Technostress und digitale Gesundheit

Digitaler Stress kann gesundheitsgefährdend und zugleich innovationstreibend sein

Frau mit gestresster bis verzweifelter Geste vor ihrem Notebook
  • Forschung
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  • 29.09.2022
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  • Christian Maier
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  • Lesedauer: 7 Minuten

Technostress ist eine messbare Gefahr für die Gesundheit aller Menschen mit Zugang zu digitalen Technologien und Internet. Nach aktuellen Schätzungen sind dies weltweit rund fünf Milliarden Menschen. Die Forschung an der Universität Bamberg zielt gleichermaßen darauf ab, Ursachen und Konsequenzen von Technostress zu identifizieren, diesen mit wirkungsvollen Maßnahmen zu reduzieren und ihn auch als etwas Nützliches zu verstehen.

Die meisten Menschen nutzen digitale Technologien tagtäglich beruflich, zum Beispiel MS Office, E-Mails, SAP – und privat, zum Beispiel Smartphones, Facebook. Diese automatisieren wiederkehrende Aufgaben, vereinfachen die Kommunikation mit Freund*innen und Kolleg*innen und bieten Zugang zu Informationen und Nachrichten. Leider benötigen digitale Technologien auch regelmäßig Updates, stürzen ab, funktionieren nicht wie gewünscht, stören mit Benachrichtigungen während der Arbeit und überschwemmen das Privatleben mit Beruflichem. Dies verursacht digitalen Stress und hat Einfluss auf Arbeitsleistung und Wohlbefinden.

Die aktuelle Forschung sieht diesen Technostress als einen Prozess, der beschreibt, wie und welche Stressoren, das heißt Ursachen, welche Reaktionen, das heißt Konsequenzen, hervorrufen. Wissenschaftler*innen der Universität Bamberg können seit über zehn Jahren zu einem besseren Erkennen und Verstehen der Stressoren in verschiedenen IT-Nutzungssituationen, ihren Konsequenzen und möglichen Gegenmaßnahmen beitragen.

Technostress kann ansteckend sein

Die Digitalisierung der Arbeitswelt bringt viele Chancen, aber auch Herausforderungen mit sich. So führt der immer häufigere Umgang mit digitalen Technologien dazu, dass Technostress ein Breitenphänomen geworden ist und in vielen Facetten diskutiert wird. Beispielsweise fühlen sich viele Mitarbeiter*innen ersetzbar und sehen in digitalen Technologien eine Gefahr, den eigenen Job zu verlieren. Ständige Updates lenken ab und der Druck, Arbeit noch schneller zu erledigen, hilft auch nicht immer. Auch die Verwässerung des Privatlebens durch arbeitsbedingte E-Mails oder Telefonanrufe während des Feierabends oder Urlaubs stellen Ursachen von Technostress dar. All dies führt bei Mitarbeiter*innen häufig zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. Sie erledigen ihre Arbeit langsamer, sind weniger motiviert und oftmals auch unzufrieden mit der eigenen Arbeitssituation. Dies führt in nicht wenigen Fällen zu einer beruflichen Umorientierung inklusive Kündigung und neuem Arbeitgeber.

Als Folge versuchen derzeit viele Unternehmen, den digitalen Stress für Mitarbeiter*innen zu reduzieren oder sogar zu vermeiden. Viele gut gemeinte Maßnahmen wie das Ausschalten des Mailservers am Wochenende funktionieren nicht oder schaden sogar. Dies liegt an noch unzureichend verstandenen Ursachen und Wirkungswegen von Technostress. Die Arbeiten von Technostress-Forschenden unter anderem an der Universität Bamberg haben gezeigt, dass Technostress eine der Hauptursachen von Burnout am Arbeitsplatz ist. Technostress kann also krank und in schlimmen Fällen sogar arbeitsunfähig machen. Während die bisherige Forschung ausschließlich intra-personelle Auslöser wie zum Beispiel Informationsüberflutung untersucht hat, konnte die Bamberger Forschergruppe aus der Wirtschaftsinformatik im Rahmen des Bayerischen Forschungsverbunds For DigitHealth zeigen, dass Technostress als eine Art sozioemotionale Information auch inter-personell übertragen werden kann und sozusagen sozial ansteckend ist. Dies eröffnet ganz neue Wege, Technostress im Arbeitskontext zu reduzieren und auch herauszufinden, welche Mitarbeiter*innen besonders gefährdet sind.

Technostress ist auch ein Social-Media-Phänomen

Während IT-Nutzung und Kontakt mit Kolleg*innen am Arbeitsplatz kaum zu vermeiden sind, ist Social-Media-Nutzung meist privat und freiwillig. Man könnte daher annehmen, dass digitaler Stress hier ein einfacheres Thema ist und Social-Media-Stress durch Vermeiden der jeweiligen Plattformen gelingen sollte. Doch die Realität ist leider schwieriger. Die Bamberger Forschergruppe zu Technostress konnte schon vor über sieben Jahren erstmals zeigen, dass es messbaren Social-Media-Stress gibt. Ein Grund ist emotionale Überlastung, wenn Nutzer*innen etwa zu viele Hilfeanfragen erhalten („brauche dringend eine Wohnung“, „mir ist langweilig, tu was“) und mit zu vielen Schicksalsthemen aus dem Bekanntenkreis konfrontiert werden („meine Oma ist gestorben“). Zwar sagen Theorien wie die Social Support Theorie, dass soziale Netzwerke für Individuen wertvoll sind, da sie dadurch instrumentelle und emotionale Hilfe bekommen können. Dabei werden aber diejenigen  vergessen, die diese Hilfe geben. Empirische Analysen haben entsprechend gezeigt, dass die Hilfegebenden oft über das Maß hinaus involviert werden, mit dem sie umgehen können. Sie helfen dann quasi zu viel für ihre verfügbaren emotionalen Ressourcen. Dies ist desto schlimmer, je mehr reine Online-Freunde man hat. Und ein Facebook hiatus, also ein Abmelden von Facebook, kann sogar mehr Probleme verursachen als lösen.

In Folgestudien hat das Forschungsteam vielen Personen – mit ihrer Zustimmung – für einige Zeit Facebook beziehungsweise das Smartphone weggenommen, um zu lernen, wie sich dies auf deren Social-Media-Stress auswirkt. Die Mehrheit tauschte, knapp zusammengefasst, einfach ihre Stressoren. Weniger Hilfeanfragen wurden beispielsweise überkompensiert durch bemerkenswert starke Gefühle sozialer Isolation, wenn man sich aus den gewohnten Informationsflüssen ausgeschlossen fühlt. Die Kosten für weniger social overload waren also Varianten von switching stress. Einfache Lösungen gegen Technostress sind meistens keine wirklichen Lösungen, ebenso wie im Beruf das Abschalten des Mailservers freitags um 17 Uhr den einen mehr Distanz zum Büro gibt und gleichzeitig anderen viel zeitliche Flexibilität und Selbstbestimmung nimmt.

Technostress reduzieren

Der richtige Umgang mit Technostress und den assoziierten, negativen Gefühlen ist entscheidend, um langfristig zufrieden, gesund und arbeitsfähig zu bleiben. Daher liegt nach Jahren der Forschung über Art und Ursachen von Technostress der Schwerpunkt der aktuellen Forschung darauf, Wege der Vermeidung oder Reduktion zu finden. Dabei ist es auch wichtig, die Rolle individueller Differenzen zu verstehen. Da die Empfänglichkeit für Technostress zwischen verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich ist, ist die Wirksamkeit geeigneter Präventionsmaßnahmen auf das jeweilige Individuum und dessen Persönlichkeit abzustimmen.

Es deutet sich an, dass das Schaffen von Bewusstsein für Technostress ein wichtiger Schritt zur Beherrschung ist. Das Bamberger Forschungsteam konnte bereits zeigen, dass Achtsamkeitsübungen eine Möglichkeit sind, sich vom Stress im Umgang mit digitalen Technologien zu befreien. Experimentelle Ergebnisse zeigen ebenfalls, dass Menschen sich automatisch an Technostress gewöhnen und abstumpfen können, wodurch etwa der zehnte PC-Absturz weniger Stress auslöst als der zweite. Sollte jemand dennoch Technostress empfinden, ist es empfehlenswert, bei Freund*innen oder Kolleg*innen um Hilfe zu bitten und sich eine Lösung zeigen zu lassen, wobei inhaltliche Lösungshilfen stärker helfen als emotionales Trostspenden.

Technostress kann positiv sein

Auch wenn Technostress stets negativ diskutiert wird, zeigen aktuelle Forschungsergebnisse jedoch, dass sich Stress während der Nutzung digitaler Technologien zumindest kurz- und mittelfristig auch positiv auf Menschen auswirken kann. So können Zeitdruck oder auch Stressgefühle mit neuen Technologien Auslöser für innovative Variationen des Umgangs mit der Technologie sein. Manprobiert dann einfach einmal etwas Anderes als das Übliche, und das kann gut gehen. In diesen Fällen sehen die Personen den Stress im Kern als herausfordernd und damit positiv an und können daran persönlich wachsen. IT-Nutzung kann also gleichzeitig positiven und negativen Stress produzieren. Empirische Analysen zeigen dabei interessanterweise, dass die bekannten negativen Folgen von Technostress nur bei Abwesenheit von positivem Stress zu erwarten sind.

Literaturempfehlung:

  • Christian Maier, Sven Laumer, Jason Bennett Thatcher, Jakob Wirth, Tim Weitzel (in press): Trial-period technostress: a conceptual definition and mixed-methods investigation. Information Systems Research (ISR).
  • Katharina Pflügner, Christian Maier, Jens Mattke,Tim Weitzel (2021): Personality Profiles that Put Users at Risk of Perceiving Technostress. Business & Information Systems Engineering, Volume 63, S.389–402.
  • Christoph Weinert, Christian Maier, Sven Laumer, Tim Weitzel (2020): Technostress mitigation: an experimental study of social support during a computer freeze. Journal of Business Economics, Volume 90, S. 1199–1249.
  • Christian Maier, Sven Laumer, Jakob Wirth, Tim Weitzel (2019): Technostress and the hierarchical levels of personality: a two-wave study with multiple datasamples. European Journal of Information Systems, S. 496–522.
  • Christian Maier, Sven Laumer, Christoph Weinert, Tim Weitzel (2015): The effects of technostress and switching stress on discontinued use of social networking services: a study of Facebook use. Information Systems Journal.
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Seite 154356, aktualisiert 29.09.2022