1936/37 malte er im Auftrag des Stadtrates zwei großformatige Ansichten der Stadt für den großen Sitzungssaal im Neuen Rathaus, später noch zwei weitere Gemälde, die im Trauungssaal aufgehängt wurden. 1943 kehrte er in seine Heimatstadt zurück, in der man ihn auch nach Kriegsende als ihren "großen Sohn" feierte. Mit seinem Tod 1955 hat er der Stadt seinen künstlerischen Nachlass mit 191 Gemälden vermacht.

Anfang der 1990er Jahre begann eine kritische Rezeption des Künstlers, die zunächst Anstoß nahm am düsteren Erscheinungsbild des Sitzungssaales und dann vor allem an der politischen Haltung Bayerleins, der ein Nazi der ersten Stunde war. Nach einer jahrzehntelangen, teilweise erbittert geführten Kontroverse beschloss der Bamberger Stadtrat am 22. Juli 2020 auf Antrag der Fraktionen Grünes Bamberg, SPD, BaLi, Die Partei, ÖDP und Volt die vier großformatigen Gemälde mit Ansichten der Stadt aus dem Bamberger Rathaus zu entfernen. Darüber hinaus wurde gefordert, den Fall Bayerlein wissenschaftlich aufzuarbeiten. Diesem Zweck dient die Tagung.

Wann regte sich der erst Widerstand gegen die Bilder im Rathaus?

Im Dezember 1991 gab es einen ersten Antrag der Grünen im Stadtrat, die Bilder abzuhängen. Dieser wurde abgeschmettert. Ein weiterer Antrag, der zudem die Umbenennung des Fritz-Bayerlein-Wegs forderte, erhielt im Oktober 1993 lediglich die Stimmen der vier GAL-Stadträt*innen. Danach gab es immer wieder Proteste und zahlreiche Leserbriefe, die Lokalzeitung und überregionale Blätter berichteten. Kritiker Bayerleins verwiesen immer wieder auf seine „Lebenserinnerungen“, ein 73-seitiges Manuskript, das er im März 1955, wenige Monate vor seinem Tod, geschrieben hat. Darin bekundete er ganz offen, Nazi zu sein, äußerte sich verächtlich über Juden und erklärte gelassen, auch der Entnazifizierungsprozess habe aus ihm keinen Demokraten gemacht. Der Bamberger Kunstpädagoge Prof. Dr. Hubert Sowa publizierte 1993 einschlägige Zitate aus der Schrift im Fränkischen Merkur. Bayerleins politische Haltung wurde später eingehend untersucht von Dr. Andreas Dornheim, Stadtheimatpfleger und außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte, der 2017 den bis heute grundlegenden Aufsatz über den Maler publizierte. Die Ergebnisse seiner Forschungen stellte er in Vorträgen auch dem Kultursenat der Stadt vor. Trotzdem sollte es noch Jahre dauern, bis die Entfernung der Gemälde beschlossen wurde.

War Kunst während des „Dritten Reichs“ politisch? Welche Kulturpolitik wurde verfolgt?

Das NS-Regime hat unterschieden zwischen „artgerechter“ und „entarteter Kunst“. Sämtliche Avantgarde-Kunst wurde verfemt, Kunsteliten verfolgt, mit Berufsverboten belegt, ins Exil gezwungen und umgebracht. Es gab eine Reinigung der Museen sowie der Universitäten und ein dichtes Netz an Überprüfungen und Diskriminierungen. Von den „Kulturschaffenden“ wurde Loyalität gegenüber dem System, möglichst Parteizugehörigkeit, gefordert. Politisch und ethnisch Missliebige, Kommunisten, nicht-arische Künstler et cetera, wurden ausgesondert und verfolgt, auch Vertreter der Avantgarden, ab 1935 immer entschiedener auch die Künstler des Expressionismus. So wurde dafür gesorgt, dass ausschließlich loyale, gesinnungstreue Künstler Aufträge bekamen.

Wie sah Kunst im „Dritten Reich“ aus?

Die Landschaftsmalerei machte einen großen Anteil aus, auf Ausstellungen betrug ihr Anteil rund 50 Prozent. Danach folgte das Bauerngenre. Daneben gab es Stillleben, viele weibliche Akte und Darstellungen heroischen Soldatentums. Die Themen der „vie moderne“, die mit dem Impressionismus aufgekommen waren – Stadtlandschaften, Darstellungen von Sport und Freizeitvergnügen – verschwanden fast völlig, ebenso die mythischen Themen und Traumwelten des Symbolismus. Die Deutsche Kunst war geprägt von einem zumeist biederen Realismus, der eine gemüthafte Bodenständigkeit feierte. Es waren tatsächlich systematische Ausschlussverfahren, die in den 30er Jahren zur Sichtbarkeit und Prominenz Bayerleins führten.

Wie passen Bayerleins Gemälde in die NS-Zeit hinein?

In der Diskussion um Bayerlein wurde immer wieder behauptet, dass es sich bei seinen Werken doch lediglich um neutrale Landschaftsbilder handele. Als seine Gemälde 1937 im Ratssaal aufgehängt wurden, gab es aber längst eine Gleichschaltung der Künste. Bayerleins Werke der 30er und 40er Jahre waren mustergültige Beispiele der sogenannten „artgerechten“ Kunst, auch wenn keine Hakenkreuze auf ihnen zu sehen sind. Die Gemälde im Ratssaal wurden 1936 vom Stadtrat in Auftrag gegeben. Solche öffentlichen Aufträge bekamen damals nur noch systemkonforme Künstler. Man musste zum Beispiel Mitglied der Reichskammer der Bildenden Künste (Reichskulturkammer) sein, der Bayerlein rechtzeitig 1936 beigetreten ist. Er war ein überzeugter Nazi, seit 1931 Parteimitglied, erhielt zum 50. Geburtstag des Führers den Professorentitel und ist im „Dritten Reich“ ein reicher Mann geworden. Er hat sich völlig mit dem NS-System identifiziert und ist immer wieder als sein Repräsentant aufgetreten. Insofern war er nicht nur ein Profiteur desselben und ein „Mitläufer“.

Bayerlein war auch auf der sogenannten „Gottbegnadeten-Liste“. Was ist das für eine Liste?

Das war eine Liste systemkonformer Künstler, die nicht zum Kriegsdienst eingezogen wurden, vom Arbeitsdienst befreit waren und Steuervergünstigungen erhielten. Die Liste wurde 1944 auf Initiative von Joseph Goebbels zusammengestellt, wobei es bereits 1939 die von Hitler, Goebbels und Göring zusammengestellten „Führerliste“ gab, der wiederum „Steuerfreistellungslisten“ mit den Namen ausgewählter Künstler*innen der einzelnen Gaue vorausgingen. Die Auswahl der „Gottbegnadeten-Liste“ ist insofern erstaunlich, als manche Hardliner unter den NS-Malern nicht in ihr stehen. Das zeigt auch, dass es bei der NS-Kulturpolitik einen gewissen Zufallsfaktor gab. Bei der Tagung werden in einzelnen Vorträgen neben Bayerlein weitere Künstler des NS-Regimes vorgestellt, darunter Hermann Gradl, Arthur Kampf, Willy Kriegel und Werner Peiner, die sogar auf der „Sonderliste“ der „Gottbegnadeten-Liste“ standen, also als die wichtigsten Maler des Reichs bewertet wurden.

Was ist auf Bayerleins Bildern zu sehen?

Auf einem der Bilder, die im Trauungssaal hingen, sind im Vordergrund der Ansicht Bambergs eine stillende Mutter und daneben der Vater, der seine Sense schärft, dargestellt. Hier hat Bayerlein ziemlich explizit die Blut- und Bodenideologie der Faschisten zum Ausdruck gebracht. Aber darin ist dieses Bild eine von wenigen Ausnahmen. Weitere Gemälden bezeugen Bayerleins Antimodernismus, so sind auf den Stadtansichten keine Automobile oder Schornsteine zu sehen, von denen es damals in Bamberg durchaus einige gab. Interessant ist aber vor allem die Frage, inwieweit sich in den Gemälden im Formalen, im Stil nationalsozialistisches Gedankengut manifestiert. Darauf werde ich bei der Tagung in meinem Vortrag über das Werk Bayerleins eingehen.

In welchem Kontext können die Bilder gezeigt werden?

Gemälde Bayerleins werden zum Beispiel in der ständigen Ausstellung des Historischen Museums gezeigt. In dieser werden Themen der Stadtgeschichte behandelt und seine Gemälde dienen der Illustration. In einem musealen Kontext, gegebenenfalls mit einer entsprechenden Kommentierung, stellt das meines Erachtens kein Problem dar. Anders gelagert war die Situation im Ratssaal. An solchen Orten gab es seit dem Mittelalter didaktische Bildprogramme, die die Ratsherren darauf verpflichten sollten, nach höchsten moralischen Normen zum Wohle der Gemeinde zu handeln. Solche elaborierten Bildprogramme sind zwar in der Moderne selten geworden, aber in einem Ratssaal erwartet man dennoch einen Bildschmuck, der seiner Funktion angemessen ist. Eine wiederum andere Situation ist in Kunstmuseen gegeben. Oliver Kase, Kurator der Pinakothek der Moderne in München, hat vor Jahren Adolf Zieglers Elemente-Triptychon mit vier nackten Frauen – Ziegler wurde spöttisch „Meister des deutschen Schamhaares“ genannt – in die ständige Ausstellung der Pinakothek aufgenommen und damit eine große Kontroverse ausgelöst. Noch vor wenigen Tagen hat der Künstler Georg Baselitz öffentlich dagegen protestiert, dass dieser Nazi-Kitsch im Kunstmuseum präsentiert wird. Wir werden auf der Tagung die Frage „Wie geht man um mit Nazi-Kunst?“ mit Fachleuten aus dem Museums- und Ausstellungsbereich diskutieren.

War die Entscheidung, die Gemälde im Rathaus abzuhängen Ihrer Meinung nach richtig?

Ja, unbedingt! Bamberg ist heute eine bunte Stadt und seine Universität schreibt sich Diversität auf ihre Fahnen. Am wichtigsten Ort demokratischer Entscheidungsprozesse in dieser Stadt hat dieses braune Erbe nichts mehr zu suchen.

Gibt es ähnliche Diskussionen auch in anderen Städten?

Bayerlein ist in gewisser Hinsicht ein Provinzphänomen, aber er ist ein interessanter Fall für die derzeitige Diskussion um den Umgang mit NS-Kunst. Maler wie ihn gab es viele. Im Moment gibt es zahlreiche Ausstellungen und Tagungen zur NS-Kunst. Das hat verschiedene Gründe. Die Täter, die Opfer und die Zeitzeugen sind mittlerweile fast alle verstorben. Damit verblasst auch die Erinnerung an die Verbrechen des „Dritten Reichs“, zugleich erleichtert es eine kritische Aufarbeitung. Mit der unweigerlich fortschreitenden Historisierung wird die Kunst des „Dritten Reichs“ in gewisser Hinsicht auch neutralisiert. Daher müssen wir überlegen, wie wir mit diesem prekären Erbe umgehen wollen.

Vielen Dank für das Interview!

Die Pressemitteilung mit weiteren Informationen zur Tagung ist zu finden unter:
https://blog.uni-bamberg.de/forschung/2022/ausstellung-fritz-bayerlein

Das Tagungsprogramm gibt es hier:
https://www.uni-bamberg.de/kunstgeschichte/news/tagung-heimatmaler/

nach oben
Seite 154640, aktualisiert 14.10.2022