„Ich war nie wirklich weg aus Bamberg“

Yuliya Kosyakova ist neue Professorin für Migrationsforschung

Die neue Professorin für Migrationsforschung Yuliya Kosyakova steht vor einer Wand.
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  • 21.04.2023
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  • Hannah Fischer
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  • Lesedauer: 6 Minuten

Prof. Dr. Yuliya Kosyakova ist seit Januar 2023 Professorin für Migrationsforschung an der Universität Bamberg und zugleich Leiterin des Forschungsbereichs Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Auch wenn sie vor dieser doppelten Aufgabe sehr großen Respekt hatte, entschied sich Yuliya Kosyakova für eine Bewerbung, weil sie Herausforderungen liebt. Und so führte sie ihr Weg nicht zum ersten Mal nach Bamberg. Warum die gebürtige Ukrainerin nie wirklich aus der Welterbestadt weg war, was sie in ihrem Job antreibt und inwiefern ihre eigene Migrationsgeschichte bei der Arbeit hilft, verrät Yuliya Kosyakova im Interview.

War für Sie schon früh klar, dass Sie Professorin werden wollen?

Yuliya Kosyakova: Wenn ich vor 22 Jahren gefragt worden wäre, ob ich mir vorstellen könne, Professorin zu werden, dann hätte ich gelacht. Damals war ich ein typisches Mädchen, das gerne auf Partys gegangen ist und dem Gedanken an eine wissenschaftliche Karriere nicht viel abgewinnen konnte. Zu jener Zeit war die Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch sehr konservativ und die Rolle der Frau war stark durch den Haushaltskontext geprägt. Mit dieser traditionellen Vorstellung im Gepäck kam ich nach Deutschland. Im Laufe der Jahre haben sich meine Einstellungen, Ziele und Wünsche verändert. Die verschiedenen Stationen in und außerhalb Bambergs haben mir zunehmend Selbstvertrauen gegeben und meine Ambitionen befeuert. Auf die Professur habe ich mich beworben, als sie zum zweiten Mal – diesmal auch in Soziologie – ausgeschrieben wurde. Das besondere an dieser Professur ist die parallele Aufgabe als Forschungsbereichsleitung am IAB, die zusätzlich sehr spannend aber auch herausfordernd ist. Interessanterweise haben ausschließlich Frauen für die Professur vorgesungen, darunter auch zwei Schwangere, von denen ich eine war. Als Frau, Mutter und Migrantin hatte ich jedoch zunächst Bedenken, ob ich überhaupt für eine solche Stelle in Frage kommen würde. Daher war es umso erfreulicher zu sehen, dass die Bewerbungsrunde so vielfältig zusammengesetzt war.

Sie sprechen von mehreren Stationen in Bamberg. Welcher Weg hat Sie in die Welterbestadt geführt?

Ich würde sagen, dass ich Bamberg nie wirklich den Rücken gekehrt habe. So habe ich im Rahmen meines Bachelor-Studiums in European Economic Studies (EES) ein Jahr in Fribourg in der Schweiz verbracht und dann nach dem Abschluss eine einjährige Pause eingelegt, bevor ich den gleichnamigen Master anschloss. Währenddessen arbeitete ich parallel als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Professor Johannes Schwarze und am IAB und konnte so erste Erfahrungen im wissenschaftlichen Arbeiten sammeln. Das Forschen und Arbeiten im akademischen Umfeld hat mir so viel Freude bereitet, dass ich mich schließlich dazu entschloss, zu promovieren. In diesem Zusammenhang war ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin auch am Projekt eduLIFE beteiligt, das unter der Leitung von Professor Hans-Peter Blossfeld stand. Das Projekt, das sich in der Soziologie verortete, wurde mit einem ERC-Grant gefördert und thematisierte Bildung als lebenslangen Prozess. Für meine Promotion und im Rahmen des Projekts verbrachte ich zudem vier Jahre in Florenz. Durch meine breit gefächerte akademische Ausrichtung – angefangen bei einem Ökonomie-Studium über die Beschäftigung mit Survey Methodology im Master bis hin zur Promotion in der Soziologie – konnte ich eine Vielzahl von Fähigkeiten und Perspektiven erlangen, die mir in meiner Karriere und in meinen Forschungen immer wieder von Vorteil waren.

Wie ging es nach der Promotion weiter?

Während meines letzten Promotionsjahrs in Florenz wurde ich zum ersten Mal Mutter und im Anschluss daran nahm ich eine Stelle beim IAB in Nürnberg an. Dort beschäftigte ich mich inhaltlich mit Migration und Integration und konnte meine Forschungsergebnisse auch in der Politikberatung einbringen. Doch ich war auf der Suche nach neuen Herausforderungen und wollte mich weiterentwickeln, weshalb ich meinen ersten Lehrauftrag in Mannheim annahm. Durch meinen Kontakt zu Professorin Cornelia Kristen aus dem Fachbereich Soziologie der Universität Bamberg erhielt ich schließlich einen weiteren Lehrauftrag in Bamberg. Und dann habe ich mich auf die ausgeschriebene Professur beworben.

Was treibt Sie in Ihrem Job an?

Dass ich selbst Migrantin bin, treibt mich bei meiner Arbeit in der Forschung natürlich besonders an. Vor über 20 Jahren bin ich als jüdischer Kontingentflüchtling gemeinsam mit meiner Mutter aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Eigentlich wollte ich damals gar nicht hierher. Ich war 20 Jahre alt und hatte keinerlei Sprachkenntnisse, musste den typischen und sehr herausfordernden Integrationsprozess durchlaufen. Heute bin ich meiner Mutter jedoch sehr dankbar für diese Entscheidung. Angesichts des Krieges in der Ukraine ist nun auch meine Schwester gemeinsam mit ihrem Sohn und ihrer Tochter nach Deutschland geflohen und ich begleite sie auf ihrem Integrationsweg.

Denken Sie, Ihre eigene Migrationserfahrung nutzt Ihnen in Ihrem Job?

Ich denke, meine Migrationsgeschichte treibt mich in meiner Forschung an und stellt kein Hindernis dar, im Gegenteil: Durch meine eigenen Erfahrungen kann ich gut nachvollziehen, was Diskriminierung bedeutet oder wie es ist, ohne Sprachkenntnisse in einem neuen Land anzukommen und wie lange es dauert, diese zu erwerben. Selbst wenn man auf dem Papier ein C1-Sprachniveau hat, kann es an der Universität nochmal ganz anders sein. Dort wird schnell gesprochen und die Sprache unterscheidet sich oft von der Alltagssprache. Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Semester, als ich fast durch alle Prüfungen fiel. Aber ich bin stolz darauf, dass ich danach in der Vorlesung „Einführung in empirische Sozialforschung“ eine Prüfung mit einer Zwei abgeschlossen habe und damit sogar besser war als viele meiner Mitstudierenden.

Wo liegen Ihre Forschungsschwerpunkte?

Grundsätzlich beschäftige ich mich mit Integrationsprozessen, insbesondere im Hinblick auf die strukturelle Integration, wie Arbeitsmarktzugang. Dabei liegt mein Fokus nicht allein auf dem Arbeitsmarkt selbst, sondern ich betrachte auch alle Faktoren, die den Zugang beeinflussen können. Hierzu gehören beispielsweise Spracherwerb, Bildungsinvestitionen, soziales Kapital, soziale Netzwerke, Einbürgerung sowie die physische und psychische Gesundheit. Durch die Berücksichtigung von verschiedenen Faktoren und Herausforderungen, die die Arbeitsmarktintegration beeinflussen können, wird eine umfassende Perspektive auf das Thema gewonnen. Ein bedeutender Aspekt meiner Forschung ist die Untersuchung von Diskriminierung. In diesem Jahr werden wir dazu auch Betriebe befragen, um herauszufinden, welche Diskriminierungsprozesse bei Einstellungen vorherrschen. Die Untersuchung und Verständnis von Diskriminierungsprozessen bei Einstellungen ist wichtig, um Benachteiligungen abzubauen und Chancengleichheit zu fördern. Dabei liegt unser besonderes Augenmerk auf Diskriminierung hinsichtlich Migrationshintergrund, Geschlecht, Humankapital, Status und Qualifikationen. Die Intersektionalität, also das Zusammenwirken verschiedener Dimensionen von Ungleichheit, ist dabei ein wichtiger Ansatz, um zu verstehen, wie Diskriminierung entsteht und wie sie bekämpft werden kann.

Können Sie von einem ausgewählten Forschungsprojekt berichten?

Ein spannendes Projekt beschäftigt sich mit der Forschung zur sozialen Ungleichheit. Während einer Diskussion mit meinen Kolleginnen im Jahr 2016, als viele Menschen gerade nach Deutschland geflüchtet waren und erste repräsentative Daten zu ihnen vorlagen, hatte ich eine Hypothese. Ich vermutete, dass Personen mit besserer Bildung und mehr sozialen Kontakten bessere Chancen auf einen positiven Bescheid im Asylverfahren haben. Das Asylverfahren ist ein rechtlich geregeltes Verfahren, bei dem es jedoch herausfordernd ist, die Verfolgung im Heimatland zu beweisen. Deshalb hängt der Ausgang des Asylverfahrens auch davon ab, wie logisch, umfassend und widerspruchsfrei die Flucht- bzw. Verfolgungsgeschichte dargestellt wird. Bildung korreliert mit den Fähigkeiten, kohärente und konsistente Geschichten zu erzählen. Es ist auch wahrscheinlich, dass besser ausgebildete Asylsuchende mehr über allgemeine Themen wie Geografie, politische Parteien und Daten von Ereignissen im Herkunftsland wissen. Durch soziale Netzwerke können spezifischere und allgemeinere Informationen zu verschiedenen Aspekten des Asylverfahrens sowie zu Chancen und Hürden, die während des Asylantrags und der Bearbeitung auftreten können, gewonnen werden. Meine Kolleginnen haben meine Hypothese jedoch stark in Frage gestellt, was mich angespornt hat, mich quantitativ mit der Frage zu beschäftigen. In unserem 2020 veröffentlichten Paper zeigen wir, dass Personen mit vergleichsweise schlechter sozialer Einbettung und wenig Humankapital geringere Chancen auf eine positive Entscheidung im Asylverfahren haben. In dieser Hinsicht scheint das Asylverfahren – ähnlich wie andere Verfahren zur Geltendmachung von Ansprüchen – einen Motor für die soziale (Re-)Produktion und Förderung sozialer Ungleichheit aufgrund sozioökonomischer und sozialer Kapitalressourcen darzustellen.

Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?

Ich hege die Hoffnung, dass meine Lehre dazu beitragen kann, Stereotypen aufzubrechen, vor denen selbst Akademiker*innen nicht gefeit sind. Migration ist ein interdisziplinäres Thema von großer Bedeutung für unser Land. Mein Ziel ist es daher, meine Lehre für Studierende aus den Bereichen Soziologie, Politikwissenschaft und Ökonomie zugänglich zu machen. Wir haben eine lange Geschichte der Zuwanderung und stehen aktuell vor einem enormen Fachkräftemangel. Dieser kann nicht mehr allein durch die Aktivierung von Arbeitslosen, Frauen oder älteren Menschen bekämpft werden. Um das Fachkräftepotential aufrechtzuerhalten, benötigen wir jährlich netto 400.000 Personen aus anderen Ländern, was der Einwanderung der erwerbsfähigen Bevölkerung Luxemburgs innerhalb eines oder der Ungarns innerhalb von sieben Jahren entspricht. Doch auch in Europa gibt es bereits einen spürbaren Talentabfluss und andere Länder sind ebenfalls mit Fachkräftemangel konfrontiert. Aus diesem Grund benötigen wir Einwanderung aus Drittstaaten. Mir ist es wichtig, Anekdoten hinter uns zu lassen, um den Studierenden ein Verständnis für die großen Zusammenhänge zu vermitteln. Wir müssen begreifen, dass Migration eine große Herausforderung darstellt und verstehen, warum Menschen gehen oder bleiben, was Menschen mit Migrationshintergrund wichtig ist, was sie mitbringen und was sie benötigen. Es gibt viele Ungleichheiten und Barrieren, die wir erkennen und verstehen müssen, um effektive Lösungen zu finden.

Vielen Dank für das Interview!

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Seite 157660, aktualisiert 21.04.2023