Im Interview: Neuer Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur

Jörn Brüggemann will Lehrkräfte bei der Integration digitaler Medien in den Fachunterricht unterstützen.

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  • 06.06.2023
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  • Hannah Fischer
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  • Lesedauer: 6 Minuten

In Bamberg sucht Prof. Dr. Jörn Brüggemann neue Herausforderungen in der empirischen Bildungsforschung. Er hat seit Oktober 2022 den Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur inne und ist damit der Nachfolger von Prof. Dr. Ulf Abraham, der sich seit 2020 im Ruhestand befindet. Obwohl Jörn Brüggemann noch nicht lange in Bamberg ist, hat er schon ein großes Forschungsprojekt in die Welterbestadt geholt, das sich zum Ziel setzt, Lehrkräfte im Bereich eines digitalen und digital gestützten Fachunterrichts zu professionalisieren. Im Interview berichtet Brüggemann unter anderem von diesem Projekt, von seinen Forschungsschwerpunkten und warum man heute aus seiner Sicht Deutsch auf Lehramt studieren sollte.

Lieber Herr Brüggemann, Sie sind noch nicht lange an der Universität Bamberg, aber haben vor Kurzem ein großes Forschungsprojekt an Land gezogen. Worum geht es?

Jörn Brüggemann: Ausgangspunkt des Projekts ist der Umstand, dass deutsche Lehrer*innen im internationalen Vergleich eine starke Zurückhaltung gegenüber neuen digitalen Medien im Fachunterricht zeigen. Der Bund hat beschlossen dieser Zurückhaltung mit der Einrichtung von Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten entgegenzuwirken. Diese Zentren haben die Aufgabe, Fort- und Weiterbildungsmodule für Lehrer*innen in den verschiedenen Fächern zu entwickeln, forschungsgestützt zu implementieren und dann bundesweit zur Verfügung zu stellen. Das Bamberger Projekt zielt inhaltlich auf das Fächerspektrum der Sprachen, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften. Im Zuge des Projekts entstehen Fort- und Weiterbildungsmodule in neun Fach- beziehungsweise Lernbereichen. Dabei kooperieren drei Entwicklungsforschungs- und Transfergruppen mit jeweils besonderer Expertise: So arbeiten Fachdidaktiker*innen mit Lehrer*innen und Fachberater*innen bei der Entwicklung, Durchführung und Evaluation fachspezifischer Fort- und Weiterbildungsmodule zusammen. Sie werden unterstützt von einem Team, das technologisch-konzeptionellen Support bereitstellt, und einem Team, das kontinuierliche Evaluationsmaßnahmen unterstützt und koordiniert. In dem Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit mehr als 6 Millionen Euro gefördert wird, arbeite ich mit Kolleg*innen der Universität Bamberg, des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi) sowie aus anderen Universitäten bayern- und deutschlandweit zusammen.

Wie fügt sich das Projekt in Ihre Forschungsschwerpunkte ein?

In den vergangenen Jahren habe ich einen Forschungsschwerpunkt im Bereich der Lehrkräfteprofessionalisierungsforschung für mich erschlossen. Dabei geht es mir zum Beispiel um die Untersuchung und Erweiterung von Einschätzungen und Fähigkeiten im Umgang mit literarischer Mehrdeutigkeit, aber auch um verbreitete Einstellungen gegenüber digitalen Medien, die sich auf deren Integration in den Deutschunterricht auswirken. Hier knüpft das BMBF-Projekt in gewisser Weise an. Meine Schwerpunkte liegen außerdem im Bereich der empirischen Kompetenz- und Unterrichtsforschung und damit zusammenhängend auch in der Aufgabenentwicklung und der Aufgabenforschung für den Deutschunterricht. Bereits seit meiner Promotion beschäftige ich mich darüber hinaus mit der Geschichte des Literaturunterrichts.

Welcher Weg hat Sie nach Bamberg geführt?

Zunächst habe ich Deutsch und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und zu einem fachgeschichtlichen Thema promoviert. Das Referendariat habe ich an einer kooperativen Gesamtschule in Schleswig-Holstein absolviert. Anschließend habe ich sechs Jahre lang als Studienrat in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gearbeitet. Davon war ich allerdings die letzten fünf Jahre mit einer halben Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter teilabgeordnet an den Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, bevor ich 2014 einen Ruf der Universität Oldenburg auf die Professur für Didaktik der deutschen Literatur unter Einschluss der Mediendidaktik angenommen habe. In den vergangenen Jahren habe ich in Oldenburg unter anderem die Forschungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur, das Institut für Germanistik und das Zentrum für Lehrkräftebildung geleitet. 2022 war es dann Zeit für eine neue Herausforderung. Seitdem leite ich den Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur in Bamberg.

Warum haben Sie sich für Bamberg entschieden?

Es gibt hier eine sehr starke empirische Bildungsforschung, die mir interessante Kooperationsmöglichkeiten eröffnet. Ich hatte vorher noch keine Verbindung zur Universität, wurde aber sofort sehr herzlich im Institut für Germanistik, in der Fakultät und im Zentrum für Lehrerinnen und Lehrerbildung aufgenommen. Das hat mir geholfen, hier schnell anzukommen. Dementsprechend freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen, insbesondere aus der Lehrerinnen- und Lehrerbildung und aus der Germanistik.

Was ist Ihnen in der Lehre besonders wichtig?

Ich versuche bei meinen Studierenden Interesse zu wecken für das sprachliche, literarische und mediale Leben der Gegenwart und aufzuzeigen, welche Chancen und Herausforderungen das bietet. Das bedeutet, dass ich neben den historischen Perspektiven immer auch aktuelle Texte, Diskurse und Kontroversen zum Thema mache. Wichtig ist mir, die Lehre forschungsbezogen zu gestalten, damit Studierende lernen, ihre fachbezogenen Einschätzungen und Entscheidungen mit Blick auf die Befunde wichtiger Studien zu begründen und um sich mit den Grenzen ihrer Aussagekraft auseinanderzusetzen.

Ich glaube, dass gegenwärtig eine große Herausforderung der Lehrkräftebildung in der digitalen Transformation des Fachlichen besteht. Diese muss sich in der Lehre niederschlagen, damit unsere Studierenden befähigt werden, künftig auch an den Schulen die Digitalisierung vom Fach aus mitzugestalten. In diesem Sinne ist mein Ziel einerseits, dass Studierende lernen, wie man die Kompetenzen, die ohnehin laut Bildungsstandards und Lehrplänen vermittelt werden müssen, auch digitalgestützt vermitteln kann. Andererseits ist es mir wichtig, die Studierenden darauf aufmerksam zu machen, dass es fachspezifische digitale Kompetenzen gibt, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Wir vermitteln im Deutschunterricht seit langem Fähigkeiten im Bereich des Lesens, des Schreibens, des Erzählens und des Interpretierens. Darüber hinaus gibt es aber auch Fähigkeiten des digitalen Lesens, des digitalen Schreibens, des digitalen Erzählens und Gestaltens – und diese sind nicht identisch mit analogen Formen.

Warum sollte man heute Ihr Fach studieren?

Weil das Wissen, das Schüler*innen im Deutschunterricht erwerben, zentral ist für jeden Bildungsweg. Befunde aus nationalen und internationalen Vergleichsstudien zeigen, dass unsere Schulen die Schüler*innen nicht alle in dem Maße qualifizieren, wie sie es eigentlich sollten. Erst vor Kurzem hat der IQB-Bildungstrend wieder gezeigt, dass knapp 19 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in der vierten Klasse den Minimalstandard im Bereich Lesen verfehlen, gut 18 Prozent verfehlen ihn im Bereich des Hörverstehens und der Zuhörkompetenzen und rund 30 Prozent im Bereich Orthografie. Am Ende der Pflichtschulzeit sind es seit Jahren mehr als 20 Prozent, die die Schule verlassen, ohne die Mindeststandards im Bereich der Lesekompetenz zu erreichen. Wer nach Wegen sucht, diese Zustände zu verbessern und Chancengerechtigkeit im Bildungswesen erhöhen möchte, der sollte über ein Studium des Fachs Deutsch auf Lehramt nachdenken. Abgesehen davon ist die Germanistik das Fach mit den schönsten und spannendsten Gegenständen!

Vielen Dank für das Interview!

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Seite 158283, aktualisiert 06.06.2023