Was und wie erzählen wir von der Archäologie?

Warum der Schutz des Kulturerbes eine moderne Wissenschaftskommunikation braucht

Eine alte Vase steht auf einem Tisch.
  • Forschung
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  • 11.09.2023
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  • Viviane Diederich, Rainer Schreg
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  • Lesedauer: 5 Minuten

Das archäologische Kulturerbe hat ein Problem: Funde werden zwar als emotionalisierendes Sammlungsobjekt geschätzt, ihr langfristiger, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Wert wird jedoch kaum wahr¬genommen. Archäologie gilt der Öffentlichkeit und der Politik als spannend, jedoch wenig relevant. Um
archäologisches Erbe adäquat zu erhalten, müssen innerhalb des Fachs und in der Lehre das Bewusstsein für Wissenschaftskommunikation und für die Bedeutung historischer Erkenntnis geschärft werden.

Prinzipiell erfährt Archäologie eine positive Resonanz in der Gesellschaft: Fernsehserien, zunehmend aber auch Podcasts oder Social-Media-Kanäle finden ihr Publikum. Klassische Ausstellungen zu archäologischen Themen haben durchaus beachtliche Besucherzahlen, und immer wieder finden Sachbücher ihren Weg in die Bahnhofsbuchhandlungen und Bestsellerlisten. Die Frau oder der Mann vom Fach bekommen häufig zu hören: „Archäologie hätte ich auch gern studiert. Dinosaurier haben mich schon immer fasziniert.“ Das große Interesse des Publikums ist toll – aber auch ein Problem. Denn hier werden Halbwissen und Klischees sichtbar, die Archäologie nicht als Wissenschaft, sondern als Hobby, Abenteuer oder gar Schatzsuche ausweisen. Funde dienen nur dem kurzfristigen Vergnügen, archäologie-affine Hobbies werden immer populärer: Die Inszenierung historischer Begebenheiten (Reenactment) oder das Suchen mit dem Metalldetektor ziehen Zehntausende an.

Sensationsberichterstattung über Schatzfunde beziehungsweise zu Schätzen stilisierte Funde wirkt motivierend, und so steigt die Zahl jener rasant an, die – leider zumeist illegal – mit dem Metalldetektor auf die Suche gehen und archäologische Stätten ausplündern. Inzwischen ist ein großer Markt mit archäologischen Funden, vor allem auch Münzen, entstanden, die, ihrer Provenienz beraubt, ihren wissenschaftlichen Wert weitgehend verloren haben. Vieles stammt aus den Krisengebieten des Vorderen Orients und inzwischen auch aus der Ukraine, einiges aber auch aus Franken. Schaden entsteht vor allem an den Fundstellen selbst, denn jedes Loch zerstört Fundzusammenhänge wie Schichtlagerungen oder auch Verteilungsmuster, mit denen man zum Beispiel Hausstandorte oder Siedlungsverlagerungen erkennen könnte.

Kulturerbe als Quelle historischer Erkenntnis

Funde sind keine isolierten Objekte, sondern Teil des archäologischen Quellenfundus. Dazu gehören auch Befunde wie Mauern, unscheinbare Erdschichten oder einfach räumliche Beziehungen. Erst sie geben dem Einzelobjekt eine historische Bedeutung und machen es zu einer Quelle. Letztlich geht es weder um den Topf noch um die Brosche noch um die Goldmünze. Es geht um das Verständnis vergangener Gesellschaften und damit zugleich um das Hier und Jetzt. Archäologie, wie die historischen Wissenschaften überhaupt, schafft Orientierungswissen, das uns in Krisen beispielsweise helfen kann, Risiken zu erkennen. Archäologie liefert uns bisweilen sogar konkrete Ideen für nachhaltige Techniken etwa in der Landwirtschaft oder auch im Bauwesen. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit schärft zudem ein Bewusstsein für Zeitdimensionen, das Voraussetzung ist, eine nachhaltige Zukunft zu gestalten.

Archäologie ist mit ihren Aussagen stets politisch, da der Vergangenheit grundlegende Bedeutung für moderne Identitäten zukommt. Eine politische Instrumentalisierung der Vergangenheit durch Nationalisten und Populisten aller Art ist daher nicht ungewöhnlich. Die Rolle der Germanen in der NS-Ideologie ist ein warnendes Beispiel für die identitätsstiftende Aufgabe, die der Archäologie auch heute immer wieder zugewiesen wird. Aufgabe der Wissenschaft kann es allenfalls sein, Mythen zu dekonstruieren, nicht aber solche zu schaffen. Das ist leider kein forschungsgeschichtliches Thema, denn aktuell nutzt die Neue Rechte das Phänomen der Living History und versucht, ihre Ideen und Symbole wieder als althergebracht ‚germanisch‘ darzustellen. Beachtet werden sollte auch, dass Vladimir Putin im Großreich der frühmittelalterlichen Kiewer Rus – bekannt nicht zuletzt durch archäologische Zeugnisse – eine Rechtfertigung seiner Eroberungspläne in der Ukraine sieht.

Nur eine wissenschaftlich betriebene Archäologie, die die Überreste als historische Quelle einer nüchternen Rekonstruktion vergangener Gesellschaften sieht, kann solchen Instrumentalisierungen etwas entgegensetzen und wird damit auch zu einem wesentlichen Element einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft.

Gefahren für das Kulturerbe

Raubgräber sind mit ihren Aktivitäten eine Gefahr für das Kulturerbe, aber natürlich nicht die einzige. Industrie- und Neubaugebiete, außerdem Verkehrs- und Infrastrukturtrassen greifen um sich und überformen auch archäologische Stätten. Das bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz spricht von einem Flächenverbrauch allein in Bayern von 15 Fußballfeldern (10,3 ha) pro Tag.

Auch in den Städten ist das Kulturerbe bedroht. Die Struktur einer Stadt und ihrer Bauten wird fortwährend an die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasst und ist damit ein sich stets verändernder Lebensraum. Diese Veränderungen betreffen nicht nur historische Baudenkmäler, sondern auch die unterirdisch verborgenen archäologischen Überreste, die bei Baumaßnahmen zerstört werden.

Archäologische Denkmalpflege

Seit mehr als 100 Jahren gibt es eine staatliche Denkmalpflege, die im föderalen Deutschland unter die Kulturhoheit der Länder fällt. In vielen historischen Städten wurde eine Stadtarchäologie als lokale Instanz geschaffen, die oft eng verzahnt mit der Unteren Denkmalschutzbehörde archäologische Rettungsgrabungen organisiert. Wo die Zerstörung des Bodendenkmals durch Baumaßnahmen nicht vermieden werden kann, sorgt sie wenigstens für eine Dokumentation des Bodenarchivs.

Durch das sogenannte Verursacherprinzip zieht der Gesetzgeber in den meisten Bundesländern die Bauherrinnen und Bauherrn als Verursacher für die Kosten der archäologischen Untersuchungen heran, die heute zumeist durch kom­merzielle Grabungsfirmen übernommen werden. Problematisch an dieser kommerziellen Archäologie ist, dass für den Verursacher keine Wertschöpfung erkennbar ist. Er soll die Ausgrabung bezahlen, doch bleiben Funde und Befunde ohne eine wissenschaftliche Auswertung weitgehend bedeutungslos. Am Ende der Notgrabung steht im Regelfall kein erkennbarer Erkenntnisgewinn.

Für die Denkmalpflege entsteht daraus ein erheblicher Kommunikationsbedarf, der – will man den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur Paragraphen vorhalten – nur bedingt von einer archäologischen Wissenschaftskommunikation zu trennen ist. Rechtfertigen lassen sich die Kosten nämlich nur durch das Forschungspotential.

Bedeutung vermitteln – Kulturgut erhalten und schützen

So bestehen heute viele neue Herausforderungen für die archäologische Wissenschaftskommunikation: Kommerzialisierung, Medialisierung, Emotionalisierung und auch eine Bürokratisierung im Umgang mit dem Kulturerbe haben neue Felder der Wissenschaftskommunikation geschaffen. Um Kulturerbe adäquat zu erhalten, muss Archäologie ergänzend zu ihren traditionellen Vermittlungsformen wie Ausstellungen und populärwissenschaftlichen Publikationen ganz grundlegend als Wissenschaft – und das Kulturerbe als historische Quelle vermittelt werden. Es ist Aufgabe aller, die sich für Kulturgut einsetzen, den Quellenwert archäologischer Funde und deren Bedeutung für die moderne Gesellschaft aufzuzeigen, um eine Wertschätzung und den aktiven Erhalt zu unterstützen.

Deshalb muss auch im universitären Archäologiestudium für Wissenschaftskommunikation sensibilisiert werden und genau hinterfragt werden, welche Erzählstrategien den beständigen Wert des Kulturguts deutlich machen und es ermöglichen, die Komplexität und die zeitlichen Dimensionen der Vergangenheit zu vermitteln. Hier wird Wissenschaftskommunikation zur Herausforderung: Ihr Erfolg hängt entscheidend von der Bereitschaft und dem Enthusiasmus der einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ab. Moderne Wissenschaftskommunikation muss dabei nicht zwangsläufig im virtuellen Raum stattfinden: Um mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen, ist der Aspekt der persönlichen und räumlichen Nähe weiterhin besonders wertvoll.

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Seite 158754, aktualisiert 11.09.2023