"Für mich ist Wissenschaftlerin zu sein einer der schönsten Berufe, die es gibt."

Politikwissenschaftlerin Carina Schmitt spricht über interdisziplinäres Forschen und die Instrumentalisierung von Sozialpolitik.

Portrait Carina Schmitt
  • Menschen
  •  
  • 20.09.2022
  •  
  • Tanja Eisenach
  •  
  • Lesedauer: 6 Minuten

Seit 1. April 2022 ist Dr. Carina Schmitt Inhaberin der Professur für Politikwissenschaft, insbesondere international vergleichende Politikfeldanalyse. Sie folgt auf Prof. Dr. Thomas Rixen, der an das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin gewechselt ist. Im Interview erzählt die ehemalige Schreinerin, warum Geschichts- und Politikwissenschaft sich produktiv ergänzen und Sozialpolitik oft wenig mit Gutmenschentum zu tun hat.

Warum sind Sie Professorin geworden, liebe Frau Schmitt?

Carina Schmitt: Ich wollte wissen, warum Politik und Gesellschaft so funktionieren, wie sie funktionieren. Den Dingen auf den Grund gehen kann man aus meiner Sicht in der Wissenschaft am besten. Wenn es mir überdies gelänge, mit meiner Forschung in diese Felder hinein zu wirken und Impulse für positive Veränderungen zu geben, würde mich das sehr freuen.

Abseits der Wissenschaft ist es mir sehr wichtig, Studierende und Mitarbeiter*innen zu fördern und sie auf ihrem Weg motivierend zu begleiten. In meiner wissenschaftlichen Laufbahn habe ich die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, Menschen zu begegnen, die das eigene Interesse spiegeln und die persönliche Begeisterung aufgreifen und weiterentwickeln. Diese Erfahrung möchte ich gerne weitergeben.

Gab es in Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn einen Punkt, an dem Sie gezweifelt haben, ob der Weg der richtige für Sie ist?

Was mich gerade in der Post-Doc-Phase oft zum Nachdenken gebracht hat, ist die Erfahrung, dass Wissenschaft bisweilen sehr selbstbezogen ist. Ich bin ein sehr naturverbundener Mensch, habe vor meinem Studium eine Schreinerlehre gemacht. Da tauchte manchmal die Frage auf, ob es nicht sinnvoller wäre, einen Beruf auszuüben, bei dem ich körperlich aktiver sein und Menschen konkret helfen kann. Letzten Endes haben sich meine Neugierde und mein Spaß am Entdecken von neuen Themen und Zusammenhängen durchgesetzt. Für mich ist Wissenschaftlerin zu sein einer der schönsten Berufe, die es gibt.

Wie kommt man von einer Schreinerlehre an die Universität?

Ich wollte unbedingt lernen! Während meiner Lehrlingszeit habe ich fast mein ganzes Geld für Sachbücher zu Geschichte und Politik ausgegeben. Die Universität als Ort kennenzulernen, an dem dieses Wissen entsteht und Intellektuelle wie Simone de Beauvoir und andere Menschen wirkten, die mich in meiner Jugend begeistert haben, empfand ich als spannend und reizvoll. Ich habe dann Geschichte und Politik in Mainz studiert und die beiden Fächer schlussendlich mit meiner dritten Leidenschaft Mathematik verbunden.

Sie untersuchen also historische-politische Fragestellungen mithilfe statistischer Analysen?

Genau. Gerade an den aktuellen globalen Krisen sieht man, wie wichtig es ist, über den Tellerrand westlicher Industrienationen und in die Vergangenheit zu blicken. Erst wenn man weiß, warum bestimmte Entwicklungen und Situationen entstanden sind, lassen sich Stellschrauben identifizieren, an denen man drehen muss, um Probleme in der Gegenwart zu lösen. Hinzu kommt noch mein empirisch-analytisches Verständnis von Wissenschaft, weshalb meinen Forschungen entsprechende theoriegeleitete Methoden zugrunde liegen.

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich?

An meiner Professur geht es ganz allgemein um Policyforschung. Wir untersuchen, warum die Politik das macht, was sie macht – und welche Auswirkungen das hat. Dabei beschäftigen wir uns mit der Finanz-, Wirtschafts- und insbesondere der Sozialpolitik. Wir fragen uns unter anderem, warum Staaten Rentensysteme einführen oder wir in Deutschland je nach Berufsgruppe unterschiedliche soziale Sicherungssysteme haben – wie gesetzliche und private Krankenkassen. Uns interessieren auch die jeweiligen Konsequenzen im Hinblick auf bestimmte Fragestellungen, zum Beispiel, inwiefern der Mindestlohn soziale Ungleichheit entstehen lässt oder bekämpft.  

An welchen Projekten forschen Sie aktuell?

Derzeit leite ich ein Teilprojekt des an der Universität Bremen angesiedelten Sonderforschungsbereichs „Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik“. Darin untersuchen wir die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf die Großzügigkeit und den Umfang der Sozialpolitik der an den Konflikten beteiligten Ländern – vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Oft wurde Sozialpolitik eingeführt, um militärische Ziele zu verwirklichen oder die Auswirkungen bewaffneter Konflikte abzuschwächen. Der Schwerpunkt liegt auf möglichen Zusammenhängen zwischen Konflikten und der Alterssicherung, dem Gesundheitssystem sowie den Familien-, Arbeitslosen- und Kriegsopferleistungen.

Im zweiten Projekt, einem ERC Starting Grant, beschäftigen wir uns mit der Frage, wie in den ehemaligen Kolonien Sozialpolitik entstanden ist. Es lässt sich derzeit in vielen Ländern beobachten, dass Sozialpolitik Armut und Ungleichheit verstärkt. Viele soziale Sicherungssysteme sind in der Kolonialzeit entstanden. Deshalb müssen wir auch hier in der Geschichte zurückgehen, wenn wir die Ursachen verstehen wollen. Wir konnten herausfinden, dass Sozialpolitik zumeist nicht den Effekt hat, dass von oben nach unten umverteilt wird. Oft ist es anders herum und sie führt, wie am Beispiel der Kolonien zu sehen ist, dazu, dass die Privilegierten noch mehr profitieren.

Werfen wir einen Blick über die Forschung hinaus. Was ist Ihr Selbstverständnis von guter Lehre?

Studierende brauchen aus meiner Sicht neben einem Grundverständnis von Politikwissenschaft den Mut und die Bereitschaft, sich in diesem Netz individuell zu verankern und eigenen Fragestellungen nachzugehen. Diese Schlüsselkompetenzen versuche ich zum Beispiel in meinen Forschungsseminaren zu stärken. Die Studierenden untersuchen hierbei Themen selbstständig, erarbeiten sich den Literaturstand, entwickeln eine eigene Fragestellung und wenden empirische Methoden an.

Was ist Ihnen im persönlichen Umgang mit Studierenden wichtig?

Respekt ist mir sehr wichtig. Ich verstehe meine Lehrveranstaltungen als geschützte Räume, in denen man sich frei von Wettbewerbsgedanken ausprobieren kann und Studierende und Lehrende sich gegenseitig unterstützen. An meiner Professur arbeite ich mit flachen Hierarchien und mit Menschen unterschiedlicher Qualifizierungsstufen, weil ich davon überzeugt bin, dass kluge Gedanken nicht vom Grad der Qualifikation abhängen. Ein respektvolles Miteinander sehe ich auch insgesamt an der Universität Bamberg verwirklicht. Das war eine Voraussetzung dafür, dass ich mich überhaupt nach Bamberg beworben habe. Ich fühle mich hier sehr wohl und das möchte ich gerne zurückgeben.

Vielen Dank für das Interview!

nach oben
Seite 153982, aktualisiert 20.09.2022