„Exzellente Forschung muss die Dimension Geschlecht im Blick haben.“

Geschlechtersensible Forschung im Zentrum des Festaktes der Frauenbeauftragten

  • Campus
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  • 21.12.2022
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  • Hannah Fischer
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  • Lesedauer: 8 Minuten

„Unlängst wurde eine Studie zu einer Herpesviren-Impfung durchgeführt und es zeigte sich kein Effekt der Impfung…“ Mit diesen Worten eröffnete Prof. Dr. Astrid Schütz den diesjährigen Festakt der Frauenbeauftragten. Es zeigte sich so lange kein Effekt bei der Impfung, „bis jemand auf die Idee kam, die Daten nach Geschlecht getrennt zu analysieren. Das Ergebnis: Die Impfung hatte bei Frauen deutliche Effekte, bei Männern keine. Erklärt wurde das damit, dass Östrogen die Immunantwort unterstützt“, erläuterte Schütz weiter. Mit diesem plakativen Beispiel führte die Frauenbeauftragte der Universität die Gäste in das übergeordnete Thema des Festaktes ein: Geschlechtersensible Forschung. Medizinische Studien betreffen die Universität Bamberg aufgrund ihres Forschungsprofils zwar nicht direkt, es geht aber darum, bei Forschungsvorhaben über Fächer hinweg Geschlecht bei Theoriebildung, Studiendesign, Auswertung und Interpretation mit zu bedenken und zu prüfen, ob es eine Rolle spielt. Exzellente Forschung muss auch die Dimension Geschlecht im Blick haben, erläuterte Astrid Schütz.

109 Wissenschaftler*innen bereits im Netzwerk „Geschlechtersensible Forschung“

Seit Juli 2022 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Strukturprojekt „GENIAL forschen“ an der Universität Bamberg. Die Abkürzung steht für „GeschlechterpoteNzIALe nutzen – Gesellschaft verändern“. Ziel des Projekts ist es, geschlechtersensible, bedarfsorientierte Forschung zu stärken und nachhaltig zu verankern. „Es ist uns im letzten Jahr gelungen, viel Aufmerksamkeit und Unterstützung für das Thema zu finden“, freute sich Astrid Schütz, die das Projekt leitet. Geschlechtersensible Forschung ist als Querschnittsthema im Forschungsinformationssystem (FIS) eingerichtet und eine Profilinitiative etabliert worden. In einem Forschungsnetzwerk sind über den Virtuellen Campus (VC) bereits 109 Forschende der Universität eingetragen. Und es gab zahlreiche Veranstaltungen zum Thema – etwa im Rahmen des Diversity-Tags. Aktuell läuft die Bewerbung um eine langfristige Förderung für die Jahre 2024 bis 2028.

Kai Fischbach: „Die Universität Bamberg ist weiblich“

Auch abseits von „GENIAL forschen“ tut sich einiges in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit, wie das Grußwort des Universitätspräsidenten Prof. Dr. Kai Fischbach zeigte: Es wurden 2022 erneut erfolgreich internationale Gastprofessuren mit dem Schwerpunkt Genderforschung und Diversity ausgeschrieben, das Vorlesungsverzeichnis Gender und Diversity ist im Wintersemester wieder prall gefüllt und ein Gender Equality Plan ist auf der Webseite der Universität zu finden. Besonders freut sich Kai Fischbach über die hohe Frauenquote an der Universität: 64 Prozent der Mitarbeitenden im wissenschaftsstützenden Bereich, 60 Prozent der Studierenden, 53 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeitenden und 37 Prozent der Professor*innen sind Frauen. „Die Universität Bamberg ist weiblich“, bekräftigte Fischbach. „Insbesondere was die Professor*innen betrifft, belegen wir mit dieser Zahl die Spitzenposition in Bayern und sogar in Deutschland insgesamt.“ Diesen Vorsprung konnte die Universität in den letzten Monaten noch weiter ausbauen, da wie im Vorjahr die Hälfte der neuen Professuren mit Frauen besetzt wurde. „Das ist eine große Bereicherung für die Universität“, freute sich der Universitätspräsident.

Sind Männer Jäger und Frauen Sammlerinnen?

Wie wichtig Geschlechtersensibilität in der Forschung ist, zeigte der Festvortrag von Prof. Dr. Brigitte Röder. Sie ist Leiterin des Fachbereichs Ur- und Frühgeschichtliche und Provinzialrömische Archäologie an der Universität Basel. Ausgangspunkt ihres Vortrags war das Phänomen, dass in aktuellen Geschlechterdebatten immer wieder auf die angeblich ‚ursprünglichen‘ und ‚natürlichen‘ Männer- und Frauenrollen in der Urgeschichte Bezug genommen wird. Die Rollen waren damals vermeintlich klar. Der Mann ist der Jäger und die Frau die Sammlerin. Oder anders ausgedrückt: Der Mann ist der Ernährer und das Familienoberhaupt, die Frau ist Mutter, Hausfrau und Gattin. Das Rekurrieren auf die Urgeschichte dient laut Röder vor allen Dingen der Selbstvergewisserung und Orientierung in der aktuellen Debatte. Denn es zeige vermeintlich, wie Männer und Frauen von Natur aus sind. Die Urgeschichte diene demnach als Kulisse und Argumentationsplattform für diejenigen, die an traditionellen Identitätskonzepten und Rollenmodellen festhielten.

Archäologie kann aufzeigen, dass es kein universales ursprüngliches Geschlechtermodell gibt

„Der enorme historische Zeitraum des Vergleichs spielt offenbar keine Rolle“, sagte Röder. „Immerhin umfasst die Menschheitsgeschichte rund 3 Millionen Jahre. Das ist eine unvorstellbar lange Zeit, in der tiefgreifende Veränderungen stattgefunden haben.“ Anzunehmen, dass das Geschlechtermodell unverändert geblieben und obendrein überall gleich gewesen sei, sei aus kulturgeschichtlicher und sozialwissenschaftlicher Sicht geradezu absurd. Dieses Geschlechter- und Familienmodell sei überdies historisch eine recht junge Erscheinung, die erst vor rund 250 Jahren im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft entstanden sei. Selbst bei wissenschaftlichen Interpretationen komme das Modell aber selten auf den Prüfstand. Dabei bietet die Archäologie dahingehend selbst ein enormes Erkenntnispotenzial, wie Brigitte Röder anhand von Beispielen zeigte: Im Grab eines Mannes aus 3400 vor Christus wurden etwa Grabbeigaben gefunden, die darauf hindeuten, dass er Textilien hergestellt hat, was traditionell als weibliche Tätigkeit betrachtet wird. Dass der Mann tatsächlich viel Zeit mit Weben verbracht hat, zeigen spezifische Veränderungen an seinen Oberschenkeln, die dann entstehen, wenn man lange in der tiefen Hocke sitzt – eine Haltung, die bestimmte Webstühle erzwingen. Skelette aus einem Gräberfeld aus der Eisenzeit, das in der Nähe eines Bergwerks gelegen war, verraten, dass auch Frauen damals im Bergbau tätig waren.

Vor dem Hintergrund dieser exemplarischen Ausführungen sagte Brigitte Röder: „Ich finde, die Archäologie hat eine gesellschaftspolitische Verantwortung, sich mit ihrer Expertise in die gesellschaftliche Debatte einzumischen und Fakten von Projektionen zu trennen.“ Voraussetzung sei, dass sie sich mit sich selbst kritisch auseinandersetze. Das patriarchale Geschlechtermodell dürfe nicht selbst in der archäologischen Forschung unhinterfragt übernommen werden. „Dann kann die Archäologie aufzeigen, dass es kein universales ursprüngliches Geschlechtermodell gab. Sie kann zeigen, dass für die Urgeschichte vielmehr mit einer Vielfalt an Geschlechterverhältnissen zu rechnen ist und dass diese höchst wandelbar sind.“

Weitere Diversitätsmerkmale sollten künftig in den Blick genommen werden

In der anschließenden Podiumsdiskussion zeigte sich, dass nicht nur die Archäologie mit diesem Phänomen konfrontiert ist. Prof. Dr. Christof Rolker, der die Professur für Historische Grundwissenschaften an der Universität Bamberg innehat, bestätigt: „Das Mittelalter erfährt ganz ähnliche Zuschreibungen – sowohl wissenschaftsintern als auch -extern.“ Selbstverständlichkeiten würden in eine nur lückenhaft bekannte Vergangenheit projiziert und begegneten uns wieder als verstärkte Sicherheit, die sich auch in die Wissenschaft übertrage. Etwa bei der Debatte um nicht-binäres Geschlecht herrsche oft die Annahme vor, dass es sich um ein ganz neues Phänomen handle. „Als Rechtshistoriker bin ich auf einen sehr großen Fundus an Debatten gestoßen, in denen spätestens ab dem 12. Jahrhundert darüber diskutiert wurde, wie viele Geschlechter es gibt, wie sich körperliches zu juristischem Geschlecht verhält“, erklärte Rolker. Die juristische Binarität der Geschlechter habe in Deutschland erst mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch 1900 Einzug gehalten. An diesem Beispiel zeigte sich überdies, dass die geschlechtersensible Forschung, im Sinne von Unterschieden zwischen Frau und Mann, ausgeweitet werden muss. Das sieht auch Prof. Dr. Thomas Saalfeld, Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, so: „Die Geschlechtersensibilität ist ein wichtiger Punkt, der langfristig in eine erweiterte Perspektive übergehen sollte, die viele andere Diversitätsmerkmale in den Blick nehmen muss.“ Er sieht darüber hinaus an der Universität Bamberg als eine geistes- und sozialwissenschaftlich geprägte Universität bereits ein starkes Bewusstsein für die Bedeutung von Geschlechtsunterschieden oder auch für Fragen von Gender.

Zahlreiche Preise für herausragende Leistungen von Wissenschaftler*innen

Wie groß dieses Bewusstsein bereits ist, wird derzeit in der Universitätsbibliothek unter Beweis gestellt. Der Festakt wurde in diesem Jahr flankiert von einer Ausstellung in der Teilbibliothek 3. Wissenschaftler*innen der Universität Bamberg stellen dort noch bis Dienstag, 31. Januar 2023, in Form von Postern ihre Forschung und insbesondere die darin enthaltenen Aspekte der Geschlechtersensibilität vor. Am Abend des Festakts wurden zwei Poster ausgezeichnet: Den Jurypreis erhielt Magdalena Eriksröd-Burger für ihr Poster zu ihrem Dissertationsprojekt, in dem sie neue Perspektiven auf das Prager Kunstleben in der Moderne und Potentiale zur Förderung kultureller Partizipation von Frauen aufzeigt.  Der Publikumspreis ging an Daniel M. Mayerhoffer und Jan Schulz-Gebhard. In ihrem Poster stellen sie ein Forschungsprojekt vor, das sich mit der Unterschätzung geschlechterbezogener Gehaltsunterschiede auseinandersetzt. Im Anschluss wurde der Bettina-Paetzold-Preis für gute Genderlehre an Leonie Ackermann und Caroline Oehlhorn vergeben für ihr Seminar „Genderaspekte in der (Wirtschafts-) Informatik“. Den Preis der Universitätsfrauenbeauftragten für Studentinnen mit hervorragenden Leistungen (PUSh) erhielten in diesem Jahr Gülsah Arslan Bauer, Lale Diklitas, Sofie Dippold und Magdalena Hoffmann.

Weitere Informationen zur Posterausstellung in der Teilbibliothek 3 unter: www.uni-bamberg.de/genial/posterausstellung

Der VC-Kurs zum Netzwerk „Geschlechtersensible Forschung“ ist zu finden unter: https://vc.uni-bamberg.de/enrol/index.php?id=54814

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Seite 155447, aktualisiert 21.12.2022