„In Kunstwerken liegt ein besonderer Zugang zur Welt“

Der neue Professor für Kunstgeschichte Andreas Huth stellt sich vor.

Andreas Huth lächelt in die Kamera.
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  • 20.09.2023
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  • Lesedauer: 7 Minuten

Die Kombination aus Restaurierung und Kunstgeschichte, die den beruflichen Werdegang von Prof. Dr. Andreas Huth kennzeichnet, war die Empfehlung für seine Berufung auf die Professur für Kunstgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der künstlerischen Techniken. Die Universität Bamberg ist die einzige Hochschule in Deutschland, die diesen Schwerpunkt so klar schon in der Denomination der Professur nennt. Seit April 2023 hat Andreas Huth die Professur inne. Im Interview verrät er unter anderem, wie es dazu kam, zu welchen Schwerpunkten er forscht und welches Kunstwerk ihn aktuell beschäftigt.

Sie sind jetzt Professor in Bamberg. Hatten Sie vorher schon eine Verbindung zur Stadt?

Andreas Huth: Die Stadt Bamberg hatte ich früher schon einmal besucht und fand sie – das ist wohl wenig überraschend – sehr pittoresk. Mir fielen auch gleich wunderbare Details ins Auge: hier eine alte Tür, dort ein geschmiedetes Gitter, da ein Madonnenbild über einem Eingang. Gleichzeitig wirkte die Stadt auf mich sehr lebendig: kein urbanes Museum, sondern ein bewohnter Ort. Dass ich hier jetzt Professor bin, ist für mich ein großes Glück. Bis vor zwei Jahren habe ich übrigens nicht geglaubt, dass sich mir irgendwann einmal eine solche Möglichkeit bieten würde. Ich war eher auf die übliche akademische Prekarität, auf weitere befristete Stellen eingestellt.

Was denken Sie, hat zu diesem Glücksfall beigetragen?

Ich denke, dass ich in Bamberg unter anderem deshalb ausgewählt wurde, weil ich neben Kunstgeschichte auch Restaurierung studiert habe und in diesem Bereich viele praktische Erfahrungen sammeln konnte. Außerdem passte natürlich der kunsttechnologische Schwerpunkt meiner Forschung zur ausgeschriebenen Stelle. Die Kunstwissenschaften befassen sich zwar seit zwei, drei Jahrzehnten intensiver mit dem „Machen“ und dem „Gemachtsein“ von Kunst – aber die einzige Professur in ganz Deutschland, die ebendiese Fragen in den Mittelpunkt stellt und sogar in der Denomination nennt, gibt es in Bamberg. Das ist mutig – und eine kluge Entscheidung.

Warum zuerst Restaurierung und dann Kunstgeschichte?

Mich hat die praktische Arbeit am und mit dem Objekt interessiert. Nach mehrjährigen Praktika bewarb ich mich an der FH Potsdam für ein Restaurierungsstudium und spezialisierte mich dort auf Wandmalerei und Architekturfarbigkeit. Anschließend habe ich als freiberuflicher Restaurator in Klöstern, Schlössern und Gutshäusern gearbeitet; in Berlin leitete ich eine Untersuchungskampagne im Schadow-Haus und war an der Restaurierung des Neuen Museums beteiligt – das waren wirklich spannende Projekte. Parallel habe ich angefangen an der Humboldt-Universität Kunstgeschichte zu studieren, weil mich dieses Fach schon vorher begeistert hat. Zu einer ernsthaften Option wurde es aber erst, als ich als studentischer Mitarbeiter bei einer Forschungsdatenbank an der HU und kurz darauf am Kunsthistorischen Institut in Florenz arbeiten konnte. Vielleicht ein bisschen kitschig: aber der Zauber von Florenz tat ein Übriges.

Mein Studium habe ich mit einer Arbeit über die Sgraffito-Gestaltung einer Florentiner Villa des 15. Jahrhunderts abgeschlossen. Sgraffito ist eine geritzte Putzdekoration, die um 1300 in Florenz aufkam, heute aber aus dem Stadtbild weitgehend verschwunden ist. Die punktuelle Untersuchung erweiterte ich anschließend zu einem Dissertationsprojekt, das sich 2016 abschließen konnte. Bis zu meinem Wechsel nach Bamberg arbeitete ich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin, wo die Kunsthistorikerin Magdalena Bushart die „techne“ der Künste zu einem eigenen Forschungsbereich entwickelt hatte.

Wo liegen Ihre Forschungsschwerpunkte?

Zum einen beschäftige ich mich weiter mit der Kunst und Architektur in Italien, vor allem im 15. und 16. Jahrhundert, wie gehabt mit Fokus auf der Herstellung, aber auch mit einem kritischen Blick auf die tradierten wissenschaftlichen Konzepte von Meister- bzw. Autorschaft und der so genannten „Renaissance“. Dann interessiert mich – das ist Schwerpunkt zwei – der Eigenanteil des Materials an der Entstehung von Kunstwerken. Wir gehen immer davon aus, dass Künstler*innen ihr Material nach ihrem Willen formen können. Aber so einfach ist das nicht. Ein harter Stein widersetzt sich der Bearbeitung, ein weiches Material wie etwa handwarmes Bienenwachs ist viel zugänglicher als ein Marmorblock. Und auch Farben haben Eigenschaften, denen sich Künstler*innen fügen müssen. Die Frage ist also: Wie trägt das Material zur Form eines Kunstwerks bei? Mein dritter Schwerpunkt lässt sich als Erforschung der „Kunst der Revolte“ oder, in einem weiteren Sinne, von Bildern sozialer und gesellschaftlicher Konflikte beschreiben. Das können Plakate, Fotos und alle möglichen Formen von Street Art sein, aber auch praktische Aktionsformen wie Demos, Straßentheater und Happenings. Wenn sich Aktivist*innen der Letzten Generation an Gemälden ankleben, kommen sogar die sogenannte „Hochkunst“ und die politische Perfomance zusammen. Kunst ist jedenfalls nicht nur das, was in Galerien und Museen eingesperrt ist.

Können Sie von einem aktuellen Forschungsprojekt berichten?

Mit Kolleg*innen vom Bode-Museum und der TU Berlin erforsche ich gerade ein über 500 Jahre altes Relief, das die Madonna mit ihrem Kind zeigt. Bei ihm handelt es sich um einen sorgfältig bemalten Gipsabguss – vielleicht nach einem ebenfalls erhaltenen Marmorrelief. Wir untersuchen zum einen, ob die Stücke miteinander in Beziehung stehen und zum anderen, welchen eigenen Wert das Gipsrelief hat. Bisher gelten solche Gipsabgüsse ja als drittrangige Kopien und nur die Marmorreliefs als „echte“ Kunst – diese Sicht ist jedoch längst überholt. In unserem Projekt geht es uns auch darum, etwas über die Herstellung des Kunstwerks herauszufinden, wozu wir es gründlich analysieren. Hierbei hilft uns auch der Blick auf eine besondere Quelle: Der für die Bemalung und Vergoldung zuständige Künstler hat ein Rechnungsbuch geführt, das in einem Archiv in Florenz liegt. Aus dem Buch wissen wir, wann genau der Künstler am Relief gearbeitet hat, wie viel Geld er dafür bekam, ja er hat sogar einige der benutzten Farben genannt. 

Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?

Zwei Dinge: Kompetenzen und Grundwissen – auch wenn das vielleicht banal klingt. Mit Kompetenzen meine ich unter anderem die Fähigkeit, Kunstwerke zu beschreiben, hieraus Perspektiven zu entwickeln und diese dann wissenschaftlich zu bearbeiten. Solche Perspektiven können Fragen nach den spezifischen Interessen der Auftraggeber*innen oder Käufer*innen von Kunstwerken, nach der Ikonografie, nach Korrespondenzen und Konkurrenzen zwischen Künstler*innen oder eben nach der Herstellung und den verwendeten Materialien sein. Auch Fragen des Geschlechts und des sozialen Status der Produzent*innen und des Publikums, von Kulturtransfer, Kunstmarkt und Rezeption sind mögliche Perspektiven. Die Untersuchung solcher Fragen gelingt leichter mit einem möglichst breiten Grundwissen, dessen Konturen jedoch unscharf und aktuell Gegenstand intensiver Diskussionen sind: Was ist notwendig, was kann man nachschlagen, was gehört zum kulturellen Kanon? Wie gehen wir mit gesellschaftlichen Veränderungen um? Seit Jahren schwindet beispielsweise die früher vorausgesetzte Vertrautheit mit christlichen Glaubenspraktiken und der biblischen Mythologie: Wie reagieren wir darauf in der Lehre? 

Warum sollte man aus Ihrer Sicht heute Kunstgeschichte studieren?

Ich glaube, dass in Kunst – vor allem, wenn man damit nicht nur die üblichen „Meisterwerke“ meint –  ein besonderer Zugang zur Welt liegt, der nicht nur ästhetisch, sondern auch intellektuell, kulturell, gesellschaftlich und wissenschaftlich herausfordernd ist. Kunstwerke sagen uns unendlich viel über die Vergangenheit, aber auch über unsere Gegenwart. Nicht in dem Sinne, dass dort irgendwelche „Lehren“ für das Heute zu finden sind, sondern eher über das Machen und Sehen von Kunst, das Zeigen und Verstecken, Erhalten und Zerstören und das Verkaufen und Verweigern; die Auseinandersetzung mit Kunst ist deshalb in jeder Hinsicht eine Bereicherung. Kunstwissenschaftliche Forschung bringt jedenfalls mehr als ein paar dürre Informationen auf einem Schildchen im Museum. Elfenbeinturm war gestern.

Vielen Dank für das Interview!

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Seite 160814, aktualisiert 20.09.2023