"Meine Mission aufzuklären steht über meiner Angst“

Alumna Natalie Amiri erzählt, wie sie eine der wichtigsten Journalistinnen Deutschlands wurde

Natalie Amiri als ARD-Reporterin im Iran
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  • 06.02.2024
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  • Stephanie Fröba
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  • Lesedauer: 6 Minuten

Wer kennt sie nicht: Natalie Amiri? Seit den Frauen-Protesten im Iran Ende 2022 ist die deutsch-iranische Journalistin, Moderatorin und Bestsellerautorin aus München ein viel gesehener Gast in TV-Talkshows und Diskussionsrunden. Angefangen hat alles an der Universität Bamberg. Hier studierte Natalie Amiri zwischen 1999 und 2005 Orientalistik. Der uni.kat-Redaktion erzählt sie, wie es dazu kam und was der Schlüssel für ihre erfolgreiche Laufbahn war.

Wieso haben Sie sich damalsfür ein Studium in Bamberg entschieden?

Nach dem Abitur bin ich mit meiner Familie und meinem damaligen Geschichtslehrer in den Iran und war fasziniert von diesem Land, das – ausgelöst von den Reformbestrebungen des neuen Präsidenten Mohammed Khatami – in so einer enthusiastischen Aufbruchsstimmung war, dass ich schockverliebt war. Kurze Zeit später begann ich ein Praktikum bei Siemens. Dort erzählte man mir, dass mein Vorgänger in Bamberg Orientalistik studierte, mit Schwerpunkt Iranistik. Bis dahin wusste ich nicht, dass es diesen Studiengang gab. Also habe ich mich in meinem Iranfieber ad hoc dazu entschlossen, dieses Studienfach zu beginnen und landete in Bamberg.

Wenn Sie an Ihre studentischen Anfänge in Bamberg denken, an was erinnern Sie sich persönlich besonders gern?

Als erstes erinnere ich mich an meinen fantastischen Professor Dr. Bert Fragner, bei dem ich Iranistik studierte. Ein ganz besonderer Mensch, der leider mittlerweile verstorben ist. Wir waren anfangs ein überschaubarer, fast familiärer Kreis in der Orientalistik. Ich glaube, als ich anfing, waren wir fünf Erstsemesterstudierende, und zwar verteilt über die Fächer Iranistik, Arabistik und Turkologie. Nach den Terroranschlägen auf die USA am 11. September 2001 war der Zulauf auf den Studiengang Orientalistik plötzlich enorm. Diesen Umschwung mitzuerleben, war spannend.

Wie sah Ihr Weg nach dem Studium aus? Was war Ihrer Meinung nach ausschlaggebend für den Verlauf Ihrer Karriere?

Ausschlaggebend für meine Karriere war kein bestimmter Faktor. Ich hatte auch nie einen Masterplan für mein Leben. Eigentlich habe ich mich eher von den Angeboten, die mir entgegenkamen, inspirieren lassen. Als ich 2005 mein Studium beendet hatte, habe ich meine Möbel verkauft und bin mit 4000 Euro in der Tasche mit Kind und Partner einfach nach Teheran. Dort habe ich in der Deutschen Botschaft einen Job in der Presse- und Politikabteilung bekommen – das war ein großes Glück. Nach kurzer Zeit wurde mir jedoch bewusst, dass das Beamtentum, in dem ich strikt nach Vorgabe arbeite, wie auch immer die politische Ausrichtung des/der Außenminister*in ist, auf lange Sicht nichts für mich ist. Insofern war ich enorm froh als Peter Mezger, der damalige Leiter des ARD-Studios in Teheran, mich fragte, ob ich nicht dort als Producerin anfangen will – ich habe zugesagt und mich in neue Aufgaben gestürzt, ohne vom Journalismus Ahnung zu haben.

Als 2009 Mahmud Ahmadineschād erneut Präsident wurde – ein Großteil der Bevölkerung sagt, weil die Wahlen manipuliert wurden – gab es ein so großes mediales Interesse, dass ich zusätzlich Korrespondentenaufgaben übernahm. Mein damaliger Chef hat mich sehr gefördert und mir alles beigebracht, was sicher auch ein großes Glück für meine Karriere war. Nach zwei Jahren kündigte ich jedoch, weil mir bewusst war, dass ich keine Karriere machen kann, als Producerin. Ich ging zurück nach München. Es folgte eine Anstellung beim Bayerischen Rundfunk als CVD für die Sendung „Rundshow“, die Arbeit bei „Report München“ und dann die Moderation des Weltspiegels in der ARD, eine der wichtigsten Sendungen des deutschen Fernsehens. Das Angebot habe ich angenommen, ohne je moderiert zu haben. Das war eine enorme Herausforderung, denn ich hatte anfangs bei jeder Sendung so viel Panik, dass ich dachte, ich muss sterben.

2015 wurde ich gefragt, ob ich als Studioleiterin das Büro in Teheran übernehmen möchte. So ging ich zurück nach Teheran, um die nächsten fünf Jahre für die ARD aus diesem riesengroßen Land zu berichten. Das bedeutete, dass ich permanent einsatzbereit sein musste, um die vielen Fernseh- und Radiobeiträge liefern zu können. Insofern waren ausschlaggebend für meine Karriere das Glück, das ich immer wieder hatte, gepaart mit meinem Mut, Neues zu wagen. Und dann war’s auch Fleiß: Ich habe in den letzten 15 Jahren vieles entbehrt. Denn wenn man in diesem Job Karriere machen will, muss man auf Urlaub, Wochenende, Familie und Freunde oft verzichten.

Sie sind Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters. Muss man Ihrer Einschätzung nach persönlich betroffen sein, um diesen Beruf erfolgreich zu machen?

Ich würde es nicht persönlicheBetroffenheit nennen, sondern die Fähigkeit, zwischen den verschiedenen Kulturen oder zwischen den Welten zu vermitteln. So heißt ja auch mein erstes Buch, das im März 2021 herausgekommen ist. Außerdem ist Sprache ein wichtiger Faktor. Denn sie baut Vertrauen auf. Und wenn ich in derselben Sprache mit der Bevölkerung sprechen kann, die sie spricht, lasse ich den Menschen Respekt zukommen, und sie haben automatisch das Gefühl, dass sie mir auch vertrauen können. Dadurch wird jedes Interview gehaltvoller.

Aufklären über das Mullah-Regime ist ein gefährlicher – sogar lebensbedrohlicher – Job. Das bekommt die ganze Welt spätestens seit den Protesten nach Jina Mahsa Aminis Ermordung im September 2022 mit. Warum schreckt Sie das nicht ab?

Ich glaube, es schreckt michnicht ab, weil ich nicht so sehr darüber nachdenke, wie gefährlich es ist, sondern vielmehr darüber, welchen Mehrwert es hat, darüber zu berichten. Über die Ungerechtigkeit in diesen Ländern, über die einzelnen Schicksale, aber auch über unser politisches Versagen im Westen in so vielen außenpolitischen Entscheidungen. Insofern steht meine Mission aufzuklären über meiner Angst.

Was würden Sie einer/einem Studierenden raten, die/der eine ähnliche journalistische Karriere anpeilt?

Wenn jemand im Journalismus arbeiten will, muss er bereit sein, sehr viel zu opfern. Der Job ist nicht gut bezahlt. Karriere zu machen ist nicht leicht. Die Verträge für Journalist*innen sind überhaupt nicht gut, Festanstellungen gibt es kaum noch. Man ist 24 Stunden im Einsatz. Wenn man etwas erreichen will, muss man sehr viele Jobs annehmen, auch wenn gerade ein Familiengeburtstag ansteht oder ein Urlaub oder die eigene Familienplanung. Insofern kann man diesen Job nur ausführen, wenn man wirklich dafür brennt.

Und zuletzt: Was möchten Sie unserer Uni-Community in Bamberg im Sinne Ihrer persönlichen beruflichen Anliegen mitgeben?

Habt Mut zum Quereinstieg und zur Expertise! Ich glaube, je mehr man über den eigenen Tellerrand hinausgesehen hat, je mehr man verschiedene Dinge in seinem Studium vermischt und vereint hat, je mehr verschiedene Praktika man macht, desto bessere Chancen hat man. Aber sich dann spezialisieren... Es braucht überall Expert*innen! Ich höre immer öfter, dass Unternehmen eher weniger auf „Fachidioten“ mit den besten Noten setzen, sondern nach denjenigen suchen, die emotionale Intelligenz mitbringen. Und Erfahrung und Flexibilität, die man durch antrainierten Perspektivwechsel erreichen kann. Das wird definitiv von Vorteil sein.

Vielen Dank für das Interview!

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Seite 160461, aktualisiert 07.02.2024